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Foto-Biennale in Vevey

Alle zwei Jahre findet die «Images» als grösstes Fotofestival der Schweiz statt. 50 Ausstellungen stehen dieses Jahr auf dem Programm, die mit faszinierenden Themen eine Brücke zwischen analoger Fotografie und künstlicher Intelligenz schlagen.

Als Andreas Gursky vor 30 Jahren die Eismasse des Aletschgletschers fotografierte, ahnte er nicht, wie schnell sich der grösste Gletscher der Alpen zurückbilden würde. Das Bild begrüsst fassadengross an der Waadtländer Kantonalbank gegenüber des Bahnhofs Vevey die Besuchenden der Images Vevey und steht als fotografische Ikone für die globalen Erwärmung.

Zur diesjährigen Biennale haben sich die Organisatoren, unter der künstlerischen Leitung von Stefano Stoll, etwas Besonderes und zugleich Zeitgemässes einfallen lassen. Die Künstliche Intelligenz ist nicht nur auf dem Vormarsch, sondern sie greift bereits in mehr Lebensbereiche ein als wir uns vorstellen. Stefano Stoll vergleicht diese Entwicklung mit einer «seismischen Verwerfung zwischen zwei tektonischen Platten», welche unser Zeitalter von einer oft idealisierten Vergangenheit in eine vielversprechende Zukunft bewegt: «Selten war die Geschichte Zeugin eines so entscheidenden Moments,» so Stoll weiter, «der Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter spiegelt einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft wider. Im Zuge dieser Entwicklungen hat die künstliche Intelligenz einen erheblichen Einfluss auf unser Verhalten, unsere Gewohnheiten, unsere Ideen und unsere Beziehungen».

Die fünfzig Ausstellungen der Images Vevey stehen unter dem Thema «(dis)connected» und spiegeln diese aussergewöhnliche und entscheidende Zeit wider, in der wir leben, ein Rätsel, in dem unvermeidliche Nostalgie auf die Neugier, auf eine unvorhersehbare Zukunft trifft. Hier ein erster Blick auf einige Highlights, bildlich dokumentiert an der Images.

Henry Leutwyler: Philippe Halsman. A Photographer’s Life

Henry Leutwyler hat eine Hommage an einen der grössten Fotografen der Geschichte geschaffen: Philippe Halsman. 2017 durchforschte Leutwyler die Archive und schuf eine visuelle Biografie anhand seiner persönlichen Gegenstände, woraus das Werk Philippe Halsman. A Photographer’s Life wurde. Die Ausstellung, die im Rahmen der Images Vevey und noch bis 19. Januar 2025 im Schweizerischen Kameramuseum gezeigt wird, umfasst Brillen, Stative, Pässe und andere persönliche Gegenstände, die Halsmans Karriere illustrieren. Leutwyler würdigt damit diesen einflussreichen Fotografen und die Geschichte der Fotografie von der analogen bis zur digitalen Fotografie.

Candida Höfer: George Peabody Library Baltimore

Candida Höfer fotografiert mit ihrer Grossformatkamera Innenräume von öffentlichen Gebäuden, vor allem symbolträchtige Bibliotheken auf der ganzen Welt für ihre Serie Libraries. Das hausgrosse Bild am alten Gefängnis von Vevey zeigt die 1857 gegründete George Peabody Library in Baltimore, in der mehr als 300’000 Bücher aufbewahrt werden. Die Zentralperspektive, welche die Symmetrie und Monumentalität der Architektur unterstreicht, vermittelt den Eindruck, man gewinne Einblick in die Bibliothek im Gefängnis.

Farah Al Qasimi: «Poltergeister»

Inspiriert durch den Horrorfilm Poltergeist aus dem Jahr 1982 von Tobe Hooper, der ein Haus zeigt, das von bösen Geistern heimgesucht wird, überlagert Farah Al Qasimi Fotografien und Videos und parodiert so die Seltsamkeit des zeitgenössischen häuslichen Lebensraums. Die Bilder verdeutlichen die fast übernatürlichen Energien, die in unser Zuhause eindringen: Intelligente Geräte, Werbealgorithmen und vernetzte Systeme kontaminieren den privaten Raum und übernehmen die Kontrolle über unser tägliches Leben.

