StartseiteMagazinKulturDer Kupferstecher und die Tattoo-Künstlerin

Der Kupferstecher und die Tattoo-Künstlerin

Albrecht Dürer, Maler und Leitfigur in den vier Sparten der Grafik, ist vielen Tattoo-Künstlerinnen und -Künstlern ein Vorbild. Die Graphische Sammlung der ETH in Zürich zeigt das in der aktuellen Ausstellung «Albrecht Dürer. Norm sprengen und Mass geben.»

Stechen ist für den Kupferstecher gleich wichtig wie für die Tattoo-Künstlerin. Albrecht Dürer (1471 – 1528), Nürnberger Künstler der Renaissance, an der Schwelle zur Neuzeit, errang schon zu Lebzeiten Ansehen und Ruhm weit über Deutschland hinaus. Das fiel der Besucherin bei der Vernissage auf: Die Kuratorin Susanne Pollack bekannte in ihrer Einführung, dass sie seit ihrer Jugend von Dürers Werken fasziniert gewesen sei. – So war es mir auch gegangen: Als ich im Bücherschrank meiner Eltern stöberte, machte mir dieser Künstler aus alten Zeiten ungeheuer Eindruck. Andere Besucherinnen und Besucher dieser Ausstellung erzählten mir Ähnliches.

Albrecht Dürer: Adam und Eva, 1504, Kupferstich 251 x 195 mm. Inv.Nr. D 1132 Graphische Sammlung ETH Zürich

Die immerwährende Bewunderung, die dem reichhaltigen Werk Dürers zuteil geworden ist, zeigt sich darin, dass viele Bilder nicht nur in Museen zu sehen sind, sondern an allen nur erdenklichen Orten, nicht nur in Wohnzimmern oder als Illustrationen. Dass sich auch Tattoo-Interessierte für Dürer begeistern, erscheint logisch. Besonders Tätowiererinnen und Tätowierer muss es schon lange gereizt haben, die raffinierten, oft auch klaren Linien eines Stichs oder eines Holzschnitts auf die Haut eines Menschen zu übertragen.

Myriam Black (Bristol GB) bei der Arbeit während der Vernissage am 3. 12. 2024 (Foto mp)

Myriam Black, die Tattoo-Künstlerin des Abends, wies darauf hin, dass Albrecht Dürer die grafische Kunst popularisiert hatte. Er wusste sich geschickt zu «vermarkten», wie wir heute sagen würden. Sie als Tattoo-Praktizierende postuliert: «Im Geiste setzen wir seine Kunst fort, wir bringen sie zu den Menschen von heute, als masterpieces on the skin».

Diese Zusammenschau ist das Besondere dieser Ausstellung: Dürers berühmte Werke neben den Tattoos gegenwärtigen Tätowiererinnen und Tätowierer. Am Abend der Vernissage konnten wir Myriam Black bei ihrer Arbeit zuschauen.

Ausstellungsansicht (Foto mp)

An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert war Albrecht Dürer ein selbstbewusster und innovativer Künstler. Einen Kupferstich oder einen Holzschnitt konnte er wie die anderen druckgrafischen Produkte in grösserer Anzahl herstellen und verkaufen. Damit verbreitete sich seine Kunst. Seine Käufer stammten aus den gebildeten und besitzenden Schichten der Gesellschaft: Diplomaten, Kaufleute, Adelige. Nürnberg war damals eines der kulturellen und ökonomischen Zentren in Mitteleuropa.

Obwohl das Gravieren eines Kupferstichs aufwendig und anspruchsvoll war – wir erfahren, dass der Künstler an einem grösseren Stich ein Vierteljahr zu tun hatte – , schätzte Dürer den Nutzen dieser Arbeit grösser ein als den Aufwand. – Denken Sie auch daran, dass die revolutionärste Erfindung zu Beginn der Neuzeit, der Buchdruck mit beweglichen Lettern, von Johannes Gutenberg in Mainz erst ungefähr 1450 entwickelt worden war. Die Druckerpresse, auch von Gutenberg geschaffen, diente ebenfalls der Reproduktion von Stichen.

