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Zu Besuch bei Alois Wyss

Vor einem halben Jahr leitete Alois Wyss (80) in Thun seine letzte offizielle Viehauktion. Die Hände in den Schoss legen mag der Pensionär aber (noch) nicht. Ein Besuch beim berühmtesten Gantrufer der Schweiz.

Knapp sechzig lange Jahre leitete Alois Wyss in der ganzen Schweiz öffentliche Viehauktionen sowie private Versteigerungen. Es gab Jahre, da fuhr er 55 000 Kilometer, von Veranstaltung zu Veranstaltung. Landesweit zählt man fünfzehn öffentliche Gant-Orte. Seinen Wohnort behielt der vierfache Familienvater in Grosswangen (in der Nähe von Sursee) bei. Dass keines seiner Kinder in seine Fussstapfen trat, bedauert der Luzerner sehr. Denn schon sein Urgrossvater, der Grossvater, der Vater waren Gantrufer.

Vor seinem Elternhaus in Grosswangen (LU).

Sechs Monate nach seiner Pensionierung hat Seniorweb den weisshaarigen Hünen im «Längacher» besucht. Stolz zeigt er dem Besucher aus der Stadt seinen Pinzgauer Mutterkuhbetrieb, den er gemeinsam mit Ehefrau Annelis führt. Knapp dreissig Tiere und ein paar Hühner versorgen die beiden täglich. Wyss liebt seine Tiere. «Sie geben mir viel Energie.» Jede Kuh besitzt einen Namen. Vor ein paar Wochen verzeichnete er zwei Aborte. Das schmerzte ihn sehr.

Den Hof mit dreizehn Hektaren Umschwung betrieben schon seine Vorväter. Die Familie hat Schicksalsschläge erlebt: Als Jugendlicher überlebte Wyss einen Güllenloch-Unfall, später einen Traktorunfall. Dreimal brannten Gebäude: 1915, 1955 und 1996. Vor 67 Jahren starben vierzig Kühle und zwei Pferde im Feuer. Wyss rappelte sich immer wieder auf und schuftete weiter. «Ich bin unverwüstlich», sinniert er mit einem Augenzwinkern.

Moderne Gant erfunden

Alois Wyss. «Ich bin der glücklichste Mensch.»

Schweizweit berühmt geworden ist der gelernte Landwirt für die Erfindung der modernen Gant: Vor 44 Jahren probierte er zusammen mit Senior Bach in Gstaad «etwas Neues» aus. Ein Unterhaltungsevent für die Landbevölkerung, auf dem Kühe und Kälber verkauft wurden. In den ersten Jahren musste er viel Kritik einstecken. «Die ganze Schweiz lachte über mich», erinnert er sich. Die Bauern waren skeptisch, die Viehhändler wollten nicht kooperieren, ab und zu scheiterte er an seinem hausgemachten Perfektionismus. Doch dann setzte sich die heutige Form von Gant durch und wurde landesweit zu einem Erfolg. Bis heute.

Die Händler, Bauern, Käufer und Verkäufer lieben Wyss` Zuverlässigkeit, seine Verbundenheit mit dem Bauernstand, seine Effizienz, den Witz. Im Ring zeigte er maximale Konzentration und grösste Intensität. Kein Angebot entging dem Ausrufer. Wenn ihm eine Offerte als zu gering erschien, dann steigerte er die Kadenz seiner Sprache, nahm potentielle Käufer ins Visier und unterhielt das Publikum mit seinen Wortsalven. Seniorweb konnte sich im vergangenen Dezember im Emmental von Wyss` Unterhaltungstalent überzeugen.

Volle Konzentration: Dem Gantrufer entgeht kein Angebot.

«Das Chalb het e Riese-Zuekunft. Pack die Glägeheit bim Schopf, die Chance chunnt nie meh.» «Du bisch e bäumige Ma und wirsch prima schlafe, wenn du die Bombe-Chueh choufsch.» «Das Tier passt genau i di Stall. Du wirsch dr Chouf nid bereue.» «Mit dere Chue gieng i lieber spaziere als mit dr Sommaruga», lauteten einige Müsterchen aus seinem Repertoire. War der Kauf besiegelt, dann folgte stets ein Nachsatz: «Grandios. Viel Glück mit däm Tier.»

Vor Beginn einer Auktion ging der Profi-Verkäufer regelmässig durch die Reihen der anwesenden Bäuerinnen und Bauern, grüsste links, grüsste rechts und informierte sich im Gant-Büro über Besonderheiten der Auktion. Dabei musste auch er sich regelmässig Sprüche gefallen lassen: «Hesch d` Pille hüt scho gno, Alois?» Im Vorbeigehen scherzte Wyss zu einem offensichtlich kaufwilligen Bauern: «Wenn Du hüt zäh Chüeh choufsch, gib i Dir die Zähti gratis.»

