In einem Monat ist Weihnachten. Ich mag gar nicht dran denken. Zu viel ist in diesem Jahr unsicher: Wer feiert wann mit wem, wie werden die Feiertage aufgeteilt, so dass sich nie zu viele Personen aufs Mal um den Tisch versammeln? Wer eine grosse Familie hat, muss da sorgfältig planen – oder den Gedanken an die Festtage einfach von sich schieben. Wie ich.
Dabei kann ich gar nicht in nostalgischen Erinnerungen schwelgen, auf prägende Familienereignisse verweisen. Bei uns war Weihnachten immer eher einfach und unspektakulär. Der ganz normale Wahnsinn halt in einer Familie mit vier Kindern. Kein Weihnachtsbaum, der mitten im Stille-Nacht-Gesang umgefallen wäre, kein Hund, der den Festtagsbraten gefressen hat. Denn wir hatten gar keinen Hund und Braten gab es an Weihnachten auch nicht. Sondern Pastetli.
Auch mit einem Nervenzusammenbruch infolge hausfraulicher Überlastung kann ich nicht aufwarten. Und dass unsere Tante/Grosstante, die Musikerin war, jeweils unsere Darbietungen mit Klavier, Geige, Cello und Flöten eher kritisch würdigte, ist auch nicht der Rede wert. Schön wars für uns allemal. Schön laut.
Da erinnere ich mich noch eher an meine Kindergartenzeit, als die Kindergärtnerin mit spitzem Finger auf meine vorweihnachtliche Zeichnung zeigte. Am unteren Rand des Papiers – im Hochformat – hatte es einen Stall mit Maria und Josef und komischen Viechern, die Ochs und Esel darstellen sollten. Und über dem Stall ganz viel Himmel. Den brauchte ich, damit der grosse, bunte Heissluftballon samt vielen Flatterwesen Platz hatte.
Bei meinen im Kindergarten gezeichneten Krippenbildern hatte es am Himmel statt eines Stern immer …
«Was soll das?», fragte die Kindergärtnerin, die meine manchmal überbordende Fantasie nicht allzu sehr schätzte. «Das sind die Engel», stotterte ich. «In einem Ballon?» Wir sangen im Kindergarten im Advent fast jeden Tag «Ihr Kinderlein kommet». Und dort heisst es doch «Hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor(b)». Und dieser Korb am Himmel konnte ja nur an einem Ballon hängen. Für eine andere Lösung fehlte mir schlicht die Fantasie.
… einen Heissluftballon samt grossem Korb. Heisst es doch in «Ihr Kinderlein kommet» «Hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor(b).»
Mein späterer Lebenspartner konnte mit einer ähnlichen Geschichte aufwarten: Er zeichnete in seinen Krippenbildern neben Ochs und Esel immer auch einen kleinen Buben. Gefragt, wer der denn sei, meinte er jeweils «der Owi». Aus «Stille Nacht»: Da heisst es in der zweiten Strophe «Gottes Sohn, oh wie lacht ….» Ja, und sein kleiner Owi hatte dann auch ein breites Grinsen im Gesicht.
Es ist dieser naive Kinderglaube, der einen wichtigen Teil des Weihnachtszaubers ausmacht. Wer erinnert sich nicht an die grossen Augen der Jüngsten vor ihrem ersten Weihnachtsbaum, ein Erlebnis, das sich später mit den Grosskindern wiederholte. Und immer wieder das Herz berührt.
Von Werner Bergengrün, dem deutsch-baltischen Schriftsteller, gibt es ein Weihnachtsgedicht, dass eine solche ans Herz gehende Weihnachtsfreude, eine wunderbar naive Weihnachtsfrömmigkeit ausstrahlt.
Das «Kaschubische Weihnachtslied»
Wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,/ wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!/ Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,/ wärst auf Daunen weich gebettet worden.
Nimmer wärst du in den Stall gekommen,/ dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen,/ der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,/ dich und deine Mutter zu verehren.
Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!/ Müsstest eine Schaffellmütze tragen,/ blauen Mantel von kaschubischem Tuche,/ pelzgefüttert und mit Bänderschleifen.
Hätten dir den eignen Gurt gegeben,/ rote Schuhchen für die kleinen Füsse,/ fest und blank mit Nägelchen beschlagen!/ Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!
Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!/ Früh am Morgen weisses Brot mit Honig,/ frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,/ mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke, Buttersosse.
Gänsefleisch und Kuttelfleck mit Ingwer, fette Wurst und goldnen Eierkuchen,/ Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!/ Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!
Und wie wir das Herz dir schenken wollten!/ Sieh, wir wären alle fromm geworden,/ alle Knie würden sich dir beugen,/ alle Füsse Himmelwege gehen.
Niemals würde eine Scheune brennen,/ sonntags nie ein trunkner Schädel bluten, –/ wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,/ wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!
Hier finden Sie bereits veröffentlichte Beiträge der Serie „Weihnachtsgeschichten“, verfasst von den Redaktionsmitgliedern:
Linus Baur: Es führt kein Weg an Corona vorbei
Christoph Landolt und Eva Caflisch: Der Mann aus Teig hat viele Namen
Wunderschön!
Danke fürs Teilen Ihrer Erinnerungen und dieses herzerwärmende Gedicht! Der 2020er-Blues hat bei mir keine Chance mehr nach diesem Beitrag.
Schöne Festtage mit viel Jubel, von oben oder so….