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Vorschläge zu einer Reform des Gesundheitswesens

Im Gesundheitswesen befinden sich die Diskussionen und Reformvorschläge wie die steigenden Gesundheitskosten in einer Endlosschleife. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Anreize falsch gesetzt und die Produkte und verrechenbaren Leistungen zu teuer sind. Ausser den Prämienzahlenden scheint niemand ein Interesse an Kosteneinsparungen zu haben: die Leistungsanbieter nicht, weil das zu Einnahmeneinbussen führte; aber auch die Patientinnen und Patienten möchten keinen grundlegenden Systemwechsel, denn sie
befürchten, dass es dabei auch zu Leistungskürzungen kommen könnte, eine Sorge, die die Prämienzahlenden als potentielle Patienten und Patientinnen teilen. Keiner der Stakeholder ist darum an grundlegenden Reformen im Gesundheitswesen interessiert. Die Folge sind Überbehandlung und Überteuerung bei gewinnbringenden und Unterversorgung bei nicht gewinnbringenden Leistungen, wie zum Beispiel Palliative Care und allgemein den Pflegeleistungen.

Das Gesundheitswesen wird, wie mittlerweile gesellschaftliches Entscheiden und Handeln allgemein, vom Wirtschaftlichkeitsdenken bestimmt. Die Profiteure des Gesundheitswesens nutzen die Angst der Menschen vor Krankheit, Sterben und Tod schamlos aus. Beispielhaft stehen hierfür die Preiserhöhungen für die Covid-19-Impfungen während der Pandemie oder bis zu 85 Prozent Gewinnmargen bei Krebsmedikamenten. Jede noch so kleine Reform im Gesundheitswesen wird von den Interessengruppen mit dem Argument verhindert,
dass diese zur Rationierung von Behandlungsleistungen führen würde.

Die immensen Einnahmen im Gesundheitswesen führen gerade in der Schweiz zu grosser politischer und medialer Einflussnahme. Die Chemie- und Pharmaindustrie macht mit 116 Milliarden 52 Prozent des Exportvolumens der Schweiz aus. Weltweit gehören Chemie- und Pharmaindustrie zu den profitabelsten Sparten. Längst beeinflussen sie mit kartellähnlichen Strukturen auch international politische Entscheidungen zu ihren Gunsten.

Die Politik und leider auch die meisten Medien erweisen sich als ihre willfährigen Dienerinnen. Noch so dreisten Verkäufen und Handlungsvorschlägen stimmt die Politik in geheim gehaltenen Verträgen zu. Seien dies der Kauf von Behandlungen wie Tamiflu oder Impfungen für Milliarden, die wegen ihrer fehlenden Wirksamkeit oder surrealer Einkaufszahlen später zum Teil wieder entsorgt werden müssen. Dass sowohl der Bundesrat als auch die Pharmaindustrie die Preise von neuen Medikamenten generell zur Geheimsache erklären wollen, spricht für sich. Es erstaunt denn auch nicht, dass z. B. unter den Beratenden des Bundesrats für den Kauf der Covid-19-Impfstoffe ein ehemaliger Pharmavertreter figuriert oder dass ein früherer Konzernanwalt der Pharmaindustrie in der Schweiz Gesundheitsdirektor sein kann.

Der neueste Trend unter den Lobbyisten ist der Vorwurf, die Schweiz habe zu wenig raschen Zugang zu Medikamenten. Die Pharmaindustrie soll darum von Beginn weg den Preis selber bestimmen können. Nach einem Jahr soll ein Schiedsgericht ihn beurteilen. Bei diesem will man explizit, dass nicht mehr gesetzliche Bestimmungen zum Tragen kommen. Nachdem das Swiss Medical Board, das unabhängige, wissenschaftlich fundierte Kosten-Wirksamkeits-Analysen in Hinblick auf die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen mit professioneller ethischer und rechtlicher Einschätzung vorgenommen (HTA) hatte, seine Tätigkeit hat einstellen müssen, ist davon auszugehen, dass dieses «Schiedsgericht» wohl kaum ein unabhängiges HTA-Gremium sein wird. Professionelle Nutzenbewertungen werden von den Stakeholdern in der Regel sabotiert.

Auch in den neuesten politischen Vorschlägen fehlen solche für ein professionelles HTA: Eine SP-Initiative will weg von der Kopfprämie bei den Krankenkassen und stattdessen eine höhere Besteuerung der Besserverdienenden. Es sollen künftig nicht mehr als 10 Prozent des Einkommens für Krankenkassenprämien ausgegeben werden müssen. Diesem Vorschlag ist zugute zu halten, dass er angesichts der Tatsache, dass gut gebildete und/oder gutverdienende Menschen in der Schweiz meist auch gesünder sind und länger leben, einen Ausgleich schüfe. Am derzeitigen Anreizsystem im Gesundheitswesen würde er aber nichts ändern. Die «Kostenbremse-Initiative» der Mittepartei mit einem Kostendach setzte einen Anreiz gegen Kostenerhöhung und Mengenausweitung, ohne jedoch zu sagen, wie dann priorisiert werden soll. Gegen diese Initiative lässt sich mit der Angst vor einer Rationierung von Gesundheitsleistungen leicht Stimmung machen.

Die beiden Initiativen werden wohl an der ständigen Ausweitung von Leistungen und z. T. horrenden Preisen im Gesundheitswesen kaum etwas ändern. Es brauchte im ambulanten ebenso wie im stationären Sektor demokratisch verbindlich festgelegte Kosten-Wirksamkeits-Schwellen für Leistungen, verbunden mit transparenten und unabhängigen HTA-Prozessen mit ethischer und rechtlicher Einschätzung. Damit könnte ein Qualitätswettbewerb initiiert werden und zugleich eine offene und realistische Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen von Therapien im Gesundheitswesen in Gange kommen. Dazu gehörte auch eine Auseinandersetzung in der Gesellschaft rund um Krankheit, Sterben und Tod. Gegenwärtig stellt ein solcher Vorschlag eine Utopie dar. Aber zumindest Utopien sollte man auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen nicht aufgeben. Vielleicht wird dann doch der eine oder andere Gedanke irgendwann aufgenommen werden.


Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin Institut Dialog Ethik

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1 Kommentar

  1. Der Verweis auf die wirtschaftlichen Interessen, welche echte Änderungen verhindern und sich durch Lobbying Einfluss sichern, ist natürlich richtig. Aber ebenso ist Bequemlichkeit im Denken beteiligt, bis weit ins Gesundheitswesen hinein. So forden uns zwar Krankenkassen auf, uns zu bewegen und nach Möglichkeit die Bewegung in unsere täglichen Wege (z.B. Arbeitsweg) einzubauen. Aber wer per Velo das Kantonsspital Baden aufsucht, findet am Areal-Eingang drei offizielle Tafeln, welche auf Auto-Parkplätze hinweisen, aber keinen einzigen Hinweis, wo «erlaubte» Velo-Abstellplätze zu finden sind. Mehrmalige Hinweise an die Spitalleitung fruchteten nichts. Auch bei der Ernährung will dieselbe Spitalleitung nicht mit dem guten Beispiel vorangehen. Bei einer Präsentation der Fortschritte eines Neubaus wurde kürzlich (Juni 2022) dem Publikum für den gemütlichen Abschluss «Wurst, Brot und Bier» in Aussicht gestellt … (Ganz verschämt lagen dann neben vielen Würsten auch noch einige Stücke Grillkäse bereit.)

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