Ein Immundefekt macht Betroffene anfällig für schwere Viruserkrankungen wie Grippe oder COVID-19. UZH-Forschende haben die Grundlage für eine mögliche neue Therapie entwickelt, welche die Virenabwehr wieder herstellen kann.
Ursache des Immundefekts sind körpereigene Antikörper, die wichtige Proteine des Abwehrsystems blockieren. Mit der Entwicklung von «Ködermolekülen» gelingt es im Labor, fehlgeleitete Antikörper abzufangen. Antikörper sind zentrale Akteure der angeborenen Immunabwehr und alarmieren andere Zellen, um das Eindringen der Viren und deren Vermehrung einzudämmen. Zwei bis vier Prozent der Menschen über 65 Jahre – rund 100 Millionen – haben Autoantikörper im Blut. die ihre Typ-I-Interferone neutralisieren. Betroffene mit solchen fehlgeleiteten Antikörpern können keine vollständige Immunabwehr aufbauen und sind besonders anfällig für schwere Virusinfektionen wie Grippe, COVID-19 oder Gürtelrose. Eine zielgerichtete Behandlung gibt es bisher nicht.
Blutproben von Betroffenen
Ein Forschungsteam der Universität Zürich (UZH) hat nun entschlüsselt, wie diese Autoantikörper die Typ-I-Interferone erkennen und blockieren. «Unsere Idee war es, basierend auf diesen Erkenntnissen Ködermoleküle zu entwickeln, die an die Autoantikörper binden und sie daran hindern, die körpereigenen Interferone zu hemmen», sagt Studienleiter Benjamin Hale, Professor am Institut für Medizinische Virologie der UZH. Gemäss Hale könnten die künstlichen Moleküle zu einer neuen Behandlungsstrategie führen, die den Immundefekt rückgängig macht und das Risiko für schwere Infektionen senkt.
Zunächst analysierten die Forschenden Blutproben aus einer Biobank von 20 Personen, bei denen zuvor Autoantikörper gegen Typ-I-Interferone nachgewiesen worden waren. Einige dieser Patientinnen und Patienten hatten schwere COVID-19-Verläufe und mussten auf der Intensivstation des Universitätsspitals Zürich (USZ) behandelt werden. «Der Zugang zu diesen Biobank-Proben des USZ und der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie war entscheidend für den Erfolg der Studie», betont Erstautor Kevin Groen.
Ködermoleküle schalten schädliche Antikörper aus
Die Forschenden konnten im Labor Moleküle entwickeln, die aus Sicht der Autoantikörper wie Interferone aussehen, aber inaktiv sind und das Immunsystem nicht überreizen. In Zellkulturexperimenten zeigte sich, dass die künstlichen Moleküle als Köder fungieren und die schädlichen Autoantikörper abfangen. Dadurch wird die antivirale Wirkung der Typ-I-Interferone wiederhergestellt und Viren wie Influenza können wirksamer bekämpft werden.
Zusätzlich könnten die Ködermoleküle genutzt werden, um gezielt pathogene Autoantikörper aus Blutproben zu entfernen, ohne andere für die Virusabwehr wichtige Antikörper zu beeinträchtigen. «Dies könnte langfristig in Therapien wie der Plasmapherese zur Blutreinigung Anwendung finden», sagt Groen.
Wegbereiter für künftige Therapien
Die Laborstudie liefert einen ersten Nachweis, dass neu entwickelten Ködermoleküle die schädlichen Effekte von Autoantikörpern gegen Typ-I-Interferone wirksam neutralisieren. «Unsere Ergebnisse sind ein vielversprechender Schritt in Richtung einer neuen Behandlung, die die Anfälligkeit für Virusinfektionen und die Schwere der Erkrankung senken könnte», sagt Kevin Groen. Allerdings seien weitere Optimierungen nötig, bevor klinische Tests beginnen könnten, so Groen.
Titelbild: Antikörper (rot) erkennen ganz spezifische Strukturen auf der Oberfläche von Zellen und Molekülen (violett). Autoantikörper wiederum greifen körpereigene Zellen und Proteine an. (Bild: iStock/markusblanke)