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Von der Faszination des Staubs

Stets und überall begleitet er uns, der Staub. Langweilig ist er ganz und gar nicht. Das beweist uns Joseph Scheppach in seinem aktuellen Buch: «Das Universum in einem Staubkorn. Eine kurze Geschichte des Staubs vom Wohnzimmer bis ins Weltall.»

Der Untertitel des Buches deutet es an: Staub begegnet uns nicht nur auf dem Bücherregal oder unter dem Schrank. Auch auf der Strasse gibt es Staub. In einem trockenen Sommer wie dem jetzigen bildet sich hinter dem über den Feldweg ratternden Traktor eine gewaltige Staubwolke. Als ich vor ca. zehn Jahre durch den Mittleren Osten reiste, gerieten wir eines Tages in einen kurzen heftigen Staubsturm, vor dem wir uns nur durch unsere erfahrene Reiseleitung rechtzeitig schützen konnten. Nachher knirschten überall, auch zwischen den Zähnen, die feinsten Staubkörnchen, feiner als Wüstensand.

Wenn wir das Buch zur Hand nehmen, merken wir schnell, dass wir immer und überall von Staub umgeben sind, dass er in den verschiedensten Formen und in unterschiedlichsten Beschaffenheiten erscheint. Joseph Scheppach als erfahrener Wissenschaftsjournalist und Buchautor fesselt uns mit seiner Schilderung, wie das Universum aus Gas, Hitze und Schwerkraft entstand – nicht zufällig. Alle Phänomene waren so perfekt aufeinander abgestimmt, dass in der zweiten Phase der Entstehung unserer Galaxie nur noch Staub aus solchen Elementen vonnöten war, die sich auch in unserem Körper wiederfinden.

Staub – unser ständiger Begleiter

Scheppach erklärt die Vorgänge genau und verständlich. Die Darstellung der Entstehung unseres Universums ist keineswegs nur wissenschaftliche Spekulation. Vor wenigen Jahrzehnten konnten Astrophysiker einen «sterbenden» Stern in der Grossen Magellanschen Wolke beobachten, der die Theorien bestätigte. Im Observatorium in der chilenischen Atacama-Wüste konnten Astronomen eine gigantische Staubwolke beobachten, die sich nach der Explosion einer Supernova zusammenbraute. «Wirklich frühe Galaxien sind unglaublich staubig, und dieser Staub spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Galaxien», zitiert der Autor einen Wissenschaftler vom University College London.

An diesen Erklärungen faszinierte mich besonders die Erkenntnis, die ich bisher für eine esoterische Phantasie gehalten hatte, die jedoch schlicht und einfach der Wirklichkeit entspricht: «Wir sind Sternenstaub». Woodstock-Musiker hatten es schon vor mehr als fünfzig Jahren gesungen: «Wir sind Milliarden Jahre alter Kohlenstoff.» Es sei noch einmal etwas allgemeiner formuliert, in Scheppachs Worten: «Staub verbindet die Sterne mit allem anderen, mit allen Pflanzen, mit allen Lebewesen auf der Erde.»

Sternenstaub

Von nun an sollte es uns nicht erstaunen, dass Staub der Grundstoff menschlicher Kulturen ist, dass Anthropologinnen und Archäologinnen dem Staub ebenso viel Aufmerksamkeit widmen wie anderen Spuren der Vergangenheit. Auch über den gegenwärtig entstehenden Staub wird geforscht, vor allem über die unvorstellbaren Mengen Staub, die nicht nur von uns Privatmenschen ausgehen, sondern die von Industrie, Verkehr und der Landwirtschaft erzeugt werden – es sind unvorstellbare Mengen.

Joseph Scheppach  © zörnack/holzinger (Goldmann Verlage)

Diese Emissionen bestehen nicht nur aus winzigen Staubpartikeln, sondern daran haben sich unzählige Schadstoffe angeheftet. Aktuell zu erwähnen sind die erschreckenden Waldbrände, die aus verschiedenen Weltgegenden gemeldet werden und selbstverständlich Staub und Asche produzieren.