Sarah Carp: «Sans Visage»

Während des Lockdowns im Jahr 2020 fotografierte Sarah Carp täglich ihre beiden Töchter, in der Absicht damit ein Buch zu realisieren. Der Vater stellt sich quer und berief sich dabei auf das Recht der Kinder am eigenen Bild. Sarah wiederholt die Serie mit gleichaltrigen, fremden Kindern und anonymisierte die Gesichter durch Überlagerung eines groben Druckrasters. Durch ein Spiel mit Abstand und Blickrichtung erscheinen die farbigen Punkte nach und nach und lassen die Individuen in die Anonymität abgleiten. Die grossformatigen Bilder sind in der Nähe eines Spielplatzes ausgestellt und werfen die Debatte um die Darstellung von Kindern im Zeitalter der sozialen Netzwerke auf.

Edson Chagas: «Tipo Passe»

Tipo Passe heisst im Portugiesischen so viel wie Ausweisfoto. Edson Chagas hat sich auf Porträts spezialisiert, deren Gesichter sich hinter afrikanischen Masken verbergen. Durch die Kombination von traditionellen Masken und westlicher Kleidung verwischen sich die Grenzen zwischen den rituellen Funktionen der Masken und der alltäglichen Banalität des Krawattenkleides. Die von Widersprüchen geprägten Bilder versinnbildlichen einen Kampf zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem sie Verbindungen zwischen Epochen, Traditionen, Völkern und Kontinenten herstellt.

Debsuddah: «Crossroads»

Debsuddha verbrachte als Kind oft Zeit in einer Vorstadt von Kalkutta bei zwei Tanten, die als Albinos geboren waren. Wegen ihres Pigmentfehlers wurden sie schon in jungen Jahren diskriminiert. Die beiden Schwestern bauten sich ihre eigene, isolierte Welt auf, verbrachten den Tag im Haus mit ihrer Leidenschaft der Musik, bevor sie sich bei Einbruch der Dunkelheit ins Freie begaben. Debsuddha hat im Jahr 2020 sowohl spontane Schnappschüsse als auch inszenierte Porträts von seinen Tanten realisiert, die in zarten, melancholischen Bildern die enge Bindung zwischen den beiden Schwestern offenbaren. Crossroads wurde mit dem Images Vevey Book Award 2023/24 ausgezeichnet. Die Bilder sind ein Beispiel für Liebe und Widerstandsfähigkeit und ein intimes Porträt der sozialen Ausgrenzung.

Carlos Garaicoa: «Partitura»

Zehn Jahre lang hat Carlos Garaicoa in seine Arbeit Partitura investiert. Der kubanische Künstler filmte Strassenmusiker in Madrid und Bilbao, um ein Klangporträt verschiedener Städte zu erstellen. Diese Aufnahmen vertraute er dem Komponisten Esteban Puebla an, der sie zur Sinfonie verschmolz. Damit schuf Garaicoa ein Orchester, das er auf rund vierzig Notenständern visualisierte. Über Kopfhörer kann jedes Stück einzeln gehört werden, während die Gesamtkomposition im Théâtre Oriental-Vevey erklingt. Partitura ist ein immersives Werk, das Menschen, die sonst isoliert wären, musikalisch miteinander verbindet.

Martin Parr: «Fashion Faux Parr»

Ein Highlight zum Schluss dieser ersten Folge: Martin Parr. Er ist berühmt für seine skurrilen, poppigen Aufnahmen, welche die britische Gesellschaft dokumentieren. Weniger bekannt sind seine Modeaufnahmen, die während 30 Jahren als Strassenfotografie in Werbekampagnen und bei Modenschauen entstanden sind. Ohne zwischen Auftragsarbeiten und persönlichen Projekten zu unterscheiden, nimmt der Fotograf alltägliche Orte als Kulisse und stellt Passanten und Models auf die gleiche Ebene. Mit leuchtenden Farben und kühnen Perspektiven offenbaren die 250 Bilder seinen schelmischen, ungefilterten Blick auf die Mode. Fashion Faux Parr zelebriert die Vitalität der westlichen Mode und hinterfragt gleichzeitig die Bedeutung des Scheins in unserer Gesellschaft.

Titelbild: Willkommensgruss mit Andreas Gurskys Aletschgletscherbild von 1994. Als Naturdenkmal des nationalen Kulturerbes steht dieser heute im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit und ist ein Symbol für das Problem der Gletscherschmelze.
Situationsbilder © Urs Tillmanns / Fotointern.ch
Mehr Informationen auf Fotointern.
Die Biennale Images Vevey ist noch bis 29. September 2024 zu sehen.
Folge zwei der «Images Vevey» gibt es hier in rund einer Woche.

 

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