StartseiteMagazinKultur„La Bohème“ - nichts als ein Rührstück?

„La Bohème“ – nichts als ein Rührstück?

La bohème 2015 / Copyright: Judith Schlosser

Ist eigentlich alles erlaubt, was Kasse macht? Dann dürfte die Rechnung für das Opernhaus Zürich mit der x-ten Bohème aufgehen. Aber wo bleibt die Kunst?

Sollte man Puccinis Allerweltsschnulze „La Bohème“ nicht mal für 50 Jahre wegsperren? Auf allen Kanälen schluchzt der verhinderte Dichter Rodolfo, und sogar in Bahnhofhallen haucht die sterbenskranke Mimi ihre Seele aus. Und wenn wir der Netrebko und dem Jonas Kaufmann auf youtube leibhaftig begegnen können, weshalb muss dann ein Nachwuchsensemble auf die hiesige Bühne?

Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Nach dem risikobehafteten „Wozzeck“ von Alban Berg musste nun einfach ein Kassenfüller her. Dabei gibt es weit über 500 Opern, darunter viele namhafte, die das Zürcher Tageslicht noch nie gesehen haben. Wer diese Programmpolitik verantwortet, geht den geringsten Widerstand. Und das ist zu wenig für die jährlich über 80 Mio. Subventionen.

Die Pariser Bohème – nur durch die Musik ein Künstlertraum

Guanqun Yu als Mimi und Michael Fabiano als Rodolfo.

Die Handlung dürfte bekannt sein. Vier abgehalfterte Künstlertypen schlagen sich in ihrer Mansarde – in der neuen Inszenierung ist es ein etwas verkommenes, herrschaftliches Atelier samt Bühne – die winterliche Kälte um die Ohren, derweil die schwindsüchtige Nachbarin Mimi ihre Kerze wieder entflammen möchte. Wer sich entflammt, sind dann allerdings Rodolfo und Mimi. Die Liebe ist aber von kurzer Dauer, weil sie einer Projektion entspricht, welche von der Realität eingeholt wird. Auch der Zauber von Weihnachten mag nichts mehr zu retten, und so stirbt die Sehnsüchtige in den Armen des Poeten. Nun, süchtig kann auch Puccini machen, und seine Melodienseligkeit bezirzt seit 1896 Legionen von Opernherzen.

….und ewig rieselt der Schnee

Das Team der Inszenierung stammt mit Ole Anders Tandberg, Regie, und Erlend Birkeland, Bühnenbild, aus Norwegen. Dass sich Tandberg im Programmheft als Atheist bezeichnet, interessiert mich herzlich wenig. Ich hätte stattdessen lieber eine Regie, der mehr einfällt, als es immer dann auf der rückseitigen Bühne schneien zu lassen , wenn die Gefühle lodern. Und was macht die Lichtregie (Franck Evin) daraus? Das Liebespaar wird dann jeweils prompt in „güldenes“ Licht getaucht, und sobald sich die Illusion wieder verzieht, verdunkelt sich die Szenerie. Nichts gegen Bühneneffekte, alles aber gegen Scharlatanerie.

Der Chor huldigt Napoleon zu Pferd. (Bilder: Judith Schlosser)

Der 2. Akt ist in einer Art Variété-Theater angesiedelt, wo sich nun die wirklichen und die vermeintlichen „Bohemiens“ ihr Stelldichein geben. Da darf auch der Dandy Karl Lagerfeld und viel aufgemotztes Partyvolk nicht fehlen. Zu den tief verschneiten Tannen gesellt sich dann zu allem Überfluss auch noch Rodins Denker, der Weihnachtsmann und (als Parodie wohl) der siegreich-verzückte Napoleon zu Pferd. Sicher, auch Puccini treibt das weihnachtliche Treiben in den Strassen von Paris auf die Spitze, doch diesen Klamauk, dem die musikalische Substanz nur abträglich ist, hätte er nicht unterschrieben. Papierflieger hin oder her.

Der Zampano im Orchestergraben

Giampaolo Bisanti heisst der Mailänder Dirigent der jüngeren Garde. Aber er verwechselt Puccinis Partitur mit einem Musical und macht daraus ein klebriges Rührstück, das die Effekte (und darauf versteht sich Puccini wie kein Zweiter) zu Effekthaschereien gerinnen lässt. Er zelebriert die Spitzentöne und musiziert meistens zu laut und zu undifferenziert. Dass der Frack am Dirigentenpult ausgedient hat, muss nicht bedeuten, dass nun jede modische Koketterie zulässig ist. Es ist nun leider zur Tatsache geworden, dass neben Fabio Luisi fast nur noch die zweite Liga mit austauschbaren, mittelmässigen Dirigenten in Zürich aufwartet. Und das reicht auch nur für die zweite Liga.

Der Nachwuchs ist immer auch Hoffnungsträger. Und da haben die Chinesin Guanqun Yu als Mimi und Michael Fabiano als Rodolfo stimmlich die Erwartungen erfüllt. Aber auch Andrej Bondarenko (Marcello) und Shelley Jackson (Musetta), ferner Erik Anstine (Colline) und Adrian Timpau (Schaunard) runden die Ensembleleistung erfolgreich ab. Rein darstellerisch macht die Regie aber zu wenig aus den Rollenprofilen, denn stattdessen …. rieselt der Schnee.

Weitere Aufführungen: Nov. 5., 8., 11., 15., 17., 20., 25., 28. November, 1., 4., 8. Dezember  

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