Weil die Credit Suisse im Brunaupark in Zürich bauen will, sollen Wohnungen abgerissen, soll Mietern gekündigt werden und das Leben im Quartier verstummen. Widerstand erreichte, bis heute, einen Stopp und ein Verbleiben im Ungewissen.
Ab 29. August im Kino
Felix Hergert und Dominik Zietlow haben drei Jahre lang dieses Leben und Überleben filmisch begleitet und als Zusammenfassung den eindrücklichen und klugen Dokumentarfilm «Brunaupark – In unserem Traum bleibst du» geschaffen: ein Dokument und Gleichnis eines Kampfes zwischen Banken und Menschen.
Im Zürcher Brunaupark stehen Gebäude vor dem Abriss. Der Grund: Die Eigentümerin, die Pensionskasse der CS, möchte einen neuen Gebäudekomplex errichten. Hunderte von Mietparteien fallen dieser Spekulation zum Opfer. Die beiden Filmemacher Felix Hergert und Dominik Zietlow, Absolventen der Zürcher Hochschule der Künste, zeichnen das Porträt eines widerstandsfähigen und lebensfrohen Viertels, das sich seinem Schicksal stellt. Das sind fünf Wohnkomplexe, 405 Wohnungen, 800 Bewohner:innen. Wo noch bis vor Kurzem reges Leben das Bild prägte, herrscht inzwischen Leerstand und Existenzangst. Die CS hat 239 Wohnungen gekündigt: eine unvergleichliche Massenkündigung, die eine über Jahrzehnte gewachsene Gemeinschaft zu zerstören droht.
Während viele den Brunaupark bereits verlassen haben, fechten einige die Kündigungen an und erreichen eine Fristerstreckung. Der Ort regeneriert langsam, indem Neue temporär einziehen. Altes trifft auf Neues. Oberflächlich geht das Leben normal weiter, doch die Ungewissheit über die Zukunft behindert und lähmt. Über einen Zeitraum von drei Jahren begleitet das Filmteam die Menschen vom Brunaupark und führt fragmentarisch durch den Wandel der Wohnsiedlung, erzählt vom Abwarten und Ausharren, der Ungewissheit und den schwindenden Gemeinschaften sowie den wenigen, für die er zu einem temporären Refugium wird, was der CS erneut Profit bringt.
Der Brunaupark, die Menschen und Häuser, die Gäste und Besucher sind Protagonisten und Bühne zugleich für das absurde Schauspiel des städtischen Wandels beim Wohnen.
«Ich bleibe hier, bis sie die Gebäude abreissen.»
Felix Hergert und Dominik Zietlow zum Film
Zürich steckt, wie viele andere Städte weltweit, in einer grossen Wohnungskrise. Viele Menschen können sich kaum mehr eine Wohnung in der Stadt leisten, unzählige Häuser werden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die Bodenpreise steigen, die Mieten ebenso.
Dies bekommen auch die Bewohner:innen des Zürcher Brunauparks zu spüren: Die Eigentümerin, die Pensionskasse der Credit Suisse, plant einen Neubau und hat 239 von 405 Wohnungen die Miete gekündigt. Eine ältere Anwohnerin lässt uns wissen: «Alte Bäume kann man nicht verpflanzen.» So einfach lässt sich diese Nachbarschaft nicht entwurzeln. Zusammen mit dem Mieter:innenverband hat ein Teil der Bewohnerschaft eine Fristerstreckung bis mindestens 2024 erreicht.
Unser Film ist eine Annäherung an eine Siedlung und seine Bewohnerschaft im Wandel. Drei Jahre, von 2020 bis 2023, waren wir mit der Kamera vor Ort, um diesen Mikrokosmos zu begleiten. Zuerst begegneten wir einem Leerstand und dann einem Widerstand, bevor sich durch Zwischennutzungen eine schleichende Aufwertung im Quartier einnistete.