Ein spannendes Kapitel widmet der Autor der Staubwolke, von der jeder Mensch, jedes Tier umgeben ist, Scheppach nennt es «Mein Staub-Exposom». Die persönliche Staubwolke ist von den Materialien bestimmt, mit denen Sie vorwiegend zu tun haben: ein Bäcker lebt in einer Mehlwolke, ein Förster in einer Wolke von winzigen Holzfasern, Computer-Nerds in einer Wolke elektrisch geladener Staubteilchen. Diese persönliche Staubwolke wurde erst 1990 durch eine grossangelegte Untersuchung von Umweltstaub entdeckt. In der persönlichen Staubwolke befinden sich neben Hausstaubpartikeln und Kleidungsfasern auch winzige Hautschuppen in grosser Zahl. Das machen sich Forensiker zunutze, die sich um die Aufklärung eines Kriminalfalls bemühen.

Blütenstaub vom Haselstrauch © Rainer Sturm / pixelio.de

Blütenstaub – der liebenswerteste Staub

Scheppach erzählt daneben auch vom Blütenstaub, den er die kostbarste Verführung der Natur nennt. Es erstaunt uns Lesende nicht mehr, dass findige Forscher erst seit dem Ende des 17. / Beginn des 18. Jahrhunderts entdeckten, wie Pflanzen sich durch Blütenstaub vermehren und wie in der Natur verschiedene Gattungen aus dem Pflanzen- und Tierreich zusammenwirken. Vom Putzen, d.h. von der Entfernung des Staubs aus unserem Lebensbereich handelt ein weiteres Kapitel. Es beschert uns Aha-Effekte und Momente des Schmunzelns.

Gefährlicher Staub

Zwischen die regulären Kapitel fügt der Autor kürzere Abschnitte von besonderem Interesse ein: «Extra: Das Feinstaub-ABC», sei hier erwähnt. Als spektakuläres Beispiel erzählt er von Sebastian Vettel, dem Formel-1-Rennfahrer, der nach einem Rennen schwarz vom Bremsstaub der Rennwagen aus seinem Boliden stieg – höchst ungesund, wie wir wissen.

Seit dem Ende des 2. Weltkriegs erfuhr die Öffentlichkeit nach und nach mehr über die Gefahren von Feinstaub. Neben anderen Faktoren ging diese Entwicklung zusammen mit der immer raffinierteren Industrialisierung, mit der Intensivierung des Verkehrs, mit der Technisierung immer weiterer Lebensbereiche. – Erinnern Sie daran, dass in Autos Abgasfilter eingebaut wurden? Katalysatoren, als Rettung der Autofahrer gepriesen, stossen grosse Mengen von Platin aus, eine zweischneidige Angelegenheit, denn das Edelmetall reinigt, sollte aber nicht verschwendet werden.

«U wie ultrafeine Partikel» belehrt uns, dass die Forschungen über Feinstaub bei weitem noch nicht beendet sind. Alle Arten industrieller Staubpartikel werden nach Gewicht bemessen. Reifenabrieb oder Bremsstaub lässt sich damit gut erfassen, schreibt Scheppach, aber Dieselpartikel oder andere Feinstaub- bzw. Ultrafeinstaubarten haben ein ganz geringes Gewicht und rutschen durch das Raster der Beobachtung.

Was der Autor in wenig mehr als 200 Seiten zusammengetragen hat und fesselnd beschreibt, lässt sich nicht anders als Universallexikon des Staubs bezeichnen. Dabei ist es lebendiger als jedes Lexikon, das wir ja sowieso nur noch im Internet konsultieren. So vielfältig das Thema präsentiert wird, so kurzweilig die Lektüre!

Joseph Scheppach: Das Universum in einem Staubkorn. Eine kurze Geschichte des Staubs vom Wohnzimmer bis ins Weltall. Goldmann 2023. 224 Seiten. ISBN: 978-3-442-14291-0

Titelbild: Staubige Sache © Peter Becker / pixelio.de

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