StartseiteMagazinKulturHofkünstler und Horror-Zeichner

Hofkünstler und Horror-Zeichner

Zum 275. Geburtsjahr zeigt die Fondation Beyeler mit Francisco de Goya (1746–1828) einen der letzten grossen Maler an einem Königshof und zugleich einen der Pioniere der Moderne.

Endlich ist die Goya-Ausstellung in der Fondation Beyeler angekommen. Zur Eröffnung reist sogar die spanische Königin Leticia an; der Direktor des Prado-Museums zeigt sich hochzufrieden. Eine Wucht sei sie, heisst es in den Medien. Die über die ganze Pandemiezeit gehegte Hoffnung auf eine sensationelle Schau ist erfüllt. Nicht nur wegen der ikonischen bekleideten Maja, die nun bis im Januar 2023 in Riehen ihr Publikum bezirzt, sondern auch wegen der vielen teils noch nie ausserhalb Spaniens gezeigten Gemälde sowie der Skizzen und Litographien aus Goyas Spätzeit im französischen Exil.

Blick in die Ausstellung: Porträts der Königsfamilie: Carlos IV., 1789, der Infant, 1800, Maria Luisa im Reifrock, 1789.

Im Auftrag des Königshauses und des Adels sowie reicher Bürger malte Goya Porträts der Herrschenden und deren Entourage, Bilder schöner Frauen, allen voran der Herzogin von Alba, Porträts von Feldherren und Staatsmännern. Selbst dabei leistete sich der Künstler Regelverstösse und kleine Freiheiten.

Beispielsweise beim grossen Familienbild des Infanten Don Luis gleich am Beginn des Rundgangs: Statt der zu erwartenden steif geordneten Gruppe im Festgewand stehen viele Personen mit mehr oder weniger Interesse um einen Tisch, an dem Don Luis vor einem Kartenspiel sitzt, während in der Bildmitte seine junge Frau – eine Mésalliance – im Négligée frisiert wird. Rechts vorn ist der Maler am Werk, beobachtet von einem Mädchen, wohl einer Tochter des Paars.

La maja vestida, 1800-1807, Museo Nacional del Prado, Madrid © Photographic Archive. Museo Nacional del Prado. Madrid

Auftragsmalerei war auch die nackte Maja fürs geheime Kabinett von Premierminister Manuel de Godoy, den er als Friedensfürst porträtiert hat. Heute hängen beide Majas nebeneinander im Prado, sofern die eine nicht ausgeliehen ist. Diesmal eben nach Basel. Die beiden Majas wurden 1815 von der Inquisition als obszön beschlagnahmt und Goya verlor Amt und Würden eines Hofmalers, nachdem er kurz davor durch das Ancien Régime wieder rehabilitiert worden war.

Zwei Maja-Gemälde mit Balkon, eines davor Vorlage für Edouard Manets berühmten Balkon, zeigen junge Frauen, die ihre Dienste anpreisen, wobei düstere Gestalten – einmal die Kupplerin, einmal undefinierbare Herren – den Hintergrund abgeben.

Edad con desgracias (Ungemach des Alters). 1814-23 Skizzenbuch C, Museo Nacional del Prado, Madrid

Von diesen und anderen Bildern kursieren noch und noch zahllose schlechte Kopien und Fotos. In Riehen sind nun die Originale zu sehen. Fast oder gänzlich unbekannt sind dagegen die Blätter aus den Skizzenbüchern, die Goya bis zu seinem Tod gefüllt hat. Einfache Alltagsszenen mit witzigen zweideutigen Titeln, oder auch Zeichnungen zum Alt werden und politische Blätter wurden vom Kurator ausgewählt.

Francisco de Goya wurde bei Saragossa als Sohn eines Vergolders und einer Landadeligen geboren, lernte bei einem Kirchenmaler das Handwerk, bevor er in Madrid in kurzer Zeit zum angestellten und renommierten Hofkünstler wurde. Sein Interesse galt ebenso dem Alltagsleben der kleinen Leute, denen er begegnete, in friedlichen und in kriegerischen Zeiten, und er thematisierte immer wieder Aberglauben, Siechtum, Mord und Totschlag.

Hospital für Pestkranke (Hospital de apestados), 1808–1810 . Sammlung Marqués de la Romana

1793 erkrankte er schwer und verlor das Gehör. Das schmälerte seine Karriere nicht, wohl aber schärfte es seinen Blick auf die ungleiche Gesellschaft seiner Zeit. Nochmals 1819 wurde er todkrank. Eins der berührendsten Selbstporträts zeigt ihn mit seinem Arzt. Erst mit den Repressionen des absolutistischen Herrschers Fernando VII. entschied er sich fürs Exil in Bordeaux. Bis zu seinem Tod 1828 entwickelte er sich künstlerisch weiter, beispielsweise mit der neuen Technik der Lithografie. In dem vierteiligen Zyklus der Stiere von Bordeaux ist das Heldenhafte des Stierkampfs, den er zeitlebens geschätzt hatte, durch das Gewalttätige und Blutrünstige zum Ritual der Abschlachtung geworden.