Mit der Kamera liessen wir Menschen in Räumen agieren und stellten sie in ein Verhältnis zu den einwirkenden Kräften. Die aufgenommenen Fragmente erzählen vom Wandel im Raum, von den Verletzungen und vom Widerstand gegenüber den Verdrängungsmechanismen. Der Film kann über Argumente hinaus Raum und Gemeinschaft erlebbar machen. Die Community im Brunaupark wandelt sich von einer physischen zu einer anonymen. Während in der improvisierten Wohnungsbar von Ciccio Vergangenheit bewahrt wird, löst sie sich in den temporären neuen möblierten Business-Apartments komplett auf. Wo kürzlich noch Familien wohnten, ziehen WGs ein, die in der Tiefgarage Partys feiern. Jung trifft auf Alteingesessen. Doch eines bleibt für alle gleich: Niemand weiss, wie lange sie noch im Brunaupark leben können.
Ciccio erinnert sich vierzig Jahre zurück.
Eine alltägliche Parabel
Was den Film auszeichnet, ist, dass er Informationen vermittelt, diese in Poesie verwandelt und so ein rundum gelungenes Porträt eines Fleckens Erde und einer Gruppe Menschen wird. Beides ist gut, schön und wahr, gemäss den bekannten Kriterien der Kunst, die ich mit not-wendig ergänze, das, was von Not befreit – hier zum Teil bereits geschehen ist.
Aufschlussreich ist in diesem Film bereits die Sprache, welche die CS in ihren Kündigungsschreiben verwendet: «Wir sind gezwungen», heisst es da. Ich frage zurück, wer wen denn hier zwingt? Oder in einem andern Schreiben heisst es: «Wir ermöglichen Ihnen den unkomplizierten Wechsel», was ich richtigstellen möchte: «So zwingen wir Sie zum Ausziehen». In den drei Jahren der Beobachtung durch die Filmemacher sind nebenbei die Mieten in der Stadt um 12 % gestiegen und verfügt eine Wohnung über ein Zimmer weniger und kostet tausend Franken mehr.
Vielleicht ist es zu verzeihen, wenn mir als altem 68er dabei der Satz herausrutscht: Hier gehe es um den Kampf von Bankern gegen Menschen. Vielleicht versteht man anderseits auch meine Begeisterung für den Brunaupark, den ich eben besucht und, so mein Ersteindruck, als «paradiesisch» erlebt habe.
Andrea Brigitte Studer singt aus einer Eurydike-Arie über das Ende einer Liebe.
«In unserem Traum bleibst du»
Zwischendurch hört man Gesang und sieht ein Schulkind Violine und Klavier spielen. Musik da und dort, in diesem und jenem Stil, die Räume akustisch und emotional füllend und das Leben erfüllend. Gegen Ende singt eine ältere Sängerin auf einer der Strasse des Parks eine Arie aus «Orfeo ed Euridice» von Christoph Willibald Gluck: über den Untergang und das Sterben. Und Ciccio, der alte Beizer, der auf vierzig Jahre Brunaupark zurückblickt meint, sein Werk sie hiermit fertig, morto, dead: «Jetzt ist es für immer leer.» Leer sind viele Zimmer und Wohnungen, auch wenn sie für den Profit für die CS kurzfristig an Google-Angestellte vermietet werden.
Bilder der Leere, weil Beziehungen abgebrochen und Gemeinschaften zerstört werden. Leben herrscht in Fülle nur noch im angrenzenden Weiher, wo Fische schwimmen, Frösche quaken, Kaulquappen herumzittern und zwei Kraniche warten, bis alles sich doch noch zum Guten wendet…
Unnatürlich hohe Umwandlungssätze zwingen Pensionskassen in den Immobilienmarkt, wo sie für ihre Versicherten möglichst viel herauszuholen versuchen.
Man kann eben nicht den Fünfer und das Weggli haben et le baiser de la belle boulangère en plus.
Man könnte weinen, wenn man diesen Bericht über eine gewachsene Siedlung liest, die sich wegen vermögender Pensionskassen, die Millionen an ihren Mitgliedern verdienen, in nichts auflöst. Das ist die Logik des reinen Kapitalismus und einer falschen Rentenpolitik, in der die Zahlen und nicht die Menschen das Wichtigste sind.