ETH-Forschende haben aus Molke, Eisen und Gold ein Protein-Gel entwickelt, das Alkohol im Magen-Darm-Trakt abbaut, ohne dem Körper dabei zu schaden.
In Zukunft könnten Menschen, die das Gel einnehmen, die gesundheitsschädigende und berauschende Wirkung von Alkohol reduzieren. Es verwandelt den Alkohol im Magen zu harmloser Essigsäure. Die Studie dazu erscheint am 13. Mai 2024 in der Fachzeitschrift Nature Nanotechnology.
Versuche an Mäusen zeigten, dass der Alkoholpegel bereits kurze Zeit nach Einnahme des Gels deutlich abnimmt. Es sammelte sich auch weniger des schädlichen Abbauprodukts Acetaldehyd an, was für bessere Blutwerte sorgte. Die Forschenden haben bereits ein Patent für das Gel beantragt, bis zur tatsächlichen Anwendung sind aber noch weitere Tests notwendig.
Drei Millionen Alkoholtote
Alkohol gelangt grösstenteils über die Magenschleimhaut und den Darm ins Blut. Die Folgen davon sind heute unbestritten: Bereits geringe Mengen an Alkohol beinträchtigen die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit und erhöhen das Unfallrisiko. Wer regelmässig grössere Mengen trinkt, schadet seiner Gesundheit: Lebererkrankungen, Entzündungen im Magen-Darm-Trakt oder Krebs sind häufige Folgen. Laut Weltgesundheitsorganisation sterben jährlich an die drei Millionen Menschen an übermässigen Alkoholkonsum.
Die Studie an Mäusen zeigt, dass das Gel Alkohol schnell, effizient und direkt in harmlose Essigsäure umwandelt, bevor dieser ins Blut gelangt und dort seine berauschende und gesundheitsschädigende Wirkung entfaltet. «Das Gel verlagert den Alkoholabbau von der Leber in den Verdauungstrakt. Im Gegensatz zum Alkoholstoffwechsel in der Leber entsteht dabei aber nicht das schädliche Zwischenprodukt Acetaldehyd», erklärt Raffaele Mezzenga, Professor für Lebensmittel und weiche Materialien an der ETH Zürich. Acetaldehyd ist giftig und für viele Gesundheitsschäden verantwortlich, die durch übermässigen Alkoholkonsum entstehen. Das Gel könnte daher in Zukunft vor oder während des Alkoholkonsums oral eingenommen werden, um zu verhindern, dass der Blutalkoholpegel steigt und Acetaldehyd den Körper schädigt.
Kein Alkohol wäre gesünder
Im Unterschied zu vielen am Markt erhältlichen Produkten bekämpft das Gel also nicht nur die Symptome des schädlichen Alkoholkonsums, sondern auch seine Ursachen. Das Gel ist aber nur wirksam, solange sich noch Alkohol im Magen-Darm-Trakt befindet und kann deshalb bei Alkoholvergiftungen nicht mehr helfen, wenn der Alkohol sich bereits im Blut befindet. Auch hilft es nicht dabei, den Alkoholkonsum generell zu reduzieren. «Es ist gesünder gar keinen Alkohol zu trinken. Das Gel könnte aber vor allem für Menschen interessant sein, die nicht ganz auf den Genuss verzichten möchten, aber ihren Körper nicht belasten wollen und nicht an der Wirkung des Alkohols interessiert sind», hält Mezzenga fest.
Hauptbestandteile: Molke, Eisen und Gold
Für die Herstellung des Gels verwendeten die Forschenden gewöhnliche Molkenproteine. Diese wurden mehrere Stunden gekocht, so dass sich daraus lange, dünne Fasern bildeten. Fügt man an-schliessend Salz und Wasser als Lösungsmittel hinzu, vernetzen sich die Fasern zu einem Gel. Der Vorteil eines Gels gegenüber anderen Verabreichungsformen ist, dass es sehr langsam verdaut wird. Damit das Gel den Alkohol abbauen kann, braucht es aber noch mehrere Katalysatoren.
Als Hauptkatalysator setzten die Forschenden auf einzelne Eisenatome, die sie gleichmässig über die Oberfläche der langen Proteinfasern verteilten. «Wir tauchten die Fasern quasi in ein Eisenbad, so dass sie wirksam mit dem Alkohol reagieren und ihn in Essigsäure verwandeln können», sagt ETH-Forscherin Jiaqi Su, Erstautorin der Studie. Um diese Reaktion im Magen auszulösen, sind winzige Mengen an Wasserstoffperoxid nötig. Diese werden durch eine vorgelagerte Reaktion zwischen Glucose und Goldnanopartikel erzeugt. Die Forschenden entschieden sich für Gold als Katalysator für Wasserstoffperoxid, da das Edelmetall nicht verdaut wird und daher länger im Verdauungstrakt wirksam ist. All diese Substanzen – Eisen, Glukose und Gold – packten die Forschenden in das Gel. Damit ermöglichten sie eine mehrstufige Kaskade aus enzymatischen Reaktionen, bei der am Ende Alkohol in Essigsäure verwandelt wird.
Bei Mäusen funktioniert das Gel
Die Forschenden testeten die Wirksamkeit des neuen Gels an Mäusen, denen einmalig Alkohol verabreicht wurde und an Mäusen, die zehn Tage lang regelmässig Alkohol erhielten. Dreissig Minuten nach der einmaligen Alkoholabgabe senkte die prophylaktische Anwendung des Gels den Alkoholpegel der Mäuse um vierzig Prozent. Fünf Stunden nach Alkoholaufnahme war ihr Blutalkoholspiegel im Vergleich zur Kontrollgruppe gar um 56 Prozent gesunken. Dabei sammelte sich bei diesen Mäusen das schädliche Acetaldehyd weniger an und die Stressreaktionen der Leber wurden deutlich gemildert, was sich in besseren Blutwerten widerspiegelte.
Bei den Mäusen, die 10 Tage lang Alkohol erhielten, konnten die Forschenden neben einem niedrigeren Alkoholpegel zudem eine anhaltende, therapeutische Wirkung des Gels nachweisen: Die Mäuse, die zusätzlich zum Alkohol täglich das Gel bekamen, zeigten einen deutlich geringeren Gewichtsverlust, weniger Leberschäden und damit einen besseren Fettstoffwechsel in der Leber sowie bessere Blutwerte. Auch andere Organe wie die Milz oder der Darm sowie das Gewebe der Mäuse wiesen deutlich weniger durch Alkohol verursachte Schäden auf.
Zum Patent angemeldet
Die Forschenden haben bereits ein Patent für das Gel beantragt. Bis es für Menschen zugelassen wird, sind aber noch einige klinische Tests notwendig. Da die Forschenden aber bereits belegt haben, dass Molkenproteinfasern aus denen das Gel besteht, essbar sind, sind sie zuversichtlich, dass auch dieser Schritt gelingen wird.
Titelbild: ETH Zürich / Adobe Stock