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Blick in den Abgrund des Bösen

«Hedda Gabler» von Henrik Ibsen zählt zu den oft gespielten Dramen auf deutschsprachigen Bühnen. Eine klassische, aber gekürzte Version zeigt derzeit Bühnen Bern. Die Inszenierung, die 1890 im norwegischen Bürgertum spielt, wirkt in Bern wie aus der Zeit gefallen.

Jørgen Tesman (Kilian Land) und seine Ehefrau, Hedda Tesman-Gabler (Yohanna Schwertfeger), kehren von einer sechsmonatigen Hochzeitsreise zurück, die dem aufstrebenden Historiker vor allem dazu gedient hat, seine Forschungstätigkeit in Archiven voranzutreiben. Die aristokratische Generalstochter Hedda Gabler hat sich für die Ehe mit dem bürgerlichen Akademiker entschieden, weil sie annimmt, dass ihr Mann bald Professor wird.

In Erwartung eines guten Einkommens ist das Paar die Villa einer Tante Tesmans eingezogen und hat sich massiv verschuldet. Während ihr Mann viel arbeitet, langweilt sich die lebenslustige Frau zu Tode. Die Zeit vertreibt sie sich mit Pistolen, Intrigen, Manipulationen und Punsch. Sie sehnt sich nach aristokratischer Repräsentation, Abwechslung sowie einem Leben in Luxus. Liebe hält sie für ein abgedroschenes Wort. Bald macht sie deutlich, dass sie Tesman nur wegen seines erwarteten Titels geheiratet hat.

Wunschdenken Luxusleben: Hedda Gabler im hellblauen Bademantel, im Gespräch mit Gerichtsrätin Brack.

Da taucht unverhofft ein ehemaliger Liebhaber Heddas auf, der sich ebenfalls um die Professur bewirbt. Der lebenshungrige Ejlert Løvborg (André Willmund) zeigt sich erstaunt, dass die Ex-Geliebte seinen Konkurrenten geheiratet hat. «Ach Hedda, wie konntest du dich so wegwerfen», gibt er ihr zu verstehen. Die Erniedrigung treibt die junge Ehefrau zur Weissglut. In der Folge lässt die Gedemütigte ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Ihre Macht über Tesman wird immer umfassender.

Frau Elvsted (links) unterhält sich mit ihrer ehemaligen Klassenkameradin Hedda Gabler über Tesman und Løvborg. 

Das bekommt in erster Linie ihr Ehemann zu spüren. Diplomatisch zeigt er sich vom überraschenden Auftauchen des Mitbewerbers gleichsam überrascht wie erfreut. Als Heddas Ex-Lover von ihr wissen möchte, ob sie ihn jemals geliebt hat, verneint die Frau die Frage und meint, sie habe in ihrer Beziehung stets nur Kameradschaft gesehen. Die Antwort wirft den aufstrebenden Løvborg aus der Bahn. Auch die ehemalige Klassenkameradin Thea Elvsted (Genet Zegay), die dem Akademiker geholfen hatte, sein Leben zu ordnen und vom Alkohol loszukommen, kann den Wissenschaftler nicht beruhigen.

Løvborg erfährt von Hedda Gabler, dass sie sein wertvolles Manuskript ihm Ofen verbrannt. hat.

Dann verliert Løvborg im Suff sein neustes Manuskript. Konkurrent Tesman, findet die Schrift, hält sie für einen «grossen Wurf» und übergibt das Papier seiner Ehefrau. Aus Neid oder Frust (oder beidem) verbrennt Hedda das Manuskript im Ofen. Die Szene offenbart den Blick in den Abgrund des Bösen. Dann überlässt sie dem Autor eine geladene Pistole mit der Empfehlung, sich ins Jenseits zu befördern, was dieser auch tut. Damit beweist Hedda auch im Fall von Løvborg, dass sie Macht über ihren Ex-Lover hatte und hat.

