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Für gleiche Rechte und Chancen

Portrait

Vor 57 Jahren veröffentlichte der Schriftsteller James Baldwin einen flammenden Essay «Nach der Flut das Feuer». Schwarze kämpften damals wie heute für Gleichberechtigung in ihrer Heimat, den Vereinigten Staaten von Amerika.

Den englischen Titel von Baldwins Essay The Fire Next Time könnte man auch anders übersetzen: «Das nächste Mal brennt’s.» Es hat seitdem oft gebrannt. Durch die Gewalt, die gegen schwarze Amerikaner ausgeübt wird, ist die Weltöffentlichkeit gerade in letzter Zeit wieder aufgeschreckt worden. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen, wie lange dieser Kampf schon dauert und wie den Schwarzen nur zögernd und oft genug halbherzig ein Schritt zu gleichen Rechten und Chancen zugestanden wurde und wird.

Dabei forderte der Autor, Humanist im besten Sinne des Wortes, nichts anderes als Gleichberechtigung für alle Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Herkunft. Es ist bedrückend, dass James Baldwin Szenen aus seiner Jugend schildert, die heute immer noch so vorkommen: «Warum bleibt ihr Nigger nicht in Harlem, wo ihr hingehört», sagte ein Polizist zu dem Jugendlichen, und dieser schreibt wenig später: «Es war klar, dass die Polizei uns verprügeln und festsetzen konnte, solange sie damit durchkam, . . . und dass die Weissen niemals aufhören würden, uns als Ventil für ihre Frustrationen und Feindseligkeiten zu benutzen.» Das schrieb Baldwin Anfang der 1960er Jahre!

James Baldwin im Hyde Park, London 1969  © Allen Warren / commons.wikimedia.org

Nach der Flut das Feuer ist kein Pamphlet, keine Kampfschrift gegen die weisse Vorherrschaft in den USA. Baldwin sieht sich nicht als Ankläger, obwohl er die Tatsachen genau benennt – und das schildert er anhand seiner eigenen Geschichte, seiner Jugend in Harlem. Wie sich seine Sicht auf die Gesellschaft entwickelt hat, zeigt er in diesem Essay auf. Er versteht es meisterhaft, prägende Szenen so lebendig und differenziert darzustellen, dass sie der Lesenden in Erinnerung bleiben, als hätte sie diese Bilder selbst gesehen.

Sein Talent, sich mitreissend auszudrücken, übte Baldwin schon als Jugendlicher. Er kam in Kontakt mit einer schwarzen Kirchgemeinde in Harlem und erlebte dort eine mystische Erweckung. Danach wurde er Jugendprediger und hatte damit einen Riesenerfolg. Allerdings blieb es seiner wachen Beobachtungsgabe nicht verborgen, dass die Kirchenstrukturen und ihre Repräsentanten ganz und gar nicht den biblischen Geboten und der Nächstenliebe entsprachen.

Durch seinen Bildungshunger und aufgrund der Tatsache, dass er in der Bronx, nicht in Harlem, eine höhere Schule besuchte, lernte Baldwin früh, über die durch seine schwarze Geburt gesetzten Grenzen hinauszuschauen. In dieser von vielen jüdischen Schülern besuchten Schule lernte er das Denken der weissen westlichen Intelligenz, was ihn später zu seinem von rassistischen Grenzen unabhängigen Denken führte. Er lernte damals zuerst einmal, dass dort Gott – im Unterschied zu den Gemeinden der Schwarzen – ein Weisser ist, dass die Schwarzen die Nachkommen von Ham seien, Noahs drittem Sohn, der als Schwarzer verflucht war, während in der schwarzen Kirche die Weissen als Nachfolger von Kain galten.

James Baldwin mit Charlton Heston (links im Bild) und Marlon Brando (rechts) auf dem Civil Rights March nach Washington 1963

Auf dem Weg zu seinen eigenen Überzeugungen kam Baldwin auch zu dem damaligen Oberhaupt der Black Muslim – dessen Nachfolger wurde der bekannte Malcolm X. Der Priester der Black Muslim hatte Baldwin zu sich eingeladen, als der junge Literat schon einen guten Namen besass. «Der Weissen Himmel ist der Schwarzen Hölle», sagte ihm dieser Priester. Baldwin konnte sich aber mit der sektiererisch wirkenden Organisation, die einen engstirnigen Islam pflegte, nicht anfreunden, zu sehr hatte er seinen Geist schon im kritischen Denken geschult. Der «feige Stumpfsinn der liberalen Amerikaner», konstatierte Baldwin, stärke allerdings die Bewegung der Black Muslim. Die Geschichte der folgenden Jahre zeigte es, auch Berühmtheiten wie der Boxer Muhammed Ali (früher Cassius Clay) bekehrten sich zum Islam. Übers Ganze gesehen, fand Baldwin, würden sie aber zur Anerkennung der Schwarzen wenig beitragen.

Das Selbstbewusstsein der Schwarzen zu stärken, wird mit der Zeit zu Baldwins wichtigstem Anliegen. Ihm geht es um die Verwirklichung der Menschenrechte und dem Aufbau einer humanistischen Gesellschaft für alle. Darin stehen Menschen aller Hautfarben und Rassen auf der gleichen Stufe. In Amerika sieht Baldwin die Weissen in ihren überkommenen Vorurteilen gefangen. «Der Preis für die (geistige) Befreiung der Weissen ist die Befreiung der Schwarzen», schreibt er. Baldwin pflegt nicht nur den Intellekt, ihm bedeutet auch Sinnlichkeit in allen ihren Formen sehr viel, darunter die Musik, der Jazz als die genuine Ausdrucksform der Schwarzen.

Das kürzlich erschienene Buch enthält nicht nur diesen neu übersetzten Essay, der den Titel gibt, sondern auch einen Brief an Baldwins zwölfjährigen Neffen, ein berührendes Plädoyer im gleichen Geist, aber mit Fürsorge für den Jungen und mit dem Ansporn zu selbständigem Denken. Das Vorwort aus heutiger Perspektive von Jana Pareigis, der Deutschen aus einer multiethnischen Familie, ist als Einführung in Baldwins Haltung ebenso lesenswert wie das Nachwort der Übersetzerin Miriam Mandelkow über «Das N-Wort und seine Übersetzung».

Über James Baldwin, 1924 in New York geboren und 1987 in Südfrankreich gestorben, sein Leben, sein Werk und seine Ausstrahlung auf seine Zeitgenossen, findet man hier weitere Informationen. Eine Episode soll nicht unerwähnt bleiben: Anfang der 1950er Jahre weilte James Baldwin einige Monate in Leukerbad VS zu einem Kuraufenthalt. Er hat darüber einen kleinen Text geschrieben: «Fremder im Dorf».

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer. dtv Taschenbuch 2020. 123 Seiten. ISBN 978-3-423-14736-1

 

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