StartseiteMagazinKulturRückkehr ins Schwierige Leben

Rückkehr ins Schwierige Leben

„Elling“. Von Antihelden und ihrem Weg zum Leben. Im Theater an der Effingerstrasse Bern

Zuerst kommen sie an, die aus der Psychiatrischen Klinik entlassenen so unterschiedlichen Männer Elling und Kjell Bjarne, begleitet vom Sozialarbeiter Frank, der fortan die Verantwortung für ihre Resozialisierung in einer von der Stadt Oslo bereitgestellten Wohnung trägt. Man ahnt es, ein schwieriges Leben, ein tristes Leben. Die Rückblende dann zeigt, wie die Therapeutin die beiden in dieses Leben entlässt, nicht gerade voller Optimismus.

„Blutsbrüder“ heisst die Romanvorlage von Axel Ambjørnsen zu diesem Bühnenstück von Axel Hellstenius (Deutsch: Gabriele Haefs).

Auf sich selbst gestellt, möchten sich beide vorerst nur verkriechen. Elling, der Dünnhäutige, Steife, der sich abschliesst, gar nichts an sich heran lässt und nur mit seinem innig nahen Freund Kjell Bjarneeinigermassen Gespräche zulässt, zeigt leicht autistische Züge. Er ist der Saubermann schlechthin, nicht nur praktisch Saubermacher in dieser Wohngemeinschaft. Kjell Bjarne wird von seinen emotionalen Regungen, Wünschen und Bedürfnissen in grosse Unsicherheit getrieben. Man spürt förmlich, wie alles nach Ausbruch und nach Erfüllung drängt, vor allem nach sexueller mit einer Frau. Er ist der leicht Demente, der ans Mitleid seiner Umwelt rührt. Franz, der Sozialarbeiter, wirkt gewissermassen als Katalysator dieser Situation; er lobt, tadelt, setzt Regeln fest und lebt auch ein wenig mit.

Von links: Elling (Volker Wahl), Kjell Bjarne (Simon Käser)

Neben Gunn in der Rückblende tritt Reidun auf, die zweite Frau in diesem Stück. Stockbetrunken und hochschwanger verkörpert sie dennoch, symbolisch und handelnd, irgendwie das Leben. Es gelingt ihr, die beiden in manchen Situationen doch recht verloren wirkenden Männer tatsächlich ins Leben zurück zu bringen. Auch wenn es kein Traum-Leben ist, ist es mehr, als die beiden sich wohl je erträumt haben. Von der Verschlossenheit und Unnahbarkeit zur Aktivität, von der Ersatzbefriedigung zur echten Annäherung – das Stück als Ganzes ist ein Hymnus aufs Leben. Das in einer Art und Weise, wie sie für die Gefühlswelt des skandinavischen Nordens charakteristisch scheint, erinnert man sich an jahrelange Begegnungen mit skandinavischer Literatur.

Peter Aeschbacher schafft eine recht triste, dunkle Bühne, die jedoch funktional stark diesem „Einfachen Leben“, diesem anspruchslosen Elend Raum bietet. Eine wichtige Rolle darin spielen Sybille Weltis Kostüme, bunt, aber mit viel dämpfendem Grau, den Personen und ihrer „Seele“ charakteristisch auf den Leib geschneidert. Vor allem die Sujets von Kjell Bjarnes Oberkörperkleidung wirken stark als Signale für viel Unausgesprochenes und Ersehntes. Dazu tragen auch die „kleinen Requisiten“ bei; Plüschtier, buntes Heft, Werkzeuge… Bei Elling ist es dasselbe: Die Kleidung ist seiner Steifheit und Verschlossenheit, seiner sich selbst verschliessenden Korrektheit angemessen, und die Ikone in Form des Bilds seiner Mutter gehört überzeugend dazu.

Noch selten ist mir eine solche tief gründende Übereinstimmung zwischen Ausstattung, Personen und Gehalt sowie Botschaft eines Bühnenstücks aufgefallen.

Von links: Volker Wahl (Elling), Horst Krebs (Frank), Simon Käser (Kiell Bjarne)

Karo Guthke ist mit ihrer Inszenierung ein Meisterstück gelungen. Mag auch die dramaturgische Funktion der Rückblende, die in der Klinik spielt, etwas viel Bedeutung erhalten, dieser Theaterabend wirkt in hohem Mass geschlossen, stimmungsvoll und vermag stark zu berühren. Zwar herrscht keine heitere oder gar ausgelassene Stimmung, sondern eher eine verhaltene, dem Umfeld der Menschen angepasste. Dennoch klingt immer wieder befreites oder belustigtes Lachen im Auditorium auf. Der heitere Ernst im Spiel strahlt so etwas wie ein grosses „Dennoch!“ aus. Das liegt auch daran, dass weder eine Person noch eine Situation zur schlechten Karikatur herabgewürdigt wird. Es liegt aber vor allem an der bewundernswerten Geschlossenheit, mit welcher Volker Wahl (Elling), Simon Käser (Kjell Bjarne) und Patrizia Pfeifer (Gunn, Reidun) ihre Dialoge, ihre Körpersprache, ihre charakteristische Ausprägung der Persönlichkeit so intelligent und professionell wie darstellerisch überzeugend im Wechselspiel untereinander einsetzen und mit dem Gehalt und der Botschaft des Stücks abstimmen.

Ein meisterhaft gelungener Saison-Abschluss! Aufführungen noch bis 2. Juli.

Alle Bilder © Severin Nowacki

Elling. DAS Theater an der Effingerstrasse

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