Albrecht Dürer: Erasmus von Rotterdam, 1526, Kupferstich 247 x 191 mm, Inv.Nr. D 7756, Graphische Sammlung ETH Zürich

Wer etwas von Kunst verstand, erkannte schon damals die herausragende Qualität von Dürers Werken. Erasmus von Rotterdam gehörte zu denen, die eine beschwerliche Reise unternahmen, um Dürer zu treffen und von ihm portraitiert zu werden. Die hohe Qualität der Dürerschen Stiche, ihre Feinheit, die differenzierte Darstellung können wir in der Ausstellung bewundern. Er erreichte eine seit der Antike nicht gekannte Lebensähnlichkeit der Darstellung von Menschen, Tieren und Pflanzen. Dürer entdeckte die Ausdruckskraft der schwarzen Linie und des Schwarz-Weiss-Kontrasts, ein bisher nicht erkannter Vorteil für die künstlerische Darstellung.

Albrecht Dürer: Knoten mit sieben gleichen Geflechten, nach 1507. Holzschnitt 266 x 210 mm, Inv.Nr. D 7785 Graphische Sammlung ETH Zürich

In der Kunst des Holschnittes wurde Dürer ein Vorreiter, denn bis dahin war diese Form nur selten benutzt worden. Mit dem weicheren, sinnlicheren Material Holz ist ein Holzschnitt einfacher in der Herstellung, Dürer setzte hier neue Massstäbe, und viele Künstler folgten ihm. Der Holzschnitt wurde über die Jahrhunderte für viele die beliebteste Form der grafischen Kunst.

Die Ausstellung wurde bewusst heterogen gestaltet, erklärte Susanne Pollack, mit Beispielen aus dem breiten Spektrum von Dürers Kunst. So sollte auch heute ein Publikum mit unterschiedlichen Interessen angesprochen werden. Dürer selbst hatte keine Berührungsängste. Er beobachtete die Menschen und stellte ihre Emotionen dar – auch zornige Engel.

Albrecht Dürer: Melencolia I, 1514 Kupferstich 240×187 mm. Inv.-Nr. D 1258. Graphische Sammlung ETH Zürich

Von den vielen Blättern, die bis heute weitherum bekannt sind, sei noch die «Melancholie» (genauer: Melencolia) erwähnt: Ein Stich, der Künstler, Dichter, Denker ebenso faszinierte wie uns alle, die sich für Dürer interessieren. Eine Art «Echolot» sei es, denn es geht in die Tiefe der Seele; für den Maler des Symbolismus Odilon Redon ist es eine Offenbarung. Gottfried Keller sah darin ein Trostblatt und Gottfried Benn, der das Blatt lange stets bei sich trug, erkannte darin die «Untröstlichkeit in dieser Welt».

Neben den traditionellen Künsten des Stichs hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Kunst des Tattoo-Stechen einen Platz erworben. In Europa waren es über lange Zeit hinweg Seeleute und Weltenbummler, die von ihren Seereisen mit einem Tattoo zurückkehrten. In zahlreichen aussereuropäischen Kulturen war die Kunst, den Körper zu verzieren, eine angesehene Kunst, zumal solche Verzierungen eine religiöse Bedeutung hatten. Die Gletschermumie Ötzi besass ebenfalls Tätowierungen.

Tattoo von Rooshi, Berlin, 2022. Motiv nach Albrecht Dürers Rhinocerus © Tattoo & Foto: Rooshi

Wer sich in Geschichte und Kunst der Tätowierungen vertieft, erkennt schnell den immensen Umfang dieses Themas. Bisher wurde von der Kunstgeschichte nur beachtet, was im Museum ausgestellt ist, Werke auf scheinbar unvergänglichen Materialien wie Papier, Leinwand, Metallen oder Karton. Diese Einschränkung ist veraltet. Kunstwerke können auch auf der Haut eines Menschen entstehen.

Malo Civelli, Tattoo Artist, in Carouge GE, schreibt: «Ich schaue mir Dürers Holzschnitte jeden Tag als Inspirationsquelle an, in der Hoffnung, eines Tages etwas zu schaffen, das so beeindruckend und ausgewogen ist wie Dürers Werk.»

Albrecht Dürer. Norm sprengen, Mass geben. ETH Zürich, Graphische Sammlung,
Rämistrasse 101, Zürich. Eintritt frei
Geöffnet täglich, 10:00–17:00 Uhr bis 9. März 2025.
Geschlossen: 23.12.2024 bis 3.01.2025

Auf der Webseite der Graphischen Sammlung finden Sie ein umfangreiches Begleitprogramm.

Titelbild: Albrecht Dürer: Rhinocerus, 1515. Holzschnitt 243×308 mm. Inv.-Nr. D 13000 Graphische Sammlung ETH Zürich

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