Manchmal geht es einem Mitmenschen nicht gut. Wie lässt sich eine Depression erkennen? Und was kann man in einer solchen Situation tun? Antworten auf diese Frage liefert Fachpsychologin Jutta Stahl.
Frau Stahl, gibt es im Winter mehr depressive Menschen?
Jutta Stahl: Licht hat einen Einfluss auf unsere Stimmung. Es gibt Menschen, die fühlen sich in der dunkleren Jahreszeit besonders niedergeschlagen. Depressionen, die auf Lichtmangel zurückzuführen sind – sogenannte saisonale Depressionen – sind in unseren Breitengraden aber sehr selten. Deshalb sprechen wir hier eher von depressiven Verstimmungen.
Woran kann ich erkennen, dass eine Person depressive Symptome hat?
Depressive Menschen verlieren das Interesse an Aktivitäten, die ihnen zuvor Freude bereitet haben. Sie ziehen sich oft zurück, fühlen sich wertlos und wollen niemandem zur Last fallen. Betroffene haben meist Mühe, sich zu konzentrieren, sind energielos und es fällt ihnen schwer, den Anforderungen des täglichen Lebens nachzukommen. Während einer depressiven Episode sehen Betroffene alles negativ – auch die Zukunft. Das mündet nicht selten in der Sehnsucht, dem Leben ein Ende zu setzen. Dauert ein solcher Zustand länger an als zwei Wochen, muss man das ernst nehmen.
Was kann ich tun, wenn ich vermute, dass eine Person aus meinem Umfeld eine Depression hat?
Man sollte die Person unbedingt darauf ansprechen: Beispielsweise mit «Ich habe beobachtet, dass du dich in der letzten Zeit verändert hast und mache mir Sorgen. Ich befürchte, dass sich bei dir eine Depression entwickeln könnte.» Als nächsten Schritt sollte man der Person nahelegen, sich Hilfe zu holen.
Und wenn jemand keine Hilfe annehmen möchte?
Die Person trotzdem nicht im Stich lassen und immer wieder dazu ermuntern. Wenn man jemandem in dieser Situation mit Verständnis, Mitgefühl und Wohlwollen begegnet, lässt er oder sie sich mit der Zeit vielleicht doch darauf ein.
Wie gehe ich damit um, wenn mir jemand erzählt, dass er lieber nicht mehr leben würde?
Jutta Stahl: Solche Äusserungen muss man immer ernst nehmen! Wichtig ist, darauf einzugehen und nachzufragen: «Wieso quälen dich solche Gedanken?» Die meisten Menschen möchten nicht wirklich sterben, sondern ihr Leiden nicht länger ertragen müssen. Gibt man ihnen die Möglichkeit, über diese Ambivalenz und ihre emotionale Not offen zu sprechen, wirkt das immer entlastend. Mit spontanen Reaktionen wie: «Du hast doch so viel, für das es sich lohnt, zu leben!» oder «Das kannst du deinen Nächsten nicht antun!» verstärkt man nur die Schuldgefühle. Und man verhindert, dass die Person das Vertrauen hat, sich zu öffnen. Auch hier ist es wichtig, die Person zu motivieren, Hilfe zu holen oder selbst Hilfe zu organisieren.
Hilfreiche Informationen zum Thema
Auf der Website www.wiegehtsdir.ch gibt es Tipps, wie man mit Menschen ein Gespräch führen kann, denen es nicht gut geht. Wenn man um jemanden besorgt ist, findet man auf www.suizidpraevention-zh.ch hilfreiche Informationen sowie Adressen von Fachstellen.
Das Interview führte Franziska Herren von Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich.
Jutta Stahl (Bild) ist Fachpsychologin für Klinische Psychologie und für Psychotherapie FSP sowie Gerontopsychologin und Supervisorin.