Am 1. Juli 2023 hat Martin Muerner (Foto) seine Tätigkeit als Geschäftsleiter von Radio Berner Oberland (BeO) abgegeben. Muerner war 38 Jahre lang für Radio BeO tätig. Seniorweb sprach mit dem Pionier. Seine Thesen stehen stellvertretend für alle Lokalmedien der Schweiz.
Herr Muerner. Wie informierte man sich vor 50 Jahren medial?
Martin Muerner: In meinen Jugendjahren gab es grundsätzlich drei Informationsquellen: Das damalige Radio Beromünster, die Tageszeitungen und den Fernseher. Wobei das Radio bei uns daheim die wichtigste tägliche Informationsquelle war. So erfuhren wir zum Beispiel durch das Radio vom Mord an J.F. Kennedy. Obschon ich damals erst 6 Jahre alt war, spürte ich an den Reaktionen der Erwachsenen, dass etwas ganz Schlimmes passiert war. Im Radio waren vor allem die 12:30 Uhr Nachrichten bei uns äusserst wichtig. Still sassen wir um den Mittagstisch und lauschten den Meldungen.
Was bedeutete Ihnen das Radio in Ihrer Jugend?
Schallplatten waren teuer, und so hörte ich meine Lieblingsmusik am Radio. Diese bestand zum Beispiel aus den Hits der Beatles und der Rolling Stones und ganz vielen anderen Stars. Weil aber das damalige Schweizer Radio Beromünster diese Art von Musik fast nie spielte, hörte ich meine Musik auf Radio Luxemburg oder auf anderen ausländischen Sendern.
Was mich schon damals am Medium Radio faszinierte, war die Möglichkeit, dass man mit einem einzigen Programm ganz viele Menschen erreichen konnte. Und ich ahnte schon damals als kleiner Junge, dass mich das Radio ein Leben lang begleiten würde.
Damals gab es noch kein Lokalradio? Welche Rolle hatte Radio vor 50 Jahren in der Gesellschaft? Welche Rolle hat es heute in einer Welt mit viel mehr Angeboten?
Der grosse Aufstieg des Medium Radio war sicherlich während des zweiten Weltkrieges. Wie konnte man sonst möglichst aktuell erfahren, was wo passierte? Fernsehen war noch nicht vorhanden, und Zeitungen konnten nicht topaktuell sein. Deshalb war Radio die beste Möglichkeit, um aktuelle Informationen zu erhalten. In dieser Zeit war ja gerade die BBC das entscheidende Medium für alle Menschen in Europa, die sich über das Kriegsgeschehen informieren wollten.
Und heute?
Ich bin überzeugt, dass das Medium Radio auch in der heutigen Zeit eine wichtige Rolle spielt. Besonders im Informationsbereich. Radio ist schnell, Radio ist für alle. Zudem gilt, was die Wissenschaft schon lange herausgefunden hat: Der Mensch hört, bevor er sieht. Hören und Sprechen sind nach wie vor die auf der Welt wichtigsten Kommunikationsmittel. Man schaue sich nur mal die SRF Tagesschau an und bemerke, wie viel in dieser Sendung – einem Bildmedium – geredet wird.
Heute gibt es Radio und Fernsehen SRF, Regionalradios, Gratiszeitungen, Amtsblätter und Kleinstzeitungen. Weshalb braucht es noch ein Radio BeO?
Wir haben beim Start von Radio BeO im 1987 unser Programm als medialen Dorfplatz des Berner Oberlandes bezeichnet. Dies gilt heute immer noch. Ein Dorfplatz ist regional verankert; dort wird geredet, diskutiert, informiert und musiziert. Ein Dorfplatz verbindet Menschen und in unserer Region Talschaften. Ein Dorfplatz schafft menschliche Nähe und Vertrauen. Dies braucht es gerade in der heutigen Zeit sehr.
