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Kurzweilige Sizilien-Geschichten

Zwei Liebende, die sich nicht haben dürfen, eine Prise Mafia und ein Esel namens Mussolini. Schauplatz ist das sizilianische Städtchen Vigata in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

Die acht Kurzgeschichten mit den viel versprechenden Titeln stammen aus der Feder von Andrea Camilleri. So viel sei vorweg genommen, die Titel versprechen nicht zu viel. Vigata – auch die Heimat von Commissario Montalbano – hat eine bewegte Vergangenheit, und man schaut 1899 in eine verheissungsvolle Zukunft: Das Flugzeug ist grad noch nicht erfunden, das Automobil steckt noch in den Anfängen, die Strassen sind noch nicht elektrisch beleuchtet: An der Schwelle zum 20. Jahrhundert erwarten die Menschen aber viel technischen Fortschritt und damit ein Leben in Frieden und Wohlstand.

Romeo und die vermeintliche Julia

Nur im verschlafenen sizilianischen Städtchen Vigata tut sich scheinbar nichts. Bis der Bürgermeister einen grossen Maskenball für Silvester ankündigt. Baron Filiberto d’Asaro und seine Familie werden natürlich mitmachen. Aber auch die Familie des Barons Giosuè di Petralonga will dabei sein. Das Problem: Die beiden Familien sind seit langer Zeit verfeindet, bekriegen sich auch schon mal handfest und blutig.

Nun einigt man sich auf eine Art Waffenstillstand während des Balls: die einen tragen grüne, die anderen rote Kostüme, man sitzt streng getrennt. Die Jury, ist paritätisch besetzt: Die d’Asaro schicken den Sohn Manueli, die Petralonga die Tochter Mariarosa. Damit scheint jede Auseinandersetzung ausgeschlossen. Wenn da die Liebe nicht wäre. Zumal Mariarosa mit einer „furchterregenden Schönheit“ gesegnet ist.

Die Abkömmlinge der Erzfeinde in der Jury würdigen sich zunächst keines Blickes. Aber es sind nicht immer Blicke, die Lust entfachen, es kann auch mal mit „Füsseln“ beginnen. Kurz und gut: die Begegnung mündet in einen veritablen Coup de foudre.

Es ist vorauszusehen, dass diese Liebe in beiden Familien nicht die geringste Chance hat. Zusammen mit einem Freund und einem kleinen Mafioso hat Manueli die Idee, seine Angebetete zu entführen. Es soll aber nicht etwa nach Liebesflucht, sondern nach richtiger Entführung mit Erpressung aussehen und damit ein Ende in Minne herbeiführen. Zunächst verläuft alles nach Plan, dann aber alles aus dem Ruder. Das Ende geht nicht nach Shakespeare, sondern ist schon fast feministisch angehaucht. Jedenfalls ist Ariarosa, die vermeintliche Julia, ganz froh, dass sie den Kerl letztlich nicht bekommen hat!

Der Esel Mussolini und die neuen Schuhe

Der Bauer Bartolomé bewirtschaftet seinen Hof in den Bergen von Crasto zusammen mit seiner Frau Assunta, den Söhnen Jachino und Ngilino und der Tochter Catarina. Und nicht zu vergessen, dazu gehört neuestens der Esel mit Namen Mussolini. Das geht eigentlich nicht wirklich, im Jahr 1939. Denn auch Bartolomé und seine Söhne marschieren schon mal mit den Schwarzhemden, über dem Esstisch hängt ein Porträt des Duce. Bartolomé beschliesst deshalb, den Esel Curù zu nennen.

Aber der Esel ist störrisch wie ein richtiger Esel und legt sich mitten im Städtchen mitten auf die Strasse. Er tut keinen Wank, bis Bartolomé ihn mit dem Stock schlägt und „verblödeten Mussolini“ nennt. Das wiederum gerät dem Ortsgruppenleiter in den falschen Hals, Bartolomé wird festgenommen und erst wieder frei gelassen, nachdem er versprochen hat, den Esel niemals mehr Mussolini zu nennen.