Doppelter Suizid

Das Ende des Dramas ist bitter: Jørgen Tesman und Thea Elvsted versuchen akkribisch, mit Hilfe erhaltener Notizen Løvborgs Werk zu rekonstruieren. Als Hedda von der befreundeten Gerichtsrätin (Isabelle Menke) erfährt, dass sie als Eigentümerin der Pistole identifizierbar ist, befürchtet sie einen Skandal und erschiesst sich selbst mit einer zweiten Pistole. Wie anders verhielt sich doch Nora in «Nora oder ein Puppenheim», ebenfalls von Henrik Ibsen? Sie verliess ihren Mann und floh – ohne Suizid – aus dem «goldenen Käfig» der bürgerlichen Ehe.

Macht über ihren Ehemann: Hedda Gabler erwartet von Tesman Reichtum und Status.

Regisseurin Barbara Weber hat – nach Angaben des Theaters – den aus dem Jahr 1890 stammenden Stoff danach befragt, wie es Frauen heute schaffen, selbstbestimmt zu leben, wie sie es wirklich wollen. Eine Antwort liefert die Inszenierung nicht. Hedda ist nach ihrer Hochzeit unglücklich. Sie hatte sich ihr Leben anders vorgestellt. Sie langweilt sich. Als ein früherer Freund auftaucht, wird sie noch unglücklicher. Zur Untreue scheint sie nicht in der Lage. Auch von Trennung oder Scheidung ist nie die Rede.

Und die Botschaft?

Hedda Gablers Rolle und Person entsprechen so gar nicht dem Verhalten emanzipierter Frauen im 21. Jahrhundert. Heddas Hass ist gepaart mit offener Aggression, notorischer Manipulation und Lügen. Die Inszenierung mag die Erwartungen und Konflikte überspitzt darstellen, aber so, wie sich Hedda Gabler gebärdet, benimmt sich heute in der mitteleuropäischen Gesellschaft niemand, ausser er oder sie seien psychisch angeschlagen oder krank.

Nach den Suiziden seiner Ehefrau und seines Konkurrenten bleibt Jørgen Tesman allein zurück. Fotos © Annette Boutellier.

Bleibt der Widerspruch zwischen Schönheitskult, Langeweile und dem Bösen. In ihrer Dekadenz sehnt sich die Intrigantin nach Lebenslust, Schönheit und Absolutem. Løvborg fordert sie zu einer «schönen Tat» (zum Suizid) auf. Diese finale Haltung entspricht einem Lebensgefühl, das vor über 100 Jahren in aristokratischen Kreisen vereinzelt gelebt wurde, beispielsweise, als es noch Duelle gab. Im heutigen 21. Jahrhundert ist das Gefühl trotz politischer Ohnmacht, selbstherrlichen Autokraten und wirtschaftlicher Ungewissheit überholt.

Überzeugende Hauptdarstellerin

Wenn die Inszenierung als Zuschauerin oder Zuschauer trotzdem mit Interesse verfolgt, dann geschieht dies wegen dem differenzierten Spiel der Hauptdarstellerin: Yohanna Schwertfeger versteht es, Hedda Gabler mit leisen wie lauten Tönen, einer variantenreichen Mimik und einer klaren Sprache die nötige Authentizität zu verleihen. Die Entwicklung ihrer Rolle im Lauf der 110minütigen Vorstellung (ohne Pause) wirkt glaubwürdig, bleibt aber stets Spiel.

Das Bühnenbild (Simeon Meier) und die Kostüme (Sara Giancane) sind konventionell sowie ohne Extravaganz gehalten und entsprechen den Gegebenheiten Ende des 20. Jahrhunderts. Für ein besonderes Ambiente sorgen die beiden Gesangseinlagen von Yohanna Schwertfeger und Genet Zegay sowie die musikalischen Übergange (Mo Sommer), gespielt von Kilian Land und André Willmund.

Titelbild: Die fünf Spielenden: v.l.n.r. Isabelle Menke, Genet Zegay, Yohanna Schwertfeger, Kilian Land, André Willmund. Titelfoto: PS. / Alle übrigen Fotos: © Annette Boutellier

Weitere Vorstellungen bis 14. Juni 2025 in der Vidmar 1, Bern-Liebefeld

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Bühnen Bern

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