«Wir sind hier!» sagt der Spruch des Museums Haus Konstruktiv zum Auftakt im Zürcher Löwenbräu-Areal. Mit einer Gruppenausstellung wird der Ort nun dem Publikum übergeben. Von den Zürcher Konkreten bis zu zeitgenössischen Positionen umfasst sie alles aus der noch jungen Sammlung des Hauses.
Wer unter der Leuchtschrift Haus Konstruktiv durch das Portal kommt, fühlt sich gleich zuhause: Links der Shop, dann der Eingang in die Ausstellungsräume und grosszügig das Museumskaffee mit Bar und Sitzplätzen. Heimisch fühlt sich auch, wer in der Abschiedsveranstaltung im Unterwerk des EWZ war: Esther Stockers schwarz-weisse Wolken empfangen uns.
Esther Stocker: Geometria arrabiata, 2025, in der Kaffeebar. Foto: Haus Konstruktiv
Direktorin Sabine Schaschl sagt: «Unsere Eigenständigkeit ist das oberste Prinzip», sie bezeichnet den Slogan Wir sind hier! und vor allem das Ausrufzeichen als «verdientes» Statement: Es sei der dritte Umzug des Museums, doch an der Ausrichtung ändere sich nichts: Gesammelt wird konstruktive, konkrete und konzeptuelle Kunst; gezeigt werden zur Neueröffnung Highlights der Sammlung und Neuzugänge. Rund 1000 Werke seit den 1920er Jahren bis in die Gegenwart umfasst diese Sammlung heute.
Sammlungsverantwortliche Evelyne Bucher (links) und Museumsdirektorin Sabine Schaschl führen durch die Ausstellung mit Werken von 1920 bis heute. Foto: EC
Die Zürcher Konkreten, deren Kunst 1986 Anlass für die Gründung der Stiftung als Trägerin des Museums Haus Konstruktiv war, dominieren den Hauptraum: Sie hätten sich nie als Gruppe formiert, so Schaschl, aber dank der Medien würden sie als solche wahrgenommen. Vereint ausgestellt sind nun zweimal Richard Paul Lohse, zweimal Camille Graeser, zweimal Verena Loewensberg und zweimal Max Bill.
Francisco Sierra: The End, 2024. Humor rund um Malewitschs Schwarzes Quadrat
Kuratorin und Sammlungsverantwortliche Evelyne Bucher erklärt Lohses «demokratische» Verwendung von Farbe und Form, weist auf Graesers Bild mit dem kleinen verschobenen Quadrat hin (welches sich im allerletzten Objekt der Ausstellung in einem Kleinformat von Francisco Sierra – Reminiszenz der Ikone Das Schwarze Quadrat – spiegelt), spricht über Verena Loewensbergs intuitiv zu Jazz entstandenen Tafeln und stellt am Ende den «umtriebigsten» der vier, Max Bill vor. Zum Beispiel verlangen zwei gleiche gruppen im weissen feld genaues Hinsehen, bis man das Konzept versteht. Während die drei Männer rechneten und konstruierten und ihren Werken Titeln gaben, die eine Auseinandersetzung anregen oder auch eine Lösung insinuieren, sind Loewensbergs Arbeiten Ohne Titel.
Links zwei Werke von Verena Loewensberg, rechts zwei von Max Bill, im Vordergrund die Metallskulptur Trinom von Florin Granwehr.
In das weitere Umfeld der vier Grossen gehören beispielsweise Leo Leuppi, von dem ein Schnurbild gezeigt wird, oder Hans Jörg Glattfelder, der mit der Komposition Netz aus mehrdeutigen Randzonen vertreten ist. Auf Fritz Glarners Rockefeller Dining Room müssen wir bis zum Umzug von Teil 2 des Museums im nächsten Jahr warten. Hier ist er mit dem Bild Relational Painting – No. 78 vertreten. Eine Art Rettung der Materialien sind die Lichtpinsel-Arbeiten Nr. 3 und Nr. 4 von Marguerite Hersberger, Glasfaserleuchten, die für Kunst am Bau konzipiert, aber nie realisiert worden waren.