Jachino ist der einzige der Familie, der das Tier nie schlägt. Der Esel begrüsst ihn deshalb immer mit Freudengeschrei und lässt ihn von seinen ungeahnten Fähigkeiten profitieren: Am Fest des Heiligen San Calò findet er auf wundersame Weise einen gut gefüllten Geldbeutel. Damit kann Jachino sich neue, teure Schuhe zu kaufen. Als er wenig später das Aufgebot zum Militär erhält, hat er seine neuen Schuhe aber noch nie getragen. Auch sein Bruder kommt nicht dazu, weil er einberufen wird. Auf den Schuhen scheint so etwas wie ein Fluch zu liegen.

Mutter Assunta lässt ihre Wut und ihre Trauer über den Verlust der Söhne am Esel aus. Sie schlägt und beschimpft ihn auch wieder als Mussolini, als der richtige Duce Frankreich und England den Krieg erklärt. Der Esel scheint nicht nachträgerisch, jedenfalls rettet er der Familie das Leben, als der Bauernhof bombardiert wird. Und wieder geschieht Wundersames: Assunta findet im Garten den linken neuen Schuh von Jachino. Er braucht auch nur noch diesen, als er später aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrt – selbstredend freudig begrüsst von Esel Mussolini.

Die anonymen Briefe

Dass Camilleri nicht nur deftige Krimis und boshafte Dorfchroniken, sondern auch berührende Geschichten schreiben kann, zeigt er in diesem Erzählungs-Band einmal mehr: Im friedlichen Vigata tut sich gegen Ende 1945 Rätselhaftes, das Städtchen wird mit anonymen Briefen überschwemmt und niemand weiss warum und von wem.

Professore Bruccoleri ordnet die Briefe in vier Kategorien ein: der Adressat bekommt etwas zu wissen, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen; in Briefen an die Behörden wird jemand denunziert; Briefe enthüllen eine Tatsache, von der bisher niemand etwas wusste; und in der gemeinsten Variante wird ein Gerücht in die Welt gesetzt, das niemand überprüfen kann.

Letztlich geht’s immer ums Bett und die Folgen. Bruccoleri verdächtigt die Kommunisten, die Briefe zu schreiben.

Der Briefträger soll im Dorfverein für Aufklärung sorgen. Er führt genau Buch: 173 Briefe hat er schon verteilt, auch die Namen der Empfänger hat er aufgelistet. Von den 36 Vereinsmitgliedern haben 35 einen Brief bekommen – nur Buccoleri ist verschont geblieben. Damit gerät er schwer in Verdacht. Ein Ehrengericht wird eingesetzt.

Und dann erhält Buccoleri doch noch zwei anonyme Briefe: Seine Frau, die jedes Wochenende nach Palermo fährt, um ihre kranke Mutter zu besuchen, hat offenbar etwas zu verbergen. Er findet des Rätsels Lösung. Sie kommt allerdings ganz anders daher, als man vermuten könnte. Die Geschichte endet leise, rührend, ein bisschen traurig, aber versöhnlich. Und wer ist der gemeine, hinterlistige Briefschreiber?

Skurrile Geschichten aus Sizilien

Camilleri erzählt seine mitunter skurrilen Geschichten aus dem sizilianischen Landleben mit viel Leichtigkeit, Witz und – manchmal etwas umständlichem – Charme. Immer aber zeigt der Altmeister auf die gesellschaftlichen Hierarchien, die wohl nicht nur in alten Zeiten galten – Adel, Bauern, Kirche, Polizei, Mafia. Und auf die allzu menschlichen, nicht immer unsympathischen Schwächen. Er tut es nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einem Schmunzeln oder gar mit hinterhältigem Humor.

Andrea Camilleri: „Romeo und Julia in Vigata“, erschienen bei Nagel & Kimche, Februar 2015, 234 S., ISBN 978-3-312-00647-2, Fr. 27,90, gleichzeitig erscheint das Hörbuch.

 

 

 

 

 

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