StartseiteMagazinKulturMit einem Hauch von Nostalgie

Mit einem Hauch von Nostalgie

Liebe, Eifersucht, Verlust und Tod sind auf der Bühne, auch im Ballett, zentrale Elemente. Unter dem Titel «Les oiseaux rebelles» wird im Opernhaus Zürich diese ganze Gefühlsebene ausgelotet, einmal mit der tänzerischen Adaption von Mussorgskys «Bilder einer Ausstellung» und dann mit «Carmen» nach der Oper von Georges Bizet. 

Der erste Ballettabend der Saison am Opernhaus Zürich gehört zwei Gastchoreografen: Mats Ek, der mit «Dornröschen» 2014 auf der Zürcher Bühne unvergessen ist und der Zürcher «Debütantin» Dani Rowe aus Australien. Ins Zentrum stellen beide starke Persönlichkeiten, die sich durchsetzen und Widerständen trotzen.

«Carmen» in der Choreografie von Altmeister Ek wird aber nicht, wie in der weltbekannten Oper von Georges Bizet, aus Sicht der Titelfigur, sondern aus der Perspektive des letztlich zum Tode verurteilten Soldaten Don José erzählt. Und getanzt wird in der von Rodion Schtschedrin verfassten Version, die sich eng an Bizets «Carmen Suite» anlehnt.

Zwischen Tod und Lebenslust

Das Stück beginnt mit einem von den ersten Takten von Bizets «Habanera» untermalten Flashback: Don José (Esteban Berlanga) steht vor einem Erschiessungskommando. Aber dann wird es laut. Junge Frauen in glänzenden Taftkleidern – eine Persiflage auf die Flamencotänzerinnen in den Touristenzentren – sprühen laut kreischend vor Lebenslust und schwingen ihre Röcke und Beine. Starr wie Zinnsoldaten treten dagegen die Soldaten auf. Nur ihr Hauptmann (Karen Azatyan) windet sich und schwankt zwischen militärischem Auftreten und der Lust, sich frei zu bewegen.

Die unkonventionelle, Zigarre rauchende Carmen (Nancy Osbaldeston) beherrscht die Welt – und die Männer. Vor allem Don José, getanzt von Esteban Berlanga. 

Und dann kommt Carmen (Nancy Osbaldeston). Natürlich in Rot, ohne Taft und Rüschen. Wie ein Irrwisch fegt sie durch die Menge, tanzt mit den Frauen, verdreht den Soldaten den Kopf, raucht eine dicke Zigarre und findet sich in zärtlicher Liebe vereint mit Don José. Aber da gibt es auch noch andere Männer. Den Picador Escamillo zum Beispiel, ein in Gold gekleideter Gockel, dessen Erscheinung an den Song «Er hat nen Hintern wie Apollo …» von Rainhard Fendrich erinnert.

Escamillo (Brandon Lawrence) ist es gewohnt, dass Frauen ihm zu Füssen liegen.

Dazu kommt die rätselhafte Figur der «M.» (hervorragend Shelby Williams), die immer wieder auftaucht, mal über die Bühne buckelt, dann wieder zu warnen scheint. Ob sie nun Mutter, Carmens Freundin Micaela oder «La Mort» ist, bleibt offen. Weder kann sie die rebellische Carmen von ihrem unkonventionellen Leben und Lieben abhalten, noch den unglücklichen Don José aus seiner Verstrickung retten.

Mats Ek choreografierte das Ballett 1992 für das schwedische Cullberg-Ballett, und die Produktion wirkt doch kein bisschen angestaubt. Das liegt einerseits an der speziellen Tanzsprache des Altmeisters, der dieses Jahr 80 wurde, andererseits aber auch an den Mitgliedern des Zürcher Balletts, die mit so viel Schwung und technischer Brillanz diese 150-jährige tragische Geschichte einer starken Frau tänzerisch umsetzen.

Opernhaus-Orchester unter Matthew Rowe überzeugt

Einen grossen Anteil am Zauber dieser Inszenierung hat zudem das Orchester des Opernhauses mit Matthew Rowe am Pult, einem ausgewiesenen Ballettdirigenten, der die richtigen musikalischen Akzente zu setzen weiss. Nur im ersten Teil des Ballettabends, bei «Vestige» ist das Orchester ab und zu etwas laut.

Viel Tüll, viel Spitze und schöne Tanzszenen. Das ist «Vestige».

Vor «Carmen» hat die australische Choreografin Dani Rowe, die heute das Oregon Theatre in Portland (USA) leitet, ihren ersten Auftritt in Zürich. In «Vestige», was so viel wie Spuren oder Überreste heisst, setzt sie sich mit Maurice Ravels Orchesterfassung von Modest Mussorgskys Klavierzyklus «Bilder einer Ausstellung» auseinander.

Das Bühnenbild mit den wie Mobiles arrangierten, leeren Bilderrahmen zeigt indes keine Bilder. Die werden davor vom Ensemble getanzt. Dabei kann Rowe, die nicht verwandt ist mit dem Dirigenten, ihre Herkunft nicht verleugnen. Die Balletts Russe haben seit den 1930er-Jahre die Ballettszene in Australien wesentlich und in Ansätzen bis heute geprägt.

Erinnerungen und Emotionen

Diese nostalgischen Referenzen sind auch in Rowes Choreografie eingeflossen. Das heisst für «Vestige» viel Tüll und Spitzentanz, viele schöne Bilder mit Pas de Deux, Volkstänzen und Ensembleszenen, die allerdings, von der Musik abgesehen, nicht viel mit Mussorgskis «Bildern» zu tun haben. Es sind viel mehr Erinnerungen oder Emotionen.

«Human», getanzt von Max Richter und «Him», (Karen Azatyan). (Alle Bilder Opernhaus Zürich/Admill Kuyler)

Zentrale Figur ist «Human», getanzt von Max Richter. Human ist überall zu finden und doch nirgends integriert. Ganz stark und wunderbar ist ihr/sein Auftritt zum Schluss – so wie die ganze Produktion ein Kompliment an das Zürcher Ballett ist, das bei der Erarbeitung der Choreografie mit einbezogen wurde und viel zur endgültigen Fassung beigetragen hat.

Weitere Aufführungsdaten: 18., 23., 25., 31.Oktober, 1., 9., 13.November, 2., 4., 5., 6., und zum letzten Mal 9. Dezember.

 

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