StartseiteMagazinKulturWiedergelesen: Erich Fromm «Die Seele des Menschen»

Wiedergelesen: Erich Fromm «Die Seele des Menschen»

Vor einiger Zeit stiess ich zufällig auf Erich Fromms Buch «Die Seele des Menschen» und war erneut beeindruckt, so dass ich mich entschlossen habe, seine letzten Werke nochmals zu lesen und zu besprechen: also auch «Die Kunst des Liebens», «Haben oder Sein» und «Über den Ungehorsam». 

Erich Fromm, Psychoanalytiker und Sozialphilosoph, wurde 1900 in Frankfurt geboren, gehörte zum Kreis junger Gelehrten um Horkheimer und Adorno, die mit ihrer Forschung an Hegel, Marx und Freud anknüpften. Ab 1933 arbeitete er in Chicago, ab 1934 in New York, bis er 1949 in Mexico City eine Professur annahm und nach 1965 sich ausschliesslich der Forschung widmete, bis er 1989 in Locarno verstarb. 

Hinführung 

Nachfolgend referiere und zitiere ich das Buch «Die Seele des Menschen. Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen». Darin entwickelte Erich Fromm erstmals seine Lehre der «Biophilie», der Liebe zum Lebendigen, als Gegenkraft zur «Nekrophilie», dem Angezogensein vom Leblosen. Beim Niederschreiben trieb ihn die Sorge, dass die Menschen durch die industrialisierte Welt in ein Leben voller Gleichgültigkeit, Angst und Hass abgleiten, und er stellte sich die Frage, «ob wir uns auf eine neue Barbarei zubewegen, oder ob eine Renaissance unserer humanistischen Tradition möglich ist.» In der Biophilie sieht Fromm die wichtigste Kraft für sein «Wachstumssyndrom», das der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und dem destruktiven Verfall entgegenwirken kann. Das Gute und das Böse, die Liebe und der Hass bilden bekanntlich die Pole, zwischen denen das Leben sich abspielt. 

Der Mensch: Wolf oder Schaf?

«Viele sind der Ansicht, die Menschen seien Schafe. Und viele andere halten sie für reissende Wölfe», was Hobbes zum «Homo homini lupus» und Sartre zu «L’enfer c’est les autres» zuspitzte. Für beide Ansichten gibt es Argumente. Wir alle kennen Untaten von Menschen in unserem Leben und während der Jahrhunderte. Doch «ist der Mensch seinem Wesen nach böse und verderbt, oder gut und fähig, sich zu vervollkommnen?» Nach Fromm ist Ungehorsam die Voraussetzung, dass der Mensch sich seiner selbst bewusst und fähig wird, sich für etwas zu entscheiden, «dass der Akt des Ungehorsams der erste Schritt auf dem Weg zur Freiheit ist.»

«Der normale Mensch mit aussergewöhnlicher Macht ist die Hauptgefahr für die Menschen, nicht der Unhold oder der Sadist.» Dieser Gedanke, den Hannah Arendt während des Eichmann-Prozesses in die Diskussion einbrachte, führte Fromm weiter: «Genauso wie man Waffen braucht, um einen Krieg zu führen, so braucht man die Leidenschaft des Hasses, der Empörung, der Destruktivität und Angst, wenn man Millionen dazu bringen will, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und zu Mördern zu werden. Diese Verknüpfung von Gesellschaft und Individuum beim Thema Gewalt verdichtet sich in Fromms Begriff des «Verfallsyndroms».

Formen der Gewalt

«Die normalste Form der Gewalt ist die spielerische. Wir finden sie dort, wo man seine Geschicklichkeit zeigen, nicht Zerstörung anrichten will.» Von grösserer Bedeutung ist die reaktive Gewalttätigkeit, die der Verteidigung des Lebens oder der Freiheit dient. Oft gründet diese in der Angst vor realen oder vermuteten Gegebenheiten oder auf einer Manipulation des Denkens. Ein anderer Typus ist die durch Frustration erzeugte Gewalt, verwandt der aus Neid und Eifersucht entstandenen Feindschaft. Eine weitere Form, dem Pathologischen schon näher, die rachsüchtige Gewalt. Eng verwandt auch die Destruktivität, die auf der Erschütterung eines Glaubens fusst. Und weiter gibt es den tief enttäuschten Menschen, der zum Lebenshasser wird.

