1 KommentarDix und Dietrich vereint in Schaffhausen - Seniorweb Schweiz
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Dix und Dietrich vereint in Schaffhausen

«Zwei Maler am Bodensee“, nämlich Otto Dix, der sich 1936 am Nordufer in die innere Emigration zurückgezogen hatte, und Alfred Dietrich, der lebenslang am Südufer gelebt hat, präsentiert das Schaffhauser Museum Allerheiligen in einer Gegenüberstellung.

Wer das Bild Aufbrechendes Eis, 1940, von Otto Dix unlängst im Bündner Museum Chur betrachten konnte, bekommt in Schaffhausen eine zweite Chance. Dieses hochdramatische Gemälde mit dem unwirklich strahlenden Regenbogen in düsteren Wolken über Steckborn und dem gefrorenen, aber mit Spalten durchzogenen Bodensee zeigt eine Kriegshandlung und ist zugleich eine Metapher des Kriegs und des unerfüllbaren Wunsches nach ruhigeren Zeiten. Das Eis wurde von der Schweizer Armee aufgebrochen, um den Angriffs- oder Fluchtweg zu erschweren.

Otto Dix: Aufbrechendes Eis, 1940. Museum zu Allerheiligen. Foto: Jürg Fausch, © 2025, ProLitteris Zurich

Das Bild ist mit vielen weiteren Werken von Otto Dix (1891-1969) und Adolf Dietrich (1877-1957) Teil der Schaffhauser Sammlung: Die Idee, Dix und Dietrich als sehr unterschiedliche Vertreter der Neuen Sachlichkeit gemeinsam zu zeigen war dem Kurator Andreas Rüfenacht ein Anliegen: Der Versuch, mehr an Gemeinsamkeiten, als die kunsthistorische Einordnung und die Nähe der Lebensmittelpunkte am Bodensee herauszuarbeiten, zugleich aber den unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten gerecht zu werden, ist ein spannendes Experiment mit offenem Ausgang, aber mit dem Gewinn, die Arbeiten der zwei Künstler nochmals neu zu erfahren.

Adolf Dietrich: Frühling in der Stadt (Ludwigshafen), 1924. Museum zu Allerheiligen. Foto: Jürg Fausch, © 2025, ProLitteris Zurich

Die Frage, ob sie sich persönlich begegnet sind, ist nicht zu beantworten. Immerhin wurde ein Schreiben entdeckt, das den Besuch von einem Freund bei Otto Dix in Hemmenhofen ankündigte, zugleich den ebenfalls vorgemerkten Adolf Dietrich jedoch abmeldete. Ihre Werke jedoch kannten sie, der Autodidakt Dietrich wurde mehr als einmal in Gruppenausstellungen deutscher Galerien gezeigt, in denen auch Dix vertreten war.

Adolf Dietrich: Mädchen mit roter Korallenkette, 1932 Kunstmuseum Thurgau, Foto: Stefan Rohner © 2025, Pro Litteris Zurich; Otto Dix: Matrosenbraut, 1921. Foto: Kunsthaus Zürich, © 2025, Pro Litteris Zurich

Kunsttechnisch lagen Welten zwischen den beiden, biographisch haben sie von den 30er Jahren an dieselbe Gegend gesehen und gemalt, hochbegabt waren beide. Nur gut dreieinhalb Kilometer Luftlinie über den See trennen Hemmenhofen, wo sich Dix, nachdem er von den Nazi als entarteter Maler verfemt worden war, enttäuscht niedergelassen hatte, von Berlingen, wo Dietrich geboren, aufgewachsen, gearbeitet und gestorben ist.

Otto Dix: Tod und Auferstehung. Sechs Radierungen (Die Barrikade) 1922. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen

Otto Dix war im 1. Weltkrieg vier Jahre lang an der Front, er zeichnete exzessiv, malte „den Menschen in diesem entfesselten Zustand“ und nahm sich in den 20er Jahren in drastischen Bildern der Kriegsversehrten, Bettler, Prostituierten Kriegsgewinnler der Grossstadt an, Neue Sachlichkeit mit massiver Sozialkritik, auf die Leinwand gebracht von einem, der altmeisterlich malte.

Blick in die Ausstellung.

