Abgrundtiefe Trauer meisterlich inszeniert: Intendantin Barbara Frey verabschiedet sich standesgemäss vom Schauspielhaus Zürich mit «Die Toten» von James Joyce.
Um es gleich vorwegzunehmen: Barbara Frey liefert mit ihrer letzten Inszenierung «Die Toten» von James Joyce einen würdevollen, grandiosen Abgang von ihrer zehnjährigen Intendanz am Zürcher Schauspielhaus. Joyce (1882-1941) gilt als «Zertrümmerer und Erneuerer» der literarischen Formensprache am Anfang des 20. Jahrhunderts. In «Die Toten», eine meisterhafte Erzählung, die der Autor ans Ende seines Buches «Dubliners» gestellt hat, passiert vordergründig nicht viel: Gabriel Conroy nimmt (mit seiner Frau Gretta) an einem jährlichen Essen zum Dreikönigsfest von Verwandten und Freunden teil, wo ihm seine Frau erzählt, dass sie vor ihm schon einmal einen Jungen – Michael Furey – geliebt hat. Joyce fängt in seiner Erzählung meisterhaft die Gefühle und Motive der Gäste ein, oft nur andeutungsweise durch ein, zwei Wörter (oder Auslassungen), stets aber präzise und stimmig.
Durchsetzt mit Klang und Rhythmus
Angereichert mit Joyce-Texten aus «Ulysses» und «Finnegans Wake» spielt die Musik in Freys Inszenierung auf der Pfauenbühne eine zentrale Rolle. Sie ist es vorab, die das Stück zum Klingen bringt und zum unvergesslichen Erlebnis macht. Die Aufführung ist durchsetzt mit Klang und Rhythmus. Die Schauspieler singen und sprechen meist im Chor, marschieren synchron durch die ruinenhaft gestalteten Räume auf der Drehbühne oder sitzen wie versteinert an einem langen Tisch (Bühnenbild: Martin Zehetgruber). Alle Darsteller sind in Schwarz gekleidet, verziehen fast keine Miene, wirken in sich gekehrt. Abgrundtiefe Trauer dominiert das triste Geschehen.
Ein Leben lang fremdgeblieben: Michael Maertens als Gabriel Conroy und Lisa-Katrina Mayer als seine Ehefrau Gretta.
Eröffnet wird das alljährliche Familienfest mit einem ritualisierten Einzug der Gäste, die in Kreisbewegungen durch die Räume wandeln und im Chor die Namen Verstorbener aufzählen. Dazu ertönt ein bekannter Walzer. Am Tisch werden bruchstückhaft traurige und launige Reden gehalten, im Musikzimmer am Piano, am Hackbrett und an der Pauke Volksweisen vorgetragen. Dazwischen wird immer wieder rituelles Gehen und Stehen zelebriert. Gabriel Conroy erfährt von seiner Frau, dass sie als junges Mädchen einen anderen Mann liebte, einen todkranken, der sie kurz vor ihrer Abreise besuchte und zwei Wochen später an den Folgen eines Ausflugs starb. Conroy realisiert, dass seine Frau ihm ein Leben lang fremdgeblieben ist. Ein berührender Moment in der stringent inszenierten Totenbeschwörung.
Traurig und heiter zugleich
«Artifizielle Rekonstruktionen transzendentaler Erfahrungen» nennt Harry Levin im Programmheft Joyces späte Werke. Barbara Frey gelingt es meisterhaft, diese transzendentalen Erfahrungen zusammen mit dem Musiker Jürg Kienberger stimmig einzufangen. Ihre beschwörende Inszenierung besticht durch eine Wort-Bild-Mischung, die traurig und heiter zugleich wirkt. Heiter zum Beispiel die Tischrede von Conroy an seine Verwandten: Blitzartig beleuchtet, greifen die Verwandten mehrfach korrigierend ein und verschwinden wieder im Dunkeln. Ansonsten dominiert die Tristesse, atmosphärisch grossartig und konsequent inszeniert.
Am langen Tisch vereint (v.l.): Jürg Kienberger, Benito Bause, Lisa-Katrina Mayer, Elisa Plüss, Claudius Körber und Michael Maertens. Fotos: Matthias Horn
Grosses Lob gebührt den sechs Schauspielerinnen und Schauspielern (Benito Bause, Jürg Kienberger als Live-Musiker, Claudius Körber, Michael Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Elisa Plüss), die das handlungsarme Wort-Musik-Spiel in Mimik und Gestik vortrefflich bewältigen und mit Solo-Gesangsstimmen glänzen (Benito Bause und Elisa Plüss). Grossartig auch, wie sie die Wort-Bilder von Joyce im Chor rezitieren und das rituelle Gehen und Stehen meistern. Barbara Frey zeigt mit ihrer knapp zweistündigen Abschiedsvorstellung grosses, tiefgründiges Theater. Dafür erhielten sie und das Ensemble an der Premiere langanhaltenden Applaus.
Weitere Vorstellungen: 20., 26., 29., 31. Mai, 2., 4., 11., 13., 14., 18., 20., 24. Juni