«Leben schaffen heisst, seinen Status als Geschöpf, das wie ein Würfel aus dem Becher ins Leben hineingeworfen wird, zu transzendieren. Doch auch Leben zerstören heisst, es transzendieren, um dem unerträglichen Leiden völliger Passivität zu entrinnen.» Damit verwandt ist der Trieb, ein lebendes Wesen, Tier oder Mensch, ganz unter seine Kontrolle zu bringen. «Das Kolosseum in Rom, in dem Tausende von seelisch defekten Menschen mit grösstem Vergnügen zusahen, wie andere von wilden Tieren zerrissen wurden oder sich gegenseitig umbrachten, ist das grosse Monument des Sadismus. Erst wenn der Mensch aufhört, ein solcher psychischer Krüppel zu sein, wird er aufhören, ein Sadist zu sein. Und erst wenn die Verhältnisse so beschaffen sind, dass der Mensch Interesse am Leben bekommt, können Gewalt-Impulse verschwinden, die die Menschheitsgeschichte mit Blut und Tränen füllen. Blutvergiessen führt zum Tod, Samenerguss zur Geburt.»

Liebe zum Toten oder zum Lebendigen?

Was aber ist das Wesen des Bösen? Fromm untersuchte Antworten gutartiger und bösartiger Formen, die schliesslich zum Verfallssyndrom, der Quintessenz alles Bösen, führen. Typisch dafür ist etwa «Viva la muerte!», das Motto von Millán Astray, dem General im Spanischen Bürgerkrieg. Dieser Satz trifft den Kern des Bösen. «Ein Beispiel für den reinen nekrophilen Typ ist auch Hitler. Er war fasziniert von Zerstörungen und fand Gefallen am Geruch von Totem.»

«Während das Leben durch strukturiertes, funktionales Wachstum gekennzeichnet ist, liebt der nekrophile Mensch alles, was nicht wächst, was mechanisch ist. Der Nekrophile kann zu einem Objekt, ob Blume oder Mensch, nur dann in Beziehung treten, wenn er es besitzt.» Eichmann war von der bürokratischen Ordnung und vom Tod geradezu fasziniert, «seine höchsten Werte waren Gehorsam und das ordentliche Funktionieren der Organisation; er transportierte Juden, wie er Kohle transportiert hätte.» Doch wie kommt es, dass Menschen, die im Grunde alles haben, wofür es sich zu leben lohnt, dennoch die Vernichtung der Menschheit, etwa durch die Atombombe, in Erwägung ziehen? Antwort: Diese Menschen akzeptieren die totale Vernichtung, weil sie das Leben nicht wirklich lieben, dem Leben gleichgültig gegenüberstehen oder sich vom Toten angezogen fühlen. Fromm verweist hierzu auf den «Homo mechanicus» und den «Homo consumens»: «Man überlege sich einmal, welche Rolle das Töten in unseren Unterhaltungsprogrammen spielt.»

Leben aus dem Widerspruch

«Kann man überhaupt», so fragt der Autor, «vom Wesen des Menschen sprechen?» und führt zwei Antworten an: Einerseits gibt es so etwas wie das Wesen des Menschen nicht, wenn behauptet wird, der Mensch sei nichts anderes als das Produkt kultureller Gegebenheit. Anderseits sagt seine empirische Erörterung der Destruktivität, dass es so etwas wie die Natur des Menschen gibt. «Ich glaube, dass sich das Dilemma lösen lässt, wenn man das Wesen des Menschen nicht als eine gegebene Qualität oder als eine Substanz, sondern als einen der menschlichen Existenz innewohnenden Widerspruch definiert. Der Mensch besitzt eine Eigenschaft, die dem Tier fehlt: Er ist sich seiner selbst bewusst, seiner Vergangenheit und Zukunft, er nimmt die andern als Fremde, Freunde oder Feinde wahr. Der Mensch transzendiert das Leben, denn er ist das Leben, das sich seiner selbst bewusst ist.»

