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Der traumverlorene Poet

Am 20. März vor 250 Jahren, im gleichen Jahr wie Beethoven, hat einer der grössten, aber auch verkannten deutschen Dichter, Friedrich Hölderlin, das Licht der Welt erblickt – und durchlitt eines der traurigsten Schicksale der Literaturgeschichte.

Wie Kleist und Jean Paul wird Hölderlin zur Gegenklassik gezählt, d.h. sie landen recht eigentlich zwischen Stuhl und Bank, gehören weder zum Umkreis der Klassik wie Goethe und Schiller noch zur Romantik wie Eichendorff, Novalis, Brentano und Tieck und tragen doch von beiden Epochen Wesenszüge in sich. Während Kleist daran zerbricht und sich das Leben nimmt, flüchtet sich der Schwarmgeist Hölderlin in den Wahnsinn und dämmert noch über 40 Jahre lang in einem Turmzimmer in Tübingen am Neckar dahin, erst den Idealen Rousseaus und der Französischen Revolution verpflichtet und dann bis ans Lebensende der griechischen Antike huldigend. Kleists ungehörter, resignativer Hilferuf „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war“ trifft genauso auf Hölderlin zu. 

Wie konnte es soweit kommen? Nach dem frühen Tod des Vaters schickt ihn seine pietistisch gesinnte Mutter vorerst ins Maulbronner Seminar, wo später auch Hermann Hesse ernüchtert die Faust im Sack macht, und dann zum Theologiestudium ins Tübinger Stift, wo er Hegel und Schelling begegnet. Doch er sieht sich weder als Priester noch als Philosoph, nein, Dichter will er werden und nichts anderes.

Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770-1843): 250-Jahrjubiläum am 20. März 2020

Die griechische Mythologie fesselt ihn zunehmend, wovon sein Briefroman „Hyperion“ zeugt. Sein elegischer Rückblick auf die verlorene Antike und die hymnische Begeisterung für die Natur als Elementarwelt von Universum, Sonne und Erde stillt seine Sehnsucht nach Harmonie mit dem Wahren, Guten und Schönen. Eins mit der Natur und in der Natur wollte er sein. Sein idealisiertes Griechentum gewann in seinen Hymnen, Oden und Elegien neben apollinisch-klaren auch rauschhaft-dionysische Züge. Hier eine Strophe aus dem Gedicht

An die Natur

Wenn ich fern auf nackter Heide wallte,
Wo aus dämmernder Geklüfte Schoß
Der Titanensang der Ströme schallte
Und die Nacht der Wolken mich umschloß,
Wenn der Sturm mit seinen Wetterwogen
Mir vorüber durch die Berge fuhr
Und des Himmels Flammen mich umflogen,
Da erschienst du, Seele der Natur!

Hölderlin-Turm in Tübingen am Neckar, wo Hölderlin 41 Jahre in geistiger Umnachtung verdämmerte

Zu seinen übersteigerten Erlösungshoffnungen zählt auch der Traum, Deutschland, „von dem er das Höchste fordert und darum am tiefsten enttäuscht wird“, möge seinem utopischen Wunschbild folgen. Dass er dann 100 Jahre später von den Nazi-Strategen zum „Leitbild des im Kampf zum Heroismus sich steigernden Jünglings“ erhoben und durch faschistische Propaganda vereinnahmt wird, ist ein anderes Kapitel.

Auf seinen Stationen als Hauslehrer begegnet er bei einer Bankiersfamilie der Hausherrin Susette Gontard, die mit einem reichen, gleichgültigen Mann verheiratet ist und in die er sich unsterblich verliebt. Als „Diotima“ verewigt er sie im „Hyperion“ und in zahlreichen Liedpreisungen. Seinem Freund Neuffer schreibt er enthusiastisch: „Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in dies arme geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt hat.“ Die Liebe zu Diotima gibt seinem Leben vorübergehend Erfüllung: „Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen einen Augenblick der Liebe.“

Das Gedicht Hälfte des Lebens beschreibt sein vorübergehendes Liebesglück mit den Sommerversen und die darauf folgende Lebenskrise mit der Winterstrophe: 

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

 Büste von Susette Gontard, seiner vergötterten Muse

 

 

Die erzwungene Trennung lässt ihn nicht wie in Goethes „Werther“ zur Pistole greifen, aber Hölderlin versinkt in eine tiefe Depression. Ihr Tod lässt ihn vollends in die Einsamkeit abdriften. „Geistig umnachtet“ wird er in eine Tübinger Klinik eingeliefert, bis sich Schreinermeister Zimmer seiner erbarmt und ihn zu sich in den ‚Hölderlin-Turm‘ holt. Von dort aus blickt er auf den ruhig dahinfliessenden Neckar und in die Parkanlage, spielt Klavier und empfängt Besucher, denen er mit kühler Distanz begegnet und nur den Austausch von Höflichkeiten zulässt. Hin und wieder liest er aus seinem „Hyperion“ vor und verfasst sog. Spieluhrenverse wie die für seinen Gastgeber Zimmer:

Die Linien des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden

 

Zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins: Rüdiger Safranskis Biografie über den großen unbekannten Dichter. Dies ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.                                    

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1 Kommentar

  1. Sehr zu empfehlen ist die Lesung des Briefromans Hyperion durch den Schauspieler Jens Harzter; die 20 Folgen können vom 24.2. bis 27.3. auf dieser Seite, in der ARD Audiothek und der SWR2 App angehört werden:
    https://www.swr.de/swr2/literatur/swr2-fortsetzung-folgt-2020-02-24-100.html
    Oder gelesen von Bruno Ganz auf Spotify
    Und ein Blick auf die Webseite des Literaturhauses Berlin zum 250. Geburtstag ist auch lohnenswert
    Viel Spass beim Zuhören!

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