StartseiteMagazinKulturWetterkapriolen über Gerzenstein

Wetterkapriolen über Gerzenstein

Wetterkapriolen werden die Freilichttheater-Saison auch 2025 begleiten. Das bekamen Bühnen Bern vergangene Woche zu spüren. Die Premiere von Glausers Klassikers «Wachtmeister Studer» wurde am Freitagabend von einem Gewittersturm kräftig durcheinander gewirbelt, aber nach einem Unterbruch zu Ende gespielt. Der Spielfreude des Ensembles tat der Regen keinen Abbruch.

Nach «Romeo und Julia» von letztem Jahr (das ab dem 18.6. wieder aufgenommen wird) zeigen Bühnen Bern zum Schluss der Spielsaion 24/25 «Wachtmeister Studer», nach dem Kriminalroman von Friedrich Glauser, und zwar als Open-Air-Inszenierung.  Im Park hinter der Villa Morillon verschlägt es den knorrigen Wachtmeister ins fiktive Dorf Gerzenstein, wo er den Tod von Wendelin Witschi aufklären soll.

Für den Staatsanwalt und die Dorfbewohner ist schnell klar, wer der Täter sein muss: Verhaftet und angeklagt wird der vorbestrafte Erwin Schlumpf, der eine Beziehung mit Sonja, der Tochter des Erschossenen, hatte. Der Wachtmeister aber zweifelt, ob Schlumpf der Mörder ist. Studer (gespielt von Stéphane Maeder) besucht den Beschuldigten in U-Haft und kann gerade noch verhindern, dass dieser sich umbringt. Er hat Mitleid mit dem jungen Burschen.

Jeanne Devos führt (auch) als Erzählerin durch die Geschichte.

Die Ermittlungen bestärken ihn in seinen Zweifeln: Zwei Pistolen vom selben Typ, eine Handvoll Patronenhülsen in einer Blumenvase, glitzernde Pulverspuren, das Fehlen von Tannennadeln auf dem Rücken des Toten, obwohl dessen Leiche im Wald liegend gefunden wurde….. Fragen über Fragen treiben den kurligen Fahnder um.

Hinzu kommen die Lügen und Geheimnisse der Dorfbevölkerung, die Studer entgegen prallen. Eine zweite These, Erwin Schlumpf habe sich umgebracht, damit die Hinterbliebenen eine Versicherungsprämie kassierten, verwirft der Wachtmeister: Versicherungen zahlen bei Suizid nicht. Bleibt der dubiose Gemeindepräsident, der als Täter in Frage kommt. Aber welches Motiv hatte er, um Wendelin umzubringen?

Wachtmeister Studer (rechts) glaubt dem Staatsanwalt (David Berger) kein Wort.

Studer kämpft mit einer chronischen Brustfellentzündung. Sein Husten wird stärker und wirkt (beim Publikum) ansteckend. Der Regen wird stärker. Als Zuschauer sitzt man mitten drin, fiebert mit und glaubt an Studers Instinkt. Genau wie in Glausers Roman ist der Wachtmeister korpulent, hat graue Haare, trägt einen Regenmantel sowie einen Hut und raucht Brissago-Zigarren. Einmal wirkt er gemütlich, ruhig und unerschütterlich, ein anderes Mal verliert er im Dorf Gerzenstein die Fassung.

Jonathan Loosli als Regisseur und in diversen anderen Rollen.

Die Inszenierung setzt ganz auf Glausers bewährtes Original: Studer arbeitet vor allem intuitiv und verlässt sich weniger auf Fakten als auf sein Gespür und die Atmosphäre, in der Menschen leben. Er ist ein geduldiger Zuhörer und nimmt sich Zeit für seine Ermittlungen. Bürokratie ist ihm zuwider, er stellt sich gegen Obrigkeiten und zeigt Verständnis für die «Verlierer» der Gesellschaft. Er verurteilt nicht, sondern sucht nach den Motiven hinter einer Tat und möchte helfen, statt nur zu bestrafen.

Die Berner Aufführung fesselt und regt zum Nachdenken an. Das vierköpfige Schweizer Ensemble, bestehend aus Jeanne Devos, Stéphane Maeder, David Berger und Regisseur Jonathan Loosli, verortet das Geschehen in Dialekt und in Hochdeutsch in der Schweiz, hüpft, springt, wechselt ständig die Kostüme sowie die Rollen und bringt Glausers Botschaft mit einem tüchtigen Schuss Humor auf den Punkt.

Der Wachtmeister gibt sich gegenüber der Tochter des Erschossenen wie ein Vater.

Studers Engagement für soziale Gerechtigkeit zeigt sich in seinen Ermittlungen vor allem durch sein Mitgefühl für gesellschaftlich Benachteiligte und seine kritische Haltung gegenüber sozialen Missständen. Er betrachtet nicht nur die Tat, sondern auch die sozialen Hintergründe und das Schicksal der Beteiligten.

Friedrich Glauser verfasste die fünf Wachtmeister-Studer-Krimis in den letzten drei Jahren seines Lebens – selber geprägt von Entmündigung, Drogenabhängigkeit und Internierungen in psychiatrischen Anstalten – und begründete damit seinen literarischen Ruhm.

Zwei Pistolen des gleichen Typs? Da kann etwas nicht stimmen.

Die Berner Inszenierung kann als «Schauspiel-Mobil» für andere Spielorte (Gerichtssälen, Schul-Aulas, Hotels oder Gemeindesäle) gebucht werden. In der kalten Jahreszeit wird sie von Bühnen Bern in den Vidmarhallen im Liebefeld gezeigt. Wer Wetterkapriolen hasst und lieber einen trockenen Wachtmeister Studer erleben möchte, tut gut daran, eine Indoor-Aufführung zu besuchen.

Titelbild: Der Wachtmeister (Stéphane Maeder) befragt den Beschuldigten Schlumpf (Jeanne Devos). Alle Fotos: Yoshiko Kusano.

Link

Bühnen Bern

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-