StartseiteMagazinKulturPhilosoph mit scharfer Zunge

Philosoph mit scharfer Zunge

Mike Müller ist nicht nur ein gefragter und erfolgreicher Schweizer Schauspieler. Sondern auch ein diplomierter Philosoph. Derzeit tourt er mit seinem Programm «Erbsache» durch die Lande und spielt alle darin vorkommenden elf Rollen selbst.

«Dieser Erbschaftsprozess ist wie ein letztes Familientreffen – einfach unter etwas komischen Vorzeichen: Der Vater ist gestorben und jetzt geht es ans Verteilen. Das ist so etwas wie Fronleichnam und Weihnachten gleichzeitig: eine Abdankung mit Geschenken.»

Dies sagt der Schauspieler Mike Müller in seinem aktuellen Bühnenprogramm «Erbsache – Heinzer gegen Heinzer und Heinzer». Oder genauer: Müller legt diese Sätze einem seiner insgesamt elf Charaktere in den Mund. Die Figur fährt fort: «Aber das grösste Geschenk haben wir ja schon lange vererbt erhalten – und auf das bezahlt man in keinem Land der Welt und in keinem Kanton Erbschaftssteuern: Wir haben die Neurosen von unseren Eltern vererbt erhalten!»

Mike Müllers Eltern leben noch. Auf die Frage, ob die gewählte Thematik auch auf eigenen Erfahrungen beruht, entgegnet er: «Zum Glück nicht.» Und falls es eines Tages tatsächlich einmal ums Erben gehe, würden er und sein Bruder wohl «keine Sekunde deswegen streiten». Vielmehr habe ihn das Thema interessiert und fasziniert. Müller: «Es bietet sehr viel Erzählstoff und sagt viel aus über die Gesellschaft, die Liebe und die Sehnsüchte, die Pläne und über das Scheitern derselben.»

Der Werkstudent

Im Oktober dieses Jahres werden es 60 Jahre her sein, seit Michael «Mike» Müller das Licht der Welt erblickt hat. Er wächst in Zuchwil, später in Trimbach und Olten auf, besucht die Schulen und schafft 1984 die Matur. Anschliessend studiert er in Zürich Philosophie – 27 Semester lang, schliesst mit dem Lizenziat ab. Dazu sollte man wissen, dass er neben seinem Studium immer gearbeitet hat, will heissen: auf Bühnen gestanden ist. Er könne ein derart in die Länge gezogenes Studium nicht empfehlen, sagt Mike Müller bei unserem Gespräch in Zürich, wo er seit rund zwei Jahrzehnten lebt. Allerdings sei er durch seine intensiver werdenden parallel stattfindenden Aktivitäten halt auch immer wieder abgelenkt worden.

Seine ersten schauspielerischen Gehversuche fallen ins Jahr 1983, als er zusammen mit Freunden die «Jugendtheatergruppe Olten» gründet, aus der später das «Theaterstudio Olten» hervorgeht. Während des Philosophiestudiums habe er in der freien Szene Zürich mitgespielt. Erst nach Abschluss des Studiums hat er Schauspiel-Workshops in Berlin, Wien und Zürich besucht. Müller räumt ein: «Mein beruflicher Werdegang weist keinen linearen Verlauf auf, dafür den einen oder anderen Umweg. Aber es ist halt so.»

Der Vielbeschäftigte

Müller hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einen Namen gemacht, indem er unzähligen Projekten seinen Stempel aufgedrückt hat. Das Spektrum reicht von Filmen wie «Ernstfall in Havanna», «Achtung, fertig, Charlie!» und «Mein Name ist Eugen» (um nur die bekanntesten zu nennen) bis hin zur SRF-Krimiserie «Der Bestatter». Immer zeigt der Schauspieler eindrücklich und facettenreich, dass er weit mehr bieten kann als sich «nur» mit Berufskollege und Freund Viktor Giacobbo in einer satirischen Late-Night-Show über dies und jenes, über diese und jene auszulassen. Dazu kommen seine Engagements auf diversen Theaterbühnen im In­ und Ausland.

Liebe, Zurückweisung und Lebensträume

Zurzeit ist Mike Müller mit «Erbsache» unterwegs. Um das Stück schreiben zu können, so dass es das Publikum abendfüllend unterhalten kann, hat er sich mit jenen Leuten getroffen, die sich professionell mit der Thematik auseinandersetzen: mit Anwälten, Erbrechtsgelehrten, mit Gerichtsbe­richterstattern und Richtern. Zudem hat er selber Gerichtsverhandlungen besucht, um Stimmung und Groove vor Ort zu erfahren. Müller: «Dann habe ich nur noch die Geschichte und die entsprechenden Protagonisten erfinden müssen.»

