StartseiteMagazinKolumnenAchtzigjährige unter sich

Achtzigjährige unter sich

Der eine lädt an seinem 80. Geburtstag gleich zu seinem 90. Wiegenfest ein, der andere geht spazieren, denkt darüber nach, was noch kommen könnte. Der eine steht noch in einem erbitterten Kampf mit der Verleger-Familie Lebrument im bündnerischen Chur um eine Radio-Konzession. Der andere schreibt an seinem wohl «letzten Roman». Der eine will fit bleiben, weil es seine  27-jähige Tochter Lea stört, dass sie so einen alten Vater hat. Der andere setzt sich mit seinem 21-jährigen Sohn augenzwinkernd auseinander, der ihn ermuntert: «Schau mal, Eric Clapton, der ist so alt wie du und hat es noch voll drauf.» Und: Beide arbeiten noch.

Sie haben es gemerkt: Bei einem handelt es sich um Roger Schawinski, dem Medienpionier, wie er bezeichnet wird, beim andern um Jürg Acklin, Psychoanalytiker und Schriftsteller. Zu lesen ist das bemerkenswerte Gespräch »Man kann uns nicht einfach als alte weisse  Männer in den Schank stellen»* in der Wochenend-Ausgabe der NZZ. Beide sind mir in meinen 80 Jahren immer wieder mal begegnet, manchmal direkt, gar konfrontativ, manchmal eher zufällig, erhellend, äusserst angenehm.

Roger Schawinski war wie ich bereits 1974 leitend beim Schweizer Fernsehen tätig. Als Vertreter der nationalen, dreisprachigen Tageschau sass ich in der  wöchentlichen Planungssitzung der Informationsabteilung des Deutschschweizer Fernsehens, als er ins Gremium aufgenommen wurde, angekündigt als d a s Talent. Schawinski setzte sich sehr schnell engagiert und strebsam in Szene. Er scheute sich nicht, selbst Heiner Gautschi, legendäre Radiostimme aus New York, damals für die Aussenpolitik im Fernsehen zuständig, immer wieder in Frage zu stellen. Und er lag uns mit dem Namen eines Mannes ständig in den Ohren, dem er es gleichtun wollte: Ralph Nader, Konsumentenpapst in den USA. Am Küchentisch bei Speis und Trank in seiner kleinen Wohnung in Benglen am Greifensee entstand, was er sich wünschte: die Konsumentensendung und auch gleich der Name: Kassensturz.

Im SRG-Fernsehen gross und erfolgreich geworden, entwickelte er sich nach seinem Abgang sehr schnell zum «Pionier» in der Medienlandschaft, aber damit auch zu einem Gegner der bundesrätlichen Medienpolitik und in der Folge auch zur SRG, zu seiner ehemaligen Arbeitgeberin. Und ich, der für die Innenpolitik beim Fernsehen zuständig zeichnete, war in seinen Augen kein Kollege mehr, sondern schlicht der verlängerte Arm der bundesrätlichen Politik, auch in der öffentlichen Kontroverse. Viel der Ehre, ohne Beleg.

Und eines hat er durchgehalten: Sein Markenzeichen, das kontroverse Interview, nach denen viele seiner Gäste das Studio als Verlierer verliessen und lange ihre Wunden zu lecken hatten. Und dafür, dass er wieder einen Sendeplatz bei der SRG erhielt, bei seiner langjährigen Gegnerin, setzte er alles ein, seine Hartnäckigkeit, seine Raffinesse. Es war auch einer gewissen Opportunität geschuldet, dass man ihm einen Sendeplatz überliess, den er dann an Urs Gredig verlor, der mit einem weit sanfteren und weicheren Interviewstil dennoch den jeweiligen Gast der Zuschauerschaft näherbringt.

Auch Jürg Acklin hatte seine Bedenken, als er als Gast bei Schawinski geladen war. «Dieter Bachmann, mein Schriftsteller-Kollege warnte mich, Du musst aufpassen, wie hart er fragt.» Man werde an die Wand gedrückt. Acklin: «Es ging gut, als wir merkten, dass wir beide die Schauspielerin Jeanne Moreau gut finden, und wir beide damals das gleiche Auto fuhren: einen Lancia.»

Zwei Treffen mit Jürg Acklin sind mir in besonderer Erinnerung geblieben. Es muss vor der Einführung der Sendung Karussell gewesen sein. Eine kleine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten hatten sich in der Ausbildung mit dem neuen Zauberwort des Journalismus zu befassen, mit der Recherche. Unter ihnen Jürg Acklin. Ich staunte, mit welcher Akribie er mit seinen Kolleginnen und Kollegen das Thema anging. Und ich dachte, das wird ein ganz Guter. Er blieb dem Journalismus nicht erhalten, aber immer verbunden.

Viel später traf ich ihn wieder einmal. Und wir hatten die gleichen vornehmen Aufgaben, stellten wir fest. Er hatte seinen Sohn immer und immer wieder zu den Trainings, zu den Spielen in meiner Einnerung als Eishockeyaner zu fahren und anschliessend nach Sieg oder Niederlage zu trösten, gemeinsam zu freuen, auf jeden Fall zu betreuen. Ich hatte meinen Enkel, meistens mit einem Kollegen, zu den gut ausgebauten Sportanlagen auf den Höhen über den Zürichsee-Gemeinden am rechten Ufer zu den Fussball-Spielen und Turnieren zu fahren. Vom Trösten blieb ich meistens verschont, das hatten später zu Hause die Eltern zu leisten. Uns blieben das Thema, späte Väter und der Unterschied zu mir als Grossvater im gleichen Alter. Freuden und Leiden. Achtzigjährige unter sich.

*Roger Schawinski und Jürg Acklin: Zwei Freunde über Leben mit 80

 

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