Seit 40 Jahren gibt es Longo maï, von Jugendlichen aus Basel und Wien 1973 gegründet.
Möge es dauern, ist die simple Übersetzung von Longo maï. Der Name sollte Programm sein, und anscheinend hat er es gebracht. Die „Utopie der Widerspenstigen“ ist jetzt 40 geworden, einige der Gründer sind Senioren, die jüngsten können noch nicht mal gehen. Die Gemeinschaft Longo maï überlebte, weil sie politisch und internationalistisch geblieben ist.
Grosses Interesse an der Utopie der Widerspenstigen
Mit einer Wanderausstellung zum 40. Jahrestag ziehen die Pioniere von Longo maï durch die Schweizer Städte – von Basel nach Genf, von Lausanne nach Bern, später nach Berlin und Wien. Jetzt sind sie für einen Monat zu Gast in Zürich, präsentieren in der Shedhalle der Roten Fabrik ihr Kunstwerk.
Eine Art Klassentreffen
Die Vernissage am 22. Februar in der Shedhalle der Roten Fabrik wurde zu einer Art Klassentreffen verschiedener Generationen von einstigen und heutigen Pionieren, von Sympathisanten und Freunden. Der Filmabend vom Freitag 7. März wird weitere Interessierte in die Shedhalle der roten Fabrik bringen. Der Dokumentarfilm „Das Boot ist nicht voll“ von Daniel Wyss, zeigt die Freiplatzaktion für Chileflüchtlinge nach dem Umsturz 1973.
Poster von der Freiplatzaktion 1973
Im Kontext des kalten Kriegs zeigte sich der Bundesrat den politischen Flüchtlingen gegenüber misstrauisch. Sie seien zu links und möglicherweise gefährlich. Mit dem Flüchtlingskaplan Cornelius Koch brachte Longo maï neben pflügen und Ziegen hüten eine Volksbewegung in Gang. In den ganzen 40 Jahren hat die Organisation sich politisch eingesetzt, in erster Linie für Flüchtlinge, Papierlose, Arbeitsmigranten aber auch gegen Impfzwang für Schafe oder gegen Agromultis.
Europäische Pioniere
Die Ausstellung reflektiert die Geschichte der Kooperative zurück bis zu den Anfängen: Die radikale Lehrlingsgruppe Hydra aus Basel und die noch radikalere Jungkommunistengruppe Spartakus aus Wien entschlossen sich, gemeinsam in der Haute Provence 300 ha Land mit drei verfallenen Siedlungen als Kommunarden zu bewirtschaften.
Heuernte auf dem Hof in der Ukraine
Die Wanderausstellung will aber auch zeigen, wo die rund zweihundert Longo-maï-Aktiven heute stehen mit der Landwirtschaft auf verschiedenen Höfen von Frankreich bis in der Ukraine, mit Gewerbebetrieben, vor allem der Wollproduktion, mit der politischen Arbeit, den internationalen Projekten im Europäischen Bürgerinnenforum (eine Longo-maï-Gründung), dem Fundraising. Das Kollektiv mit seinem Basler Koordinationsbüro braucht viel Unterstützung von aussen, damit alle Ziele erreicht werden können, damit Arbeitsplätzen für junge Menschen entstehen, die ökologischen Ziele erreicht werden.
Warum dabei?
Neben Bildern und Texten aus Vergangenheit und Gegenwart wird die „gelebte Utopie“ mit Videos von Mitgliedern, welche ihre besondere Beziehung dazu äussern, auch lebendig, und natürlich trifft man in der Shedhalle jüngere und ältere Longo-maï-lerinnen. Die Menschen in den Kollektiven seien noch immer „nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ seien, „auch nach vierzig Jahren nicht!“ freute sich Nationalrat Bastien Girod bei der Ausstellungseröffnung.
Bauer werden ist harte Arbeit: Gründer von Longo maï in der Provence
Der Soziologe Denis de Rougemont hatte zur Hochblüte der „libertären Kommunen“, zu denen auch Longo maï zu zählen ist, postuliert, sie seien „von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Seine Begründung: „Bestand haben, heisst Institution werden, was wiederum verbunden ist mit der Übernahme von festen Regeln und von mehr oder weniger rationalen (oder rituellen) , mit dem anfänglichen Stil der Gruppe wenig verträglichen Gewohnheiten, die obendrein von einer zweiten Generation notgedrungen als unterdrückend, repressiv und typisch totalitär empfunden und Revolten auslösen würden.“ Der Soziologe lag falsch. Gewiss gab es Zeiten, wo seine Analyse teilweise zutraf, beispielsweise autoritäre Strukturen, aber am Ende funktionierte die Basisdemokratie wieder neu.
Spendengelder missbraucht?
Die Vorwürfe der Verschleuderung von Spenden- millionen, die sogenannte Pressekampagne1979, oder auch Longo maï sei eine totalitäre Sekte, sind in der Ausstellung sowie in dem Begleitbuch von Ausstellungsmacher Andreas Schwab dokumentiert. Sie warfen das noch junge Projekt in eine tiefe Krise, auch finanziell.
Für Adolf Muschg ist Longo maï heute vorbildlich
Zum Sektenvorwurf fand bei der Vernissage ein Supporter der ersten Stunde, der Schriftsteller Adolf Muschg, die Erklärung in der Bibel bei Moses: „Es gibt auf dem Weg durch die Wüste Führerfiguren.“ Die Zeit ändere auch viel, fuhr er fort: „Jetzt müssen sich die Menschen von Longo maï auch mit Altenpflege auseinandersetzen.“
Auswahl aus der Eigenproduktion
In der Schweizer Politik sucht man immer den Kompromiss, in Longo maï dagegen arbeitet man am Konsens. Gewiss, die endlosen Vollversammlungen sind anstrengend, und Privatbesitz gibt es immer noch nicht. Aber es kamen Kinder zur Welt, es wurden Leute ausgebildet, Jugendliche aus ganz Europa kamen für Arbeitseinsätze, einige blieben für immer.
Sämereien austauschen
In der Zürcher Ausstellung findet vom 14. bis 16. März ein Themenwochenende „Die widerspenstige Saat“ statt, es gibt Informationen über das Diktat der Saatgutkonzerne am Beispiel Kolumbien, eine Samenbörse für alle wird organisiert. Das Experiment geht weiter.
Programm der Ausstellung auf: Prolongomai
Zur Wanderausstellung ist ein Katalog erschienen. 2013 Eigenverlag, 22 Franken.
Ausserdem hat Andreas Schwab, der Ausstellungsmacher, ein Buch zu Longo Maï vorgelegt:
Andreas Schwab, Landkooperativen Longo maï. Pioniere einer gelebten Utopie. 2013 Rotpunktverlag Zürich, 38 Franken