Er fehlte früher in keinem Bauerngarten, er diente als Orakel für kommende Ernten und baldigen Tod und die Frau Holle spielt auch eine Rolle: Der Holunderstrauch ist im Volksglauben, in der Mythologie und in der Pflanzenheilkunde ein fester Wert. Und erfüllt im Frühsommer mit seinem Duft ganze Gärten.
Wenn der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) blüht, dann beginnt nach dem phänologischen Kalender der Frühsommer. Mit seinen Dolden voller winziger Sternblüten ist er in Gärten, an Waldrändern, angelehnt an alte Scheunen oder an einen grossen Findling ein gern gesehener Sommergast. Und wenn sich seine Äste Monate später schwer behangen mit fast schwarzen Beeren anmutig neigen, dann fängt der Frühherbst an.
Dass er in der Phänologie, der Lehre von der jahreszeitlichen Entwicklung der Pflanzen, gleich zwei Mal zu den Zeigerpflanzen gehört, beweist, wie verbreitet er ist. Er zählt in Mitteleuropa zu den häufigsten Straucharten und ist aus den meisten Bauerngärten nicht wegzudenken.
Blüten, Tee und ein Andersen-Märchen
Mit gutem Grund: Schwarzer Holunder ist eine eigentliche kleine Hausapotheke. Seine Blüten sind, als Tee aufgegossen, ein altes Hausmittel gegen Erkältungen, Nieren- und Blasenleiden. Tee aus getrockneten Blüten ist schweisstreibend und kann als «Flores Sambuci» in Drogerien gekauft werden. Wer mit Fieber im Bett liegt und eine Tasse dieses duftenden Tees trinkt, sollte unbedingt mal das Märchen «Fliedermütterchen» des dänischen Dichters Hans Christian Andersen nachlesen. Die Kombination – Tee und Märchen – sollte ganz schnell wieder gesund machen.
Holundersirup ist bei Kindern beliebt – und bei Erwachsenen, vielleicht mit Prosecco aufgegossen, ebenso.
Holderblüten können aber auch zu einem wunderbaren Sirup verarbeitet werden. Dazu wird in einer grossen Pfanne Wasser mit reichlich Zucker aufgekocht. In den Sud werden die gut geschüttelten oder gewaschenen Blütendolden möglichst ohne Stiele 24 Stunden lang eingelegt. Dann das Ganze nochmals aufkochen, einen Löffel Zitronensäure (Ascorbinsäure) beigeben und in vorgewärmte Flaschen abfüllen und noch heiss verschliessen. Kinder lieben diesen Sirup – und Erwachsene giessen ihn gerne mit Prosecco auf.
Rinde, Wurzeln, Blätter – alles ist verwendbar. Aber vorsichtig!
Die Rinde des Strauches ist, äusserlich angewandt, bekannt für ihre entzündungshemmende Wirkung bei Schwellungen und Insektenstiche und soll auch als Auflage bei rheumatischen Schmerzen helfen. Aber Vorsicht: Holunder enthält auch Giftstoffe, sogenannte cyanogene Glycoside, vor allem in Wurzeln, Blättern und in den rohen Früchten. Zwar empfahl Kräuterpfarrer Künzle gekochte Wurzeln als Mittel gegen Übergewicht und die Blätter zur Blutreinigung. Aber ohne die genaue Dosierung zu kennen, sollte davon doch besser die Finger gelassen werden.
Schwarz und glänzend, aber roh fast ungeniessbar – der Holunder entwickelt seine Qualitäten erst nach dem Kochen.
Auch die reifen Beeren sind roh gegessen nicht sehr bekömmlich, führen zu Übelkeit, Durchfall und Erbrechen. Was allerdings, auch bei Kindern, keine grosse Gefahr ist, denn rohe Beeren sind sehr herb und nur bedingt geniessbar.
Aber so richtig lange und langsam eingekochte Holundermarmelade ist ein Genuss und der aus den Beeren gekochte Sirup wirkt schleimlösend und hustenstillend. In meinem Elternhaus war das ein wunderschönes Ritual: Litt ein Familienmitglied unter Husten, zündete meine Mutter eine Kerze an, füllte einen Löffel mit reinem Sirup, den sie über der Flamme erwärmte. Dann wurde das Hustenmittel in einen zweiten, kalten Löffel gegossen. Der warme, duftende Saft garantierte schon allein durch dieses Prozedere einen ruhigen, hustenfreien Schlaf.
Holunder kann wehrhaft sein
Kein Wunder, dass der heilkräftige Holunder, auch Holder und in Norddeutschland Flieder genannt, in vielen Sagen und Erzählungen einen festen Platz hat. Er gilt als heilige Pflanze mit einer Baumgöttin, die Mensch und Tiere in ihrer Nähe beschützt – die Frau Holle. Der Holunderstrauch wird auch als Tor zur «anderen Welt» angesehen. Sein englischer Name «Elderberry» erinnert an diese Verbindung zwischen den Welten. So wird, wer einen Holunderbusch ausgräbt oder zerstört, den Tod ins Haus holen. Aber auch Hexenbesen sollen aus Holunderzweigen gebunden sein. Der etwas strenge Geruch der Blätter rührt gemäss einer Legende daher, dass sich Judas an einem Holunderbaum erhängt hat.
Unendlich viele Sterne behüten das Haus, neben dem ein Holderbusch wächst.
Ein Holunderbusch am Haus schützt dieses vor Feuer, Blitzschlag und schwarzer Magie und ist deshalb aus einem richtigen Bauerngarten nicht wegzudenken. Und viele Bäuerinnen schwören auf den Holderstrauch im Hühnerhof. Er halte die Tiere gesund und sorge im Herbst für Eier mit besonders tiefgelbem Dotter. Und – wer hat denn schon hustende Hühner gesehen?
Holunder passt sich überall an
Eine Pflanzanleitung für einen eigenen Holunderstrauch im Garten braucht es nicht. Man nehme einfach einen jungen, noch grünen Trieb, stecke ihn in die Erde und er wird willig austreiben. In wenigen Jahren wird er zu einem bis zu sechs Metern hohen Strauch mit einer schirmförmigen Krone heranwachsen, deren Äste sich unter der Last der reifen Beeren im Herbst bogenförmig zu Boden neigen. Holunder nimmt fast gar nichts übel. Er kann radikal beschnitten werden – etwa wenn sehr viele Hexenbesen benötigt werden – und wird im nächsten Frühling trotzdem wieder austreiben.
Das Mark in den Ästen ist weiss und weich und kann leicht herausgekratzt werden. Früher schnitten sich die Kinder aus den hohlen Röhrchen kleine Flöten. Der Gattungsname «Sambucus» leitet sich denn auch vom griechischen Wort «Sambyke» ab. So hiessen in der Antike die kleinen, aus Holunderholz geschnitzten Flöten.
Liebe Bernadette,
Ich freue mich immer wieder über deine interessanten und mit feinem Humor gespickten Gesundheitsartikel.
Marlies Strech (wir kennen uns vom Ballett her, ich habe mit Martin N.studiert)
Da hat sich im Rezept ein Fehler eingeschlichen. Zitronensäure ist nicht Ascorbinsäure letzteres ist Vitamin C. Man gibt von Beidem dazu ! Nur so nebenbei!
Mit den Blüten lassen sich auch feine «Holunderküchle» wie sie in Deutschland oder «Holunderstrauben» wie sie in Österreich genannt werden, im Öl mit einem süsslichen Teig herausbacken.