Dibersion de España (Spanische Vergnügung) 1825. Kreidelithografie. Museo Nacional del Prado, Madrid

Denn nicht nur das Lichte und Edle malte er, eine Schattenwelt des ñaund Tabuisierten darzustellen, war ihm unverzichtbar. Der Raubüberfall auf die Kutsche – ein nicht seltenes Ereignis – gab ihm die Möglichkeit, die Ängste der Edlen und die Brutalität der Banditen zu zeigen. Das Gemälde der fröhlich naiven Mädchengruppe beim Spiel mit einer Strohpuppe taucht später als unheimliche Grafik wieder auf. Einer eindimensionalen Deutung entziehen sich Goyas Werke, selbst in scheinbar simplen Szenen steckt Komplexität. Das gilt auch für die Titel, die in der Übersetzung manchmal banalisiert werden: Ein Stierkampfbild heisst original Suerte de matar (Das Glück zu töten) übersetzt: Der Matador tötet den Stier.

El sueño de la razón produce monstruos, 1797–1799 Sammlung E. W. K., Bern, Caprichos, 43, 1. Aufl., Foto: Courtesy Galerie Kornfeld, Bern

Wer das berühmte Capricho mit dem Schläfer am Tisch kennt, der von Eulen und anderem Getier heimgesucht wird, weiss auch von der Doppeldeutigkeit des Titels El sueño de la razón produce monstruos: Erscheinen die Ungeheuer, wenn die Vernunft schläft, statt wachsam zu sein, oder sind sie die Albträume der Vernunft? Das Wort Sueño bedeutet Schlaf und Traum.

Die Caprichos, eine 80teilige Serie von Radierungen, hat Goya 1799 veröffentlicht. Sie fanden ihr Publikum, aber auch die Aufmerksamkeit der Inquisiton, denn der Künstler, desillusioniert und depressiv, zog alles, auch die Kirche durch den Kakao. Er schenkte die Druckplatten dem König und entzog sie damit einer Vernichtung. Sein späteres noch schwärzeres Grafikwerk Los desastres de la guerra wurde zu Lebzeiten gar nicht veröffentlicht.

Von der Serie kleiner Gemälde für den Marqués de la Romana sind elf Bilder noch heute im Besitz der Familie. Gemalt hat Goya sie um 1806 bis 1808, als der Unabhängigkeitskrieg gegen das napoleonische Frankreich einsetzte. Es geht um Kriegsverbrechen, Vergewaltigung, Epidemien, Siechtum. Acht dieser eindrücklichen Kabinettbilder sind nun erstmals ausserhalb Spaniens zu sehen.

Dem grossen Künstler war die kreative Freiheit wichtig, mit ein Grund, warum seine Wirkungsgeschichte bis heute nicht abgerissen ist, Ingres und Delacroix folgten ihm, Picasso oder Francis Bacon war er ein Vorbild.

Si son de otro linage (Wenn sie von anderer Herkunft sind) 1810. Galerie Kornfeld, Bern. Aus: Desastres de la guerra, Probedruck

Wer sich auf die provokative Energie der Motive aus dem Leben des Plebs, der mordenden Banditen und Soldaten, oder der hoffnungslos dahinsiechenden Menschen in Gefangenschaft oder auf der Flucht einlässt, kann sich der Aktualität kaum entziehen, die uns aus Kriegs- und Krisengebieten als Bilderflut überschwemmt.

Goya hat beobachtet und aufgezeichnet – kommentarlos die Abgründe menschlichen Tuns gezeigt und damit wohl auch Kritik an der Aufklärung seiner Zeit geübt, welche eine bessere Welt aufgrund vernünftigen Handelns propagiert hat. Für Goya gibt es keine Guten und keine Bösen, nur solche, die das Leben verlieren und andere, die würdelos den Kampf gewonnen haben.

Besugas (Stillleben mit Goldbrassen), 1808–1812 The Museum of Fine Arts, Houston. Foto: © The Museum of Fine Arts, Houston

Während der Schreckensherrschaft hat Goya auch Stillleben gemalt – keine Früchtekörbe oder hübsch arrangierte Gaben der Natur: Hier ist die Todesfurcht des barocken Memento mori drastisch und ungeschönt Fleisch auf der Leinwand.

Die Ausstellung über Goya ist in einem Museum für moderne Kunst, wie es die Fondation Beyeler ist, am richtigen Ort. 170 Werke sind in Riehen zusammengetragen worden, und Martin Schwander, der Kurator legt dem Publikum ans Herz, die Grafik und die Zeichnungen der Malerei gleichwertig zu setzen, damit der ganze Goya erfahren werden könne.

Titelbild: Selbstbildnis mit dem Arzt Arrieta. 1820. Minneapolis Institut
of Art. (Ausschnitt)
Zur Ausstellung ist ein sehr aufschlussreiches Begleitbuch, herausgegeben von Kurator Martin Schwander in deutsch, englisch und spanisch erschienen. Fondation Beyeler, Riehen, 2021.
10. Oktober bis 23. Januar 2022
Hier finden Sie weitere Informationen für Ihren Besuch. 

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1 Kommentar

  1. Was für eine fesselnde Umschau in das künstlerisch sichtbar gemachte Leben eines Menschen – zwischen äusserlichem Pomp und Glanz und innerlichem Mitleiden an Elend und Schrecken!

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