Natürlich haben auch die erwähnten Zeitungen einen medialen Dorfplatz. Deshalb braucht es ja auch kleine Lokalzeitungen, sehr regional und gut verankert sind. Die Stärke einer Zeitung ist die Vertiefung von Themen und die Begleitung der Leserschaft durch Bilder. Die Stärke von Radio BeO ist die zeitgleiche Ausstrahlung und die Begleitung durch Redaktion und Moderation. Beide Mediengattungen ergänzen sich.
Erfüllt Radio BeO Hörer-Bedürfnisse, die vom nationalen Rundfunk und der Presse nicht erfüllt werden können?
Auf jeden Fall. Deshalb hören die Menschen ja Radio BeO. Unser Erfolg beruht auf der Fokussierung auf die Region. Wir produzieren einen aktuellen täglichen “Service Public Régional”. Diese Aufgabe ist ja auch in unserer Konzession vorgegeben.
Nationale Medien haben eine andere Aufgabe, sie bearbeiten nationale Themen. Der Unterschied ist klar gegeben. Radio BeO informiert über die Gemeindeversammlung in Kandergrund, die nationalen Medien informieren über die Entscheide im Bundeshaus.
Sie haben über 38 Jahre lang in der privaten Regionalradioszene gearbeitet? Am Mikrofon und als Geschäftsleiter. Hat es Sie gereizt, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die SRG, zu arbeiten?
Ein Studio des Berner Oberländer Radios BeO.
Nein. Obschon ich angefragt worden bin. Ich hatte ein gutes persönliches Verhältnis mit dem damaligen SRG-Generaldirektor Armin Walpen. Er stammt wie ich aus einer Bergregion; das verbindet. Aber ich habe mich nach dem Sprichwort ausgerichtet: «Lieber ein grosser Fisch in einem kleinen Teich als ein Fischlein in einem grossen See».
Ich wusste, dass ich bei Radio BeO viel mehr mitgestalten konnte, als in einem grossen Unternehmen wie es die SRG ist.
Der Bundesrat plant die Abschaltung von UKW. Sind die Oberländerinnen und Oberländer bereit für DAB+ und Streaming Radio?
Ich gehe davon aus, dass die meisten unserer BeO-Hörerinnen und BeO-Hörer unser Programm mittlerweile via DAB+ empfangen. Die Bedeutung von DAB+ ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Wir konnten mit DAB+ das BeO- Verbreitungsgebiet massiv vergrössern, was gerade für den Tourismus sehr wichtig ist. So werden zum Beispiel die Radio-BeO-Werbespots der Oberländer Bahnen auch im Grossraum Bern, im Seeland, im Emmental und im Freiburgerland gehört.
Die Frage steht auch fünf Jahre nach der NO BILLAG-Abstimmung noch immer im Raum: Ist die SRG zu gross?
Als Privatradiomann und als langjähriger Vizepräsident des Verbandes Schweizer Privatradios VSP ist für mich klar, dass es in der Schweiz eine SRG braucht. Ich habe mich deshalb damals auch gegen die NO BILLAG Initiative eingesetzt; sie hätte dem Medienplatz Schweiz massiv geschadet.
Martin Muerner mit Bundesrat Albert Rösti im Dezember 2022.
Es ist aber auch klar, dass die SRG zu viele Sachen macht, die schon von den privaten Veranstaltern gemacht werden. Unser Verband hat schon vor Jahren ein Konzept ausgearbeitet, wie wir die SRG im Bereich Radio sehen und welche Radioprogramme die SRG noch produzieren sollte. Bundesrat Albert Rösti hat bekanntlich den Auftrag erteilt, den Service Public neu zu definieren, den die SRG erfüllen soll. Ich finde dies ein gutes Vorgehen. Gleichzeitig ist für mich klar, dass gewisse Aufgaben im Radiobereich von der SRG zu den Privaten wechseln sollen und damit auch die Verteilung der Medienabgabe neu definiert werden soll.