Auf die Frage, weshalb das Thema Erben und Vererben hierzulande eher ein Tabuthema ist, sagt er: Man spreche nicht gern über Geld. Und wenn man sich für seinen Lohn schäme, schäme man sich eben noch mehr für das Erbe. An dieser Stelle lohnt es sich, nochmals einer Figur aus «Erbsache» zuzuhören: «Erben ist nichts anderes als Gratisgeld, hat nichts mit Leistung zu tun. Nur mit Abstammung. Mit einer 100-prozentigen Erbschaftssteuer müssten alle neu anfangen. Es wäre interessant zu sehen, was in der Familie passieren würde. Mit Geld kann man niemand mehr erpressen oder ködern. Nur noch mit Liebe. Und Liebe ist eine harte Währung!»

Tatsächlich gehe es bei Erbstreitigkeiten nicht nur um den schnöden Mammon, sondern auch «um Liebe, die man nicht erhalten hat, um Zurückweisung, die man erfahren hat – und um Lebensträume». Je länger gestritten werde, desto weniger gehe es nur noch um den schnöden Mammon. Müllers Stück zeigt, dass letztlich die eigene liebe Familie das eigentlich schwere Erbe sein kann.

Der Politische

Zerstrittene Geschwister, windige Anwälte, Zeugen, vermittelnde Richter … Mike Müller jongliert in seinem Stück souverän zwischen den elf Charakteren, geht der Sache mit Verstand und präzisem Humor auf den Grund. Zudem zeigt der Künstler, dass er durchaus auch politisch sein kann. Zum Beispiel, indem er von einer 100-prozentigen Erbschaftssteuer träumt, weil es sich bei einem Erbe um geschenktes, nicht selber erarbeitetes Geld handelt.

Doch diesbezüglich überlässt es Müller jedem und jeder im Publikum selber, allfällige Schlussfolgerungen aus den Aussagen seiner Bühnenfiguren zu ziehen. Denn letztlich sei es primär sein Job, zu unterhalten. Selber sagt er es so: «Ich mache ein Angebot. An diesem Buffet kann man sich nach Bedarf bedienen. Wer nur das Dessert will, nimmt nur das.»

Der Vielschichtige

Dass er sämtliche elf Protagonistinnen und Charaktere auf der Bühne höchstselbst spielt, macht es nicht nur für das Publikum spannend, sondern auch für ihn selber. Dieses Hin-und-her-Switchen sei wie Klettern auf einer Leiter, sagt Müller. Man nehme einen Tritt (spiele eine Figur), mache wieder einen oder zwei retour zur nächsten Figur und wieder hoch zur nächsten. «Diese Art von Spielen ist für mich eher einfacher und attraktiver, als wenn ich nur eine Figur darstellen müsste.»

Zum Ende unseres Gesprächs wird Mike Müller noch einmal zeit- und selbstkritisch: «Wir sind in einer Zeit aufgewachsen, die uns nun ein Stück weit um die Ohren fliegt.» Er verdeutlicht dies anhand eines persönlichen Beispiels: «An der Kanti haben wir seinerzeit eine Studienwoche gestaltet zum Thema Alternativenergien. Das sind mehr als 40 Jahre her. Was ist seither geschehen beziehungsweise verwirklicht worden? Nichts, gar nichts!» Und dann wird er konkreter: «Ich finde das Sich-auf-die-Strasse-Kleben oder das Bilder-mit­Ketchup-Verschmieren auch nicht lustig. Aber nach 40 Jahren einfach nichts zu tun – da verstehe ich diejenigen, die uns nun Vorwürfe machen und sagen, wir hätten versagt.»

Ein Thema für ein nächstes Programm, Mike Müller? Vielleicht, antwortet er. Doch das nächste Programm sei bereits geschrieben. Es heisst «Klassentreffen» und kommt ab Herbst dieses Jahres auf die Bühne. «Da geht es genau um diese angesprochenen beiden Generationen.»

Fotos: Christian Roth


Seniorweb heisst Robert Bösiger als neues Mitglied der Redaktion herzlich willkommen.  Robert Bösiger, Sissach BL, geb. 1957. lic.rer. pol.; Mitbegründer, Geschäftsführer und Programmleiter von Radio Raurach; Redaktor Basellandschaftliche Zeitung; Wirtschaftsredaktor Basler Zeitung; Chefredaktor und Verlagsleiter Volksstimme; Ressortleiter Region Basel der Basler Zeitung; Medienberater bei bachmann medien ag. Seit der Pension freischaffender Autor für verschiedene Publikationen (u.a. BaZ, Volksstimme, echt, VISIT, EDITO). Verfasser und Mitherausgeber von verschiedenen Büchern, u.a. «Radio Raurach – vom Werden und Verschwinden eines Baselbieter Lokalradios» (Kantonsverlag Basel-Landschaft; 2013), «Ausgeschlachtet – die Schlacht um die Sissacher Metzgete» (Verlag Mis Buech; 2018) und «Alles bleibt anders» über die Berner Schauspielerin, Musikerin und Jodlerin Christine Lauterburg (Verlag Werd & Weber; 2018). Gemeinderat in Sissach BL. In Partnerschaft, vier erwachsene Kinder. www.robert-boesiger.ch

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