In acht Schweizer Städten gibt es das Café Med, ein kostenloses Beratungsangebot für Menschen, die ein medizinisches Problem haben. Rund 200 erfahrene Ärztinnen und Ärzte engagieren sich ehrenamtlich in dem Projekt.
Im Café Neumärt im Zürcher Niederdorf ist an diesem Montagnachmittag fast jeder Platz besetzt. Auf den lederbezogenen Bänken sitzen mehrheitlich ältere Menschen. In einer Ecke unterhalten sich einige angeregt, es sind Mediziner, die hier Freiwilligenarbeit leisten. Auf vielen Tischchen stehen kleine Nummernschilder. Das bedeutet: Die Gäste sind für eine medizinische Beratung da.
Brida von Castelberg hat sie in Empfang genommen und weist ihnen je nach Problemlage die passende Fachperson zu. Die ehemalige Gynäkologie-Chefärztin des Triemli hatte 2017 zusammen mit Annina und Christian Hess das erste Café Med in Zürich gegründet. Das kostenlose Gesprächsangebot gilt für Patientinnen und Patienten wie auch deren Angehörige. Es wird vom Verein «Akademie Menschenmedizin» (amm) organisiert, der sich für ein menschengerechtes und bezahlbares Gesundheitswesen einsetzt.
Mittlerweile gibt es in acht Schweizer und zwei Südtiroler Städten ein amm Café Med, jeweils in einem gemütlichen Café oder Restaurant. Die Ratsuchenden können spontan kommen, eine Anmeldung ist nicht nötig. Rund 200 Fachleute machen mit, meist nicht mehr berufstätige Ärztinnen und Ärzte, aber auch Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen. Anders als die Kollegen in den Spitälern und Praxen führen sie weder Untersuchungen durch noch stellen sie Rezepte aus, sondern haben einfach viel Zeit. Zeit zum Zuhören. Ihr Ziel ist, die Bedürfnisse der Ratsuchenden wirklich zu verstehen, sie bei der Meinungsbildung zu unterstützen und zu befähigen, die für sie richtigen Entscheide zu treffen.
Medikament oder Operation?
Zum Beispiel die 70-jährige Frau, die unter saurem Aufstossen leidet. Sie ist ins Café Med Zürich gekommen, weil sie Angst hat vor den Nebenwirkungen des Medikamentes, das sie täglich schluckt. Diese seien beträchtlich, hat sie gehört. Ein Chirurg hat ihr stattdessen eine Operation empfohlen. Doch die Frau ist unsicher, ob das die richtige Lösung ist. Basil Caduff, ehemaliger Chefarzt für Innere Medizin im Spital Limmattal, kennt sich mit den Säureblockern aus. Das Medikament, das die Frau nimmt, sei eines der weltweit meist verwendeten Mittel, in 30 Jahren hätten sich nur sehr wenige Nebenwirkungen gezeigt, erklärt er der Patientin und sagt: «Ich selber würde mich nicht operieren lassen, wenn mir dieses Medikament hilft, da im Vergleich dazu die OP viel risikoreicher ist.»
In einem anderen Fall ist der Unfallchirurg Urs Kappeler gefragt. Ein 70-jähriger Mann hatte vor drei Wochen einen so starken Husten, dass ihm ein Wirbel brach. Im Spital wurde er geröntgt und erhielt ein MRI. Doch niemand erklärte ihm, wie schlimm seine Verletzung ist. Zwar schmerzhaft, aber nicht sehr schlimm, kann ihn Kappeler beruhigen.
Dr. med. Brida von Castelberg, ehemalige Gynäkologie-Chefärztin des Triemli, hier zusammen mit dem Nierenspezialisten Dr. med. Hans Jakob Gloor, empfängt die Besucherinnen und Besucher und vermittelt die passende Fachperson.
Mit rund zwei Dutzend Menschen führen die Fachleute des Café Med an diesem Nachmittag ein Gespräch, den meisten können sie weiterhelfen. Und selber haben sie auch etwas davon: Sie treffen alte Kolleginnen und Kollegen und bleiben à jour. Denn wer sich im Café Med engagiert, muss sich regelmässig weiterbilden. Ebenso wichtig: Die Fachpersonen müssen kommunikativ und unabhängig sein, und sie dürfen keine finanziellen Interessen verfolgen. Darauf schauen die Verantwortlichen der Akademie Menschenmedizin.
Titelbild: Dr. med. Basil Caduff, ehemaliger Chefarzt Limmattal-Klinik, Leiter Med Café, berät eine Besucherin.
Die amm Café Med gibt es in folgenden Städten:
Zürich, Winterthur, Luzern, St. Gallen, Basel, Bern, Chur, Lugano, Bozen, Meran.
Sie finden jeweils ein- oder zweimal pro Monat statt. Infos auf
https://www.menschenmedizin.ch/aktivitaeten/amm-cafe-med/
Wir haben erstaunlich wenig Besuchende im café med in Winterthur. Sind wir zu wenig bekannt? Ist es, weil es nur einmal im Monat stattfindet? Sind alle Leute in Winterthur so gut versorgt mit geduldigen Hausärztinnen und Hausärzten, dass es uns nicht auch noch braucht? Oder machen wir irgend etwas falsch? Wir haben leider kein Budget für ein grösseres Inserat.