Nach seinem inneren und äusseren Exil auf dem Land nahe der Schweizer Grenze konnte er keine Menschen mehr porträtieren, statt der Typen, malte er Landschaften, die er vor Augen hatte, in Schaffhausen sind mehrere Winterlandschaften ausgestellt. Es sind keine Idyllen, sie tragen Entfremdung, auch Bedrohung in sich. Dix nahm sich auch heraus, das Motiv umzubauen, mit anderen Elementen zu ergänzen, beispielsweise über dem Bodensee auch Felsgebirge zu malen.

Otto Dix: Randegg im Schnee mit Raben, 1935, © Kunstmuseum Stuttgart, Foto: bpk (oben); Adolf Dietrich: Winterlandschaft mit Raben, 1916, Kunstmuseum Thurgau (unten).

Adolf Dietrich malte, was er bei seinen Gängen in der Natur gesehen hatte, von 1930 an fotografierte er seine Motive, wobei die Fotos bereits die Komposition zeigen. Mit den Landschaften im Tages- und Jahreslauf fand er Anerkennung, entdeckt und gefördert hat ihn Herbert Tannenbaum nach einer Gruppenausstellung von Landschaftsbildern aus dem Badischen in Mannheim.

Adolf Dietrich: Landschaft bei Berlingen, 1933, Privatbesitz

Bedrohliches oder Idyllisches zeigt sich in Dietrichs Malerei mit dem Moment, das er eingefangen und danach gemalt hat. Seine Malerei bleibt jedoch lebenslang gleich unaufgeregt und harmonisch. Das gilt auch für die Porträts, eines der eindrücklichsten ist wohl das Bild seines 85jährigen Vaters beim Zeitunglesen. Mensch und Natur im Einklang stellte er auch in seinen Kinderbildern dar, während Dix seine versehrten oder zumindest trostlosen Typen auch in Kinderporträts darstellt – Ausnahme, die eigenen Kinder Nelly und Ursus.

Otto Dix und Adolf Dietrich in Selbstporträts. (Ausschnitt des Ausstellungsplakats)

Eine Abteilung befasst sich mit den Selbstporträts von Otto Dix und Adolf Dietrich. Dix hat sich immer wieder selbst gemalt und gezeichnet, wohl 500mal, immer wieder in einer besonderen Inszenierung: der Maler, oft im Malkittel, mit dem kritischen Auge auf die Welt. Von Dietrich sind fünf Selbstbilder bekannt, sie zeigen einen Menschen, der die Betrachter interessiert, aber auch bescheiden ansieht.

Adolf Dietrich: Blühender Schlangenkaktus, 1944; Otto Dix: Blumen und Obst, 1947.

Die direkte Gegenüberstellung dieser Porträts, aber auch anderer Motive von Dix und Dietrich zeigen das Spannungsfeld zweier sehr unterschiedlicher Künstler, die in einer unruhigen und gefährlichen Zeit in derselben Landschaft am Bodensee gearbeitet haben: Der Autodidakt Adolf Dietrich ist kein naiver Maler, der Landschaftsmaler Otto Dix malt seine ländliche Umgebung in altmeisterlicher Lasurtechnik, ohne den Horror der Zeit auszusparen.

Zu der Ausstellung ist eine Publikation, verantwortet von Kurator Andreas Rüfenacht erschienen, es ist kein Katalog, sondern ein Versuch, den beiden Künstlern mit ihren unterschiedlichen Biographien näher zu kommen, ihre Nähe und ihre Ferne auszuloten, ohne aus dem inszenierten Dialog der Werke im Buch und an den Wänden des Museums eine Verbrüderung zu erzwingen. Oder mit den Worten der Museumsdirektorin Gesa Schneider: „Was bei Dietrich mit dem Blick aus dem Fenster eingefangen wird, ist bei Dix der Versuch, sich über den Weg der Landschaftsmalerei vom Weltpolitischen zu lösen.“

Titelbild: Otto Dix, © Kupferstichkabinett, staatl. Kunstsammlungen Dresden, Foto: Herbert Boswank; Adolf Dietrich, © Kunstmuseum Thurgau, Ittingen, Nachlass Dietrich
Alle Bilder © ProLitteris Zurich, 2025
Bis: 17. August
Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen: Otto Dix – Adolf Dietrich: Zwei Maler am Bodensee

Publikation: Otto Dix – Adolf Dietrich. hg. von Andreas Rüfenacht, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen. Deutscher Kunstverlag, 2025. ISBN: 978-3-422-80290-2

 

 

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1 Kommentar

  1. Ein faszinierender Artikel, der dazu verführt, sich die Ausstellung von Dix un Dietrich im fernen Schaffhausen anzusehen.

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