Wenn das Wesen des Menschen weder das Gute noch das Böse, weder Liebe noch Hass, sondern, sein Vorschlag, ein Widerspruch ist, dann ist es notwendig, nach immer neuen Lösungen zu suchen, die ihrerseits wieder neue Widersprüche hervorrufen. Der Mensch ist also weder gut noch böse. «Glaubt man an die Gutheit des Menschen als an sein einziges Potenzial, so wird man unausweichlich die Tatsache in einem irreführenden Licht sehen und schliesslich bitter enttäuscht. Glaubt man an das andere Extrem, so wird man als Zyniker enden und für die Möglichkeiten zum Guten in sich und anderen blind werden. Eine realistische Auffassung sieht in beiden Möglichkeiten reale Potenziale und untersucht die Bedingungen, unter denen sie sich entwickeln.»

Freiheit schaffen und nutzen

Weder Marx noch Freud, denen Fromm folgt, waren Deterministen. Beide sahen Möglichkeit zur Veränderung in der Fähigkeit des Menschen, die Kräfte bewusst zu machen und zu nutzen, die ihn sozusagen hinter seinem Rücken antreiben, um auf diese Weise Freiheit zu erlangen. Beide vertreten die Auffassung, dass der Mensch vom Gesetz von Ursache und Wirkung determiniert wird, dass er sich aber durch Bewusstseinserweiterung und richtiges Handeln einen Bereich der Freiheit schaffen und erweitern kann. Es liegt an ihm, sich ein Optimum zu erobern und sich den Ketten der Notwendigkeit zu entledigen. Für Freud war es das Bewusstmachen des Unbewussten, für Marx das Bewusstmachen sozio-ökonomischen Kräfte und Klasseninteressen als Vorbedingung für diese Befreiung. Beide Situationen übernimmt Fromm. Nach seiner Auffassung müssen Wille und Kampf als Vorbedingung für die Befreiung hinzukommen. So etwas wie eine freie Wahl zwischen Gut und Böse gibt es also nicht. Es gibt nur konkrete und spezifische Handlungsweisen, die Mittel zum Guten, und andere, die Mittel zum Bösen sind.

Erich Fromm: Die Seele des Menschen. Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen. New York 1968, dtv

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1 Kommentar

  1. Der Menschen muss und kann mit seinen vererbten und erworbenen Eigenschaften sein Leben gestalten. Vom Debilen zum Genialen, vom Heiligen zum Verbrecher ist jeder Mensch an seine angeborenen Eigenschaften gebunden. Er kann sie bilden und damit etwas das ihm entspricht, zum Wohle vieler gestalten oder kann sie brauchen um andere mit seiner Macht zu unterdrücken.
    Hitler, Stalin, hatten grosse Intelligenzen mit denen sie gestalteten, waren Gefühlskalt und rücksichtslos gegenüber angeblichen Gegnern. Viele Unschuldige wurden verurteilt und auf grausame Art vernichtet. Diese Menschen waren Unterdrückungsgierig. Churchill, oder Roosevelt waren völlig andere Menschen. Sie waren Friedenstauglich und kämpften dafür. Deshalb leben heute noch einige Staaten in Freiheit.
    Erst wenn wir jeden Menschen in seiner Grundcharakteranlage, seinen Fähigkeiten oder Mängel, seine Potenz für Gut oder Böse erkennen und den vom Talent her friedensfähigen Macht geben, werden wir ein ersehntes vernünftiges Zusammenarbeiten aller Menschen und Rassen auf dieser Welt erreichen.
    Die Grundlage zum Erkennen optimaler individueller Potenzen hat uns ein genialer Forscher und Denker mit seiner Ausdruckspsychologie und ihrem Einblick in die individuellen Wirklichkeiten des Seins, gezeigt. Carl Huter 1861-1912, ein genialer Autodidakt, mit einem seine Zeit weit überflügelnden, genialen, zeitunabhängigen universellen Denkvermögen. Sein physiognomisches Erfassen persönlicher Eigenschaften, und seine Weltweisheit, greifen leider heute noch kaum. Ohne diese Grundlagen wursteln wir fröhlich von Zufall zu Zufall weiter und verjubeln unser Geld für Rüstung und Vergnügen.

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