Durchblick mit Elodie Pong: Just Do It? (eine Replik auf den Slogan von Nike), 2022, und gegenüber Philippe Decrauzat: Peripheral Vision, 2009
Ja, der Sprayer von Zürich passt auch ins Haus Konstruktiv, neben Sprayfiguren und Tier- oder Landschaftszeichnungen hat er konzeptuell gearbeitet: Fünfmal hängt ein Teil der Urwolke von der Decke frei im Raum, so dass man auf der Rückseite der Blätter mit den filigranen Zeichnungen den Entstehungsprozess nachvollziehen kann: Nägeli hat immer, wenn er weiterarbeitete – meist ging der Prozess über Jahre – das Datum des Eingriffs notiert, manchmal eine Skizze, auch figürlich, dazu gesetzt.
Ein Wellkarton-Objekt von Tobias Putrih, eine Arbeit von Christine Streuli und rechts die filigranen Zeichnungen der Urwolke von Harald Nägeli.
Viele der Künstlerinnen und Künstler haben sich als Designer einen Namen gemacht, so stammt das Konzept des Schweizer Briefkastens von Andreas Christen. Hier ist er mit vier Wandobjekten aus weiss gespritzten Platten vertreten, die ihre Wirkung je nach Lichteinfall und Standort verändern.
Brigitte Kowanz: Connect the Dots, 2018. Die Leuchtschriftzeichen sind der Titel. Foto: Stefan Altenburger. © 2024 Pro Litteris Zürich, Studio Brigitte Kowanz
Vera Molnars Wandteppiche Parcours à angles droits mit der in Quadraten mäandernden dickeren oder dünneren Linie sind ein passendes Gegenüber. Ebenfalls erfolgreiche Designerin und freie Künstlerin war Nelly Rudin: Vor einem ihrer Bilder steht das Modell des VBZ-Trams der Linie 2 von 1990, das real immerhin zwei Jahre zwischen Tiefenbrunnen und Zürich West unterwegs war.
Rodrigo Hernández: Fantasma, 2015
Weit entfernt von Zirkel oder Lineal sind die Pictogramme von Rodrigo Hernández, die sich, inspiriert von präkolumbianischen Zeichen, einer universellen Formensprache bedienen.
Sylvie Fleury: Free Buren, 2008/2016 und Vanessa Billy: Large Burst II, 2019
Mit Free Buren bezieht sich Sylvie Fleury auf die akkurate Streifen-Malerei des französischen Künstlers Gefängnisses für die Flucht verbiegt. Konzeptkunst kann also auch amüsieren. Die Palmen aus Starkstrom- und Glasfaserkabeln, die senkrecht stehen und oben auseinandergedreht wie filigrane Blätter wirken, hat Vanessa Billy mit Large Burst I und II betitelt.
Ausstellungsansicht mit Ricardo Alcaides siebenteiligem Sonnenuntergang, 2019, und weiteren aktuellen Werken aus der Sammlung
Inspirierend auch die Wandobjekte Sunset 1-7 von Ricardo Alcaide, eine Art Regale in der Sonnenuntergangspalette gemalt und mit unterschiedlich eingebauten oder herausgenommenen Regalbrettern. Passend zum Umzug, findet Sabine Schaschl: Abbau, Umbau, Aufbau.
Hans Jörg Glattfelder: Netz aus mehrdeutigen Randzonen, 1976
Wenn auch die Büros und das Rockefeller Esszimmer noch am alten Ort sind, im Obergeschoss verfügt das Museum über einen grosszügigen Atelieraum und eine Videokabine, wo zwei Videos von Dominik Stauch laufen, die unterlegt mit Techno durchaus in eine Party passen. Und im gleichen Flur gegenüber hat sich der VfO, der Verein für Originalgrafik eingemietet, der am gleichen Tag eröffnet wie das Haus Konstruktiv.
Christian Herdeg: Red Explosion, 1971. Foto: © Pierre Kellenberger
Zurück zum Anfang, zum Ausrufezeichen hinter dem Slogan «Wir sind hier!» Dieser explosive Standpunkt sieht das Team ideal dargestellt in Christian Herdegs rot leuchtender Skulptur Red Explosion die nun die Flyer und Plakate ins rechte Licht setzt.
16. Mai bis 28. September
Titelbild: Museumsdirektorin Sabine Schaschl präsentiert die alten und neuen Konkreten, Konstruktiven und Konzeptuellen. Hinter ihr links zwei Tableaus von Camille Graeser und rechts von Verena Loewensberg. Foto: EC
Fotos: © Stefan Altenburger und Museum Haus Konstruktiv
Informationen für Ihren Besuch finden Sie hier
Heute, 15. Mai ist um 18 Uhr Vernissage an der Limmatstrasse 268 im Kreis 5, Zürich.