Bei einem Waldspaziergang beleben wir den Geist und stärken das Immunsystem. Auf den unebenen Waldwegen üben wir den sicheren Gang und das Gleichgewicht. Die würzige Waldluft mit all den Düften von Bäumen, Blumen und Kräuter zu atmen, tut ebenfalls gut.
Seit den Pandemiejahren haben viele den Wald neu entdeckt: Um sich zu bewegen und um sich mit Freunden oder der Familie zu treffen, denn man durfte ja nicht mehr als zwei bis drei Personen nach Hause einladen. Für Kinder ist ein Ausflug in den Wald immer ein Abenteuer, da gibt es viel zu erleben. – In meiner Kindheit sammelte die ganze Familie im Spätsommer eimerweise Heidelbeeren. Himbeeren und Brombeeren lockten uns ebenso wie die wunderbaren kleinen Walderdbeeren.
Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber Scivias (Foto: commons.wikimedia.org)
Hildegard von Bingen empfängt eine göttliche Inspiration und gibt sie an ihren Schreiber weiter.
Der Äbtissin Hildegard von Bingen (1099-1179). gebührt die Ehre, die über Jahrhunderte hinweg wichtigste Gelehrte der Pflanzenheilkunde in Mitteleuropa zu sein – nebst ihren grossen Verdiensten für Wissenschaft und Religionsverständnis.
Der Wald ist Lebensraum für die verschiedensten grossen und kleinen Heilpflanzen. Manche können wir selbst ernten, wenn wir uns auskennen, andere sind vergessen gegangen. Und schliesslich wachsen auch gefährliche giftige Pflanzen im Wald. Die muss man kennen und unbedingt meiden, denn im Wald haben sie durchaus ihren Platz.
Nadelbäume gehören zu den wohltuenden «Waldbewohnern». Meine Grossmutter war überzeugt, dass ein Fichtennadelbad einer Erkältung auf schnellstem Weg den Garaus machen könnte. Die ätherischen Öle der Fichten, Kiefern und Lärchen werden zu Salben zum Einreiben oder als Essenzen zum Inhalieren oder für Bäder verarbeitet und gegen Rheuma, Gicht und Muskelschmerzen empfohlen.
Entspannung und Schmerzlinderung mit Nadelhölzern
Ein bekannter Schweizer Kräuterdrogist verkauft seit langem seine durchaus wirksamen Hustenbonbons mit Nadelbaumessenzen. Die schmackhafteste Form, die ich kenne, ist ein Sirup aus jungen, maigrünen Tannenspitzen. Verdünnt mit etwas Mineralwasser schmeckt er besser als alkoholfreier Sekt.
Im Unterholz lichter Wälder fühlt sich Wacholder wohl, dessen Beeren zugleich als Gewürz, Grundlage für Schnaps und als Heilmittel genutzt werden. Wegen der spitzen, nadelartigen Blätter – Wacholder gehört zu den Zypressengewächsen – ist die Ernte der reifen Beeren mühselig, falls man sie nicht auf den Boden schütteln kann und sie dort aufsammelt.
Auch die leuchtend orange-roten Berberitzen, ein sehr wirksames Mittel, um die Leber gesund zu halten, wachsen an stachligen Zweigen in Hecken, in lichten Wäldern oder an sonnigen Hängen.
Weniger bekannt sind die heilenden Wirkungen der Birke (Foto oben). In der Naturheilkunde gilt Birkenblättertee als einer der besten Tees zur Wasserausscheidung, denn er reizt die Niere nicht, befördert aber die Harnbildung. Bei entzündlichen Erkrankungen oder gar bei krampfartigen Zuständen wird dieser Tee sehr empfohlen. – Da es sich hier um schwere Krankheiten handeln kann, unbedingt den Arzt konsultieren!
In schattigen Buchenwäldern findet man im Frühling den Waldmeister (Foto unten), eine zarte Pflanze mit kleinen weissen Blüten, die besonders stark duften, wenn sie beginnen zu welken. Waldmeister hilft bei Leberschwäche, Darmstörungen, bei Krämpfen und zum Einschlafen. Aber Achtung: Der Wirkstoff Cumarin kann Kopfschmerzen verursachen. In der «Maibowle» ist Waldmeister seit jeher beliebt – denken Sie daran: nicht zu viel trinken!
Die Esskastanie (auch Echte Kastanie genannt) wächst zwar in manchen unserer Wälder, sie gehört jedoch in den Tessin. Für die Menschen dort waren die Maroni überlebenswichtig. Kastanienwälder wurden sorgfältig gepflegt. In früheren Jahrhunderten, lese ich, wurden im Spätsommer und Herbst sogar die Blätter gesammelt und getrocknet. Sie enthalten neben Gerbstoffen auch Vitamin C und Wirkstoffe, die als Tee zubereitet, gegen Keuchhusten, Asthma und andere Atemwegsbeschwerden verordnet wurden. – Ein Beispiel, wie mittellose Familien sich damals behelfen mussten. Heute wird man bei diesen Beschwerden zu anderen Heilmitteln greifen.
Heilmittel aus Baumrinde in früheren Epochen
Eichenrinde, die darin enthaltenen Gerbstoffe, als stärkendes Mittel für den Darm und Ulmenrinde (nur von jungen Ästen) als Mittel gegen Schleimhautentzündungen sind heutzutage wohl ungebräuchlich.
Eine wichtige, hochgiftige Blume soll noch erwähnt werden: der Fingerhut (Foto links). Ihr lateinischer Name lautet Digitalis purpurea L. Die Pflanze ist geschützt, wächst in Wäldern, am liebsten jedoch auf Kahlschlägen. Es ist eine der stärksten Giftpflanzen in Mitteleuropa. In der Homöopathie allerdings kann Digitalis in hohen Verdünnungen (Dilutionen) eingesetzt werden. Nur Fachpersonen mit dem entsprechenden Wissen und grosser Erfahrung besitzen die Kompetenz, mit Digitalis verantwortungsvoll umzugehen.
Auch die Eberesche («Vogelbeerbaum») mit ihren leuchtend roten Früchten wächst gern an Waldrändern oder Lichtungen. Als Spenderin von Vitamin C, als Saft oder Konfitüre, war sie früher besonders bei der Landbevölkerung sehr beliebt, ebenfalls zur Anregung der Magensäfte. Heute kennen wir zahllose andere Präparate. – Wer es dennoch einmal versuchen möchte: Nur die vollreifen Früchte nehmen, und Achtung: Es gibt zwei Sorten, die bei uns verbreitet sind: Eine hat sehr herbe, bittere Beeren; nur die sogenannte Böhmische Eberesche hat milde Früchte.
Bitte beachten Sie:
Diese Ausführungen sollen auf das natürliche Potential der Wälder aufmerksam machen. Die ganze Reichhaltigkeit der Vegetation unserer Wälder lässt sich hier nicht darstellen. Keinesfalls sollte der Rat einer in Naturheilkunde gut geschulten Fachperson ersetzt werden.
Dieser Artikel fusst auf dem Buch des Apothekers
Mannfried Pahlow, Das grosse Buch der Heilpflanzen. Gesund durch die Heilkräfte der Natur. 526 Seiten. 1999 Gräfe & Unzer Verlag GmbH München. (In Nachdrucken heute noch erhältlich)
Titelbild: Foto mp (Fotos, wenn nicht anders erwähnt: / pixabay.com)