Sozialkompetenz und das richtige Gespür

Am vergangenen 28. Januar wurde Wyss 80 Jahre alt. «Alt genug, um als Gantrufer aufzuhören,» wie er damals lakonisch meinte. In der Markthalle Thun wurde er verabschiedet. Thun gehörte zu seinen Lieblings-Gantplätzen. Überhaupt war dem Verkaufsprofi das Berner Oberland sehr ans Herz gewachsen. Er mochte die Berge, die grossen Familien. Hier gibt es überdurchschnittlich viele kleine Bauern, die auf ihren Betrieben um ihre Existenz kämpfen. Die Mentalität der Oberländerinnen und Oberländer war für Wyss speziell: «Die Leute sind bescheiden, aufrichtig und dankbar.»

Vor einem halben Jahr leitete Alois Wyss in Schüpbach (Emmental) seine zweitletzte Viehauktion.

Sozialkompetenz und das richtige Gespür für schwierige Entscheidungen zählten zu seinen Stärken: Alois Wyss hat mehrere Fälle erlebt, in denen ein zur Auswanderung entschlossener Bauer sein gesamtes Hab und Gut verkaufen wollte und die Ehefrau den Gantrufer noch am Abend vor der Auktion unter Tränen anrief und bat, ihren Mann vom Vorhaben abzubringen. «Solche Situationen haben mich fast zerrissen», erzählt der Pensionär.

Tragische Momente

Nahe gingen ihm auch sieben Suizide von Landwirten, die zu Auktionen führten. Eine negative Erfahrung war für ihn eine Gant in Worb vor drei Jahren: Obwohl er nicht Organisator der Veranstaltung war, prasselte die Kritik wegen Unzulänglichkeiten auf ihn ein. «Ich musste meinen Buckel für etwas hinhalten, was ich nicht zu verantworten hatte,» bedauert Wyss bis heute.

Am Esstisch im Wohnzimmer.

Doch der Vollblut-Rhetoriker hegt auch viele schöne Erinnerungen an seine berufliche Tätigkeit. Dazu gehört die Gant einer Auswandererfamilie in Bulle (Kanton Freiburg). Für sie durfte er vor drei Jahren 150 hochwertige Tiere, eine schöne Immobilie und einen grossen Maschinenpark versteigern. Der Erlös erleichterte der Familie den Neustart in Übersee.

Verändert haben sich in den letzten Jahren die Grösse der Maschinenparks und die Leistungsfähigkeit des Viehs. Während Milchkühe vor sechzig Jahren im Durchschnitt zwanzig Liter Milch pro Tag gaben, versteigert er heute regelmässig Kühe mit einer Tagesleistung von bis zu fünfzig Litern.

Standardisiert wurde der Einlieferungsprozess bei Auktionen: Wer eine Kuh zum Verkauf abgibt, muss deren Gewicht, die Milchleistung, den Fett- und den Eiweissgehalt der Milch angeben. Von Interesse ist auch, ob das Tier von einem Silo- oder von einem Biobetrieb stammt, wann die Kuh zum letzten Mal gekalbt hat und von welchem Stier der Samen stammte. Eine gute Kuh zeichnet sich laut Wyss durch «ein sauberes Fundament, Langlebigkeit und einwandfreie Milch» aus.

Wyss mit seinem zweiten Grosskind, Samuel.

Der Abschied vom Gantwesen fiel dem Luzerner nicht leicht. Weil das Reisen und Handeln in seiner DNA liegen, betätigt er sich auch in der Pension mit der Vermittlung von Landwirtschaftsbetrieben. Ab und zu tritt er als Speaker auf Fussballfesten, Käsemärkten oder auf einem Kirchen-Bazar auf.

In Zukunft will er mehr Zeit für und mit seiner Familie verbringen sowie seine Grosskinder hüten. Livio, der ältere der beiden Buben, hilft beim Kühe Füttern. «Ich habe eine grossartige Frau und eine tolle Familie. Ohne sie hätte ich die letzten sechzig Jahre nicht so erfolgreich bewältigt,» betont er am Schluss des Besuchs: «Meine Charaktereigenschaften habe ich von meinem Vater geerbt. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.»

Titelbild: Alois Wyss vor dem Laufstall seines Betriebs in Grosswangen (LU). Alle Fotos PS.

LINKS

Ein Tag im Zeichen einer Auktions-Legende (Bauernzeitung, Dezember 2021)

Video: Alois Wyss – der Profi-Gantrufer (SRF Dok, Juli 2013)

 

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