Am liebsten hätte ich das Buch: «Der Schiffskoch» von Mathijs Deen auf einer Bank am Ufer des Vierwaldstättersees gelesen. Wenn das Wetter denn mitgespielt hätte. Aber dem war nicht so!
Die Parallelen mit dem historischen Dampfschiff «Wilhelm Tell» sind unübersehbar: Das Feuerschiff «Texel» ist bei der Stadt Den Helder in Nordholland vor dem Ufer verankert und weist anderen Schiffen in der Nacht durch sein Leuchtfeuer den Weg. Auch «Wilhelm Tell» ist in Luzern vor dem Ufer verankert und weist hungrigen Touristen den Weg.
Und hier die wichtigste Parallele: Auf beiden Schiffen hat es einen Schiffskoch! (Achtung: die Vergleiche sind ironisch gemeint!)
Genug der Spielereien. Über das von Mathijs Deen beschriebene Feuerschiff «Texel» habe ich im Internet sehr viel gelernt. Absolut bewundernswert finde ich, wie uns der Autor die historisch belegten Fakten der Pflichten und des Zusammenlebens dieser Männer auf engem Raum nachvollziehbar in einem «zeitgenössischen» Roman präsentiert. «Wann legt die «Texel» wohl wieder einmal an?» dachte ich immer wieder. Antwort: “Im Museum ist sie zu besichtigen!“
Auf der «Texel» leben
Die Sprache des Buches ist eindrücklich, bildhaft und bewegt unser Gemüt. Mit der Beschreibung kleiner Gesten wird Wichtiges erzählt. Gleich zu Beginn fasst der Autor die Eigenart dieses Lebens auf dem Schiff in einen einzigen Satz: «Es war ein Sprung in die Freiheit, weg von diesem Gefängnis, von der Vergeblichkeit und Melancholie dieses verankerten Schiffs, das niemals fuhr und niemals ankommen würde». Man muss sich dieses «Lebensgefühl» einmal vorstellen, auf einem Schiff, das «niemals fährt und niemals ankommen wird!»
Aber der Auftakt besteht nicht nur aus Melancholie. Leckeres wird in Aussicht gestellt. Der Koch erscheint. «Gulai kambing», sagte er, «Ziegencurry, aber von einem Böckchen, das noch nicht entwöhnt ist. Wenn man das einmal gekostet hat, weiss man, wie zart Schmorfleisch sein kann. Das vergisst man nie wieder».
Diese Vorstellung eines Schmorfleischeintopfes durchweht das Buch, beflügelt die Phantasie der Matrosen. Einige erfüllt diese Aussicht mit Bangen. Und den Koch selbst rettet ein fiebriger Anfall, retten Jugenderinnerungen, vor seiner Entscheidung, das fein geschliffene Messer wirklich zu gebrauchen. Entwarnung: Das Böckchen, der zukünftige «Schmorfleischeintopf», hat zahleiche erheiternden Auftritte auf dem Schiff und ist am Ende der Erzählung noch so lebendig wie am Anfang.
Ein anderes Thema des Buches befasst sich mit Konfliktlösung. Offene Fragen entstehen häufig bei einer Besatzung von elf ganz unterschiedlichen Männern. Immer wieder hat der Kapitän sein letztes, ruhiges Wort: «Dann machen wir`s so» oder «Wir machen das so».
Wir lernen sehr viel in diesem Buch. Nicht nur über das Deuten der Himmelserscheinungen und das Funktionieren eines Schiffes mit ganz besonderer Aufgabe. Nein, auch über die Dynamik einer bunt zusammengewürfelten Männergruppe mit dazugehörendem Ziegenböcklein auf einem ganz besonderen Schiff, das «niemals fährt und niemals ankommen wird».
Autor
Natürlich war ich gespannt, wessen Phantasie eine solch warmherzige Geschichte in nasskaltem Milieu entsprungen war. Mathijs Deen ist 1962 geboren, studierte Niederländisch, arbeitete beim Radio, veröffentlichte Radiokolumnen, Kurzgeschichten, Romane. 2018 erhielt der den Halewijnpreis. Das ist ein niederländischer Literaturpreis. Er wird an Autoren vergeben, die dank der Qualität ihres Werkes Aufmerksamkeit verdienen.
Ich wünsche Mathijs Deen den Durchbruch auch im deutschsprachigen Raum! Zur Übersetzung von Andreas Ecke kann ich mir mangels entsprechender Kenntnisse kein Urteil erlauben. Dazu nur soviel: Nie habe ich beim Lesen daran gedacht, nicht den Originaltext in Händen zu halten!
Mathijs Deen: «Der Schiffskoch». Übersetzung aus dem Niederländischen Andreas Ecke 2021 mareverlag, Hamburg. ISBN 978-3-86648-650-8