Vegetarische Kost ist heutzutage populärer als vor ein paar Jahrzehnten, kann jedoch immer noch hitzige Diskussionen provozieren.
Gehen Sie auf dem Markt eher zum Bratwurststand oder lieber zur Falafel-Bude, essen Sie am Sonntag lieber Cordon Bleu oder Gemüsereis mit Sellerieschnitte? Was besser schmeckt, hängt vor allem davon ab, ob die Gerichte gekonnt zubereitet sind. Davon abgesehen wird die Auswahl von Ihren Vorlieben bestimmt, aber auch von Ihren Grundsätzen: Ernähren Sie sich vegetarisch oder bevorzugen Sie die Fleischküche?
Nüchtern über vegetarische Ernährung zu berichten, ist kein leichtes Vorhaben, denn zuweilen mokieren sich die Fleischesser über die «Körnlipicker», zuweilen sind Vegetarier strikt darauf bedacht, ihre Art der Ernährung als die einzig richtige darzustellen. Es gibt mehrere Variante des Vegetarismus: Ovo-lacto-vegetabile Ernährung umfasst auch den Genuss von Eiern und allen Milchprodukten, während vegane Ernährung auf jegliche Art von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs verzichtet und in letzter Zeit besonders bei jüngeren Leuten beliebt ist.
Die gemässigten Vegetarier verteidigen ihren Konsum von Milch- und Eiprodukten mit dem Hinweis, dass diese Lebensmittel dazu dienen, Heranwachsende zu ernähren und damit auch (jungen) Menschen die notwendigen Nährstoffe liefern. Vegetarier argumentieren häufig damit, dass die Nahrung naturgemäss sein soll. Da die unmittelbaren Vorfahren der Menschen, die Gorillas, Schimpansen und Orang Utans, Früchte, Gemüse und Wurzeln zu sich nehmen, postulieren sie, dass dies auch für Menschen die naturgemässe Grundnahrung sei. Auch die Zähne des Menschen entsprechen nach Auffassung der Vegetarier dieser Kost, das zeige ein Vergleich mit dem Gebiss der Menschenaffen. Den Einwand der traditionellen Ernährungswissenschaftler, dass rein pflanzliche Ernährung nicht alle Nährstoffe – Eiweisse und besonders Vitamin B12 – enthalte, widerlegen die Vegetarier. Der Heilpraktiker Ernst Müller-Camberg argumentiert, dass bei vernünftiger Auswahl der vegetarischen Nahrung alle Grundelemente vorhanden seien, um dem Körper die nötigen Eiweissstoffe zur Verfügung zu stellen. Ausserdem gebe es Untersuchungen, die belegen, dass der Eiweissbedarf bei normalen Menschen weniger gross sei, als früher vermutet wurde. Wer jedoch körperlich schwere Arbeit leistet, sollte gemäss Müller-Camberg mindestens Milch, Milchprodukte und vielleicht auch Eier zu sich nehmen. Ob durch rein vegetarische oder vegane Ernährung Mangelerscheinungen auftreten, ist unter Experten umstritten. Besonders zu beachten ist jedoch, dass die Nahrung genug Vitamin B12 enthalten muss. Dieses Vitamin kommt fast nur in Fleisch und Fleischprodukten vor, ist aber für unsere Gesundheit unentbehrlich. Ein andauernder B12-Mangel gilt als Ursache von perniziöser Anämie; bei Stress, verschiedenen Krankheiten und bei Belastung mit Umweltgiften besteht ein erhöhter Vitamin-B12-Bedarf.
Sich vegetarisch zu ernähren, bedeutet aber nicht, einfach nur das Fleisch wegzulassen. Wichtig ist die abwechslungsreiche Zusammenstellung der Mahlzeiten. Durch schonende Zubereitung sollen alle wertvollen Inhaltsstoffe der Gemüse erhalten bleiben, deshalb hat Rohkost grosse Bedeutung. Wer vegetarisch lebt, entwickelt mit der Zeit viel Wissen über Lebensmittel und Erfahrung darin, wie sie kombiniert und zubereitet werden sollen. Es muss uns auch nicht erstaunen, dass Vegetarier besonderen Wert auf biologische, unbehandelte Lebensmittel legen.
Gemüsefeld im Grossen Moos BE
Der Vegetarismus ist keine neue Welle, die erst mit dem wachsenden Bewusstsein für gesunde Ernährung und biologische Landwirtschaft entstanden ist. Gelehrte behaupten, dass vegetarische Ernährung schon in der Antike bekannt gewesen sei. Seit Jahrtausenden leben in Indien viele Menschen vegetarisch, besonders die Jainas, aber auch Hindus, z.B. Mahatma Gandhi. Das Prinzip ahimsa, Gewaltlosigkeit und damit auch der Verzicht auf das Töten von Tieren, verbietet den Konsum von Fleisch. Das ist in Indien und in vielen asiatischen Ländern so verbreitet, dass Vegetarier dort nicht als «seltsame Wesen» angeschaut werden, wie das in Mitteleuropa noch bis vor wenigen Jahrzehnten häufig vorkam. Übrigens ist der Vegetarismus in England schon seit dem 19. Jahrhundert sehr verbreitet, vermutlich aufgrund der engen Beziehungen zwischen der britischen Kolonialmacht und Indien.
Moderne Gegner des Fleischkonsums argumentieren, dass Rinder beispielsweise sieben Mal mehr Futter benötigen, als für unsere Nahrung angebaut werden muss. Zu bedenken bleibt auch, dass in Europa der regelmässige Konsum von Fleisch bis ins 19. Jahrhundert einer kleinen privilegierten Schicht vorbehalten blieb. Arme Leute waren zwangsläufig Vegetarier – mit seltenen Ausnahmen. Das gilt auch heute noch für viele Menschen in Asien, Afrika und Südamerika.
Was führt dazu, dass auch heute noch besonders Veganer und Veganerinnen auf Unverständnis stossen? Wir Menschen sind wohl von unseren Gewohnheiten bestimmt; auf Speisen, die wir einmal liebgewonnen haben, möchten wir ungern verzichten. Gerade Vorlieben für schmackhafte Gerichte werden schon in frühester Kindheit geprägt und sind mit entsprechenden Erinnerungen verbunden. Essen ist nie nur Nahrungsaufnahme, sondern immer mit Gefühlen verbunden. Daraus folgt, dass Diskussionen über beliebte oder ungeliebte Speisen nicht rein rational geführt werden, sondern oft unbewusst von unseren Gefühlen gelenkt werden. – Guten Appetit!