Die Medien-Nutzung übers Internet schreitet schneller als prognostiziert voran. Wie sieht die diesbezügliche Strategie von Radio BEO aus?
Das Internet hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile sind klar: Wir können fast alles jederzeit und überall anschauen und lesen. Die Informationsmenge ist gigantisch. Deshalb braucht es auch bei Radio BeO eine Redaktion, die vor allem die regionalen Themenbereiche verifiziert, einordnet und dann auf unserer Website zur Verfügung stellt. Dies und die Möglichkeit der zeitversetzten Nutzung helfen mit, die neuen Gewohnheiten der BeO-Hörerinnen und BeO-Hörer zu berücksichtigen. Aber wir sind kein Internet-Medium. Radio BeO wird immer ein Radio bleiben.
Das Internet und alle digitalen Verbreitungen haben aber eben auch Nachteile. Denn alles, was digital ist, wird fast immer international, weil wir nicht wissen, wo die Internetströme durchlaufen. Dies bedeutet, dass alles, was im Netz ist, anfällig für Hacker ist. Aktuell haben die Hacks massiv zugenommen, und sensible Daten werden so öffentlich. Ich staune übrigens seit Jahren, wie leichtsinnig man wichtige Daten irgendwo ablegt. Oder relevante Infrastrukturen dem Internet ausliefert.
So gesehen bin ich froh, dass die Wasserversorgung meiner Wohngemeinde noch nicht in eine Cloud ausgelagert worden ist und dass jedes Mal, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, auch wirklich Wasser fliesst.
Wie sähe aus Ihrer Sicht eine faire staatliche Mitfinanzierung von Radio und TV aus?
Zuerst sollte es einen neuen Verteilschlüssel der Abgaben zwischen der SRG und den privaten Veranstaltern geben; der Anteil der Privaten muss erhöht werden. Dann müsste man zweitens bei der Verteilung unter den privaten Veranstaltern diejenigen berücksichtigen, die einen «Service Public Régional» erbringen. Und bei diesen Veranstaltern drittens berücksichtigen, dass ein Radio in einem Berggebiet (wie bei Radio BeO) weniger nationale Werbung generieren kann und durch die Topografie Mehraufwände hat. Ich hoffe, dass in der laufenden politischen Diskussion dieses Vorgehen zum Zuge kommt.
Wie wird sich das mediale Informationsverhalten in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändern?
Niemand weiss, wie die Welt in zehn Jahren aussieht. Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass das Computerprogramm ChatGPT eigenständige Texte schreibt.
Aber ich bin überzeugt, dass ein paar menschliche Grundsätze auch in zehn Jahren noch vorhanden sind. Grundsätze, die Jahrhunderte überlebt haben und tief im menschlichen Sein verankert sind.
Martin Mürner mit alt Bundesrat Dölf Ogi im Gasterntal.
So werden sich Menschen nach wie vor für andere Menschen interessieren. Zudem werden sich Menschen informieren, was in ihrer nächsten Umgebung, also in ihrer Region, passiert. Menschen werden weiterhin gerne Musik hören.
Und vor allem: Menschen werden auch in Zukunft von Gefühlen geleitet und nicht von Computerprogrammen oder irgendwelchen künstlichen Algorithmen. Die hochgelobte digitale Welt mag in vielen Bereichen eine Hilfe sein. Menschlichkeit kann sie niemals ersetzen. Deshalb wird bei Radio BeO niemals ein Computer moderieren, sondern immer engagierte Menschen.
Neue Aufgabe
Seit dem 1. Juli 2023 sind Adrian Durtschi und Raymond Häsler neu Co-Geschäftsleiter von Radio BeO. Martin Muerner bleibt dem Regionalradio treu und zwar als «Leiter Public Affairs». In seiner neuen Funktion wird er sich aktuell insbesondere um die Neuvergabe der Lokalradiokonzession kümmern.
Titelbild: Martin Muerner arbeitet seit 38 Jahren für Radio BeO. Fotos ZVG
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