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Der Tod eines Bienenzüchters

In diesen Tagen ging die Nachricht vom Tod des schwedischen Schriftstellers Lars Gustafsson durch die Medien; dabei war mir, als hätte ich einen langjährigen Freund verloren.

Gustafsson hat in seinen Büchern, in Romanen und Geschichten, immer wieder Spuren zu seinem Leben und zu seiner Zeit gelegt, um zu zeigen, wie es wirklich war, gelegentlich auch, wie es hätte sein können. In einem seiner frühen Bücher „Herr Gustafsson persönlich“ lernt man einen jungen Mann kennen, Lars Herdin, in dessen Lebensdaten unschwer diejenigen des Autors erkennbar sind. Er schlüpft in die Rolle eines Lehrers, der in der zusehends sich entvölkernden schwedischen Provinz gegen die Schliessung der Schulen ankämpft, gegen die Enge seiner Heimat, gegen deren konservative Haltung.

Dann entdeckt der Schriftsteller, dank eines Stipendiums, eine völlig andere Welt in der eingeschlossenen Stadt Berlin. Er schliesst sich den Achtundsechzigern an, den rebellischen Studenten, bewundert die Grossstadt, die lockeren Sitten, die endlosen Diskussionen an der Universität, in den Kneipen, die Diskussionen, die die Welt verändern, verbessern, vor allem neu gestalten sollen.

Schweigsamer Einzelgänger

Damals entstand das Buch „Der Tod eines Bienenzüchters“, letzter Band einer Folge von autobiographisch orientierten Büchern. Ein schweigsamer Einzelgänger wird geschildert, immer wieder ein Lars, Lars Lennart Westin diesmal, ein frühzeitig pensionierter Volksschullehrer, der nach der Scheidung in einer abgelegenen Hütte in Gustafssons Heimat, im Västmanland, ein paradiesisch anmutendes, selbstbestimmtes Leben führt. Er arbeitet im Garten, streift mit dem Hund durch die Wälder, schwimmt im nahen eiskalten See, macht sich Gedanken, analysiert seine gescheiterte Ehe, hinterfragt seine Art, mit Menschen umzugehen, sie nicht zu nahe an sich heranzulassen.

Und natürlich betreut er die Bienen, beobachtet sie und ist überzeugt, dass die Völker, nicht einzelne Bienen, dass die Völker sich sehr unterscheiden. Es gibt fleissige Völker und faule, intelligente und dumme, aggressive und sanfte; Lars Westin traut ihnen sogar Humor zu. Der Ertrag, den er mit dem Honig erzielt, ermöglicht ihm ein bescheidenes, anspruchsloses Leben.

So hätte es weitergehen können; doch ein plötzlicher Schmerz, ein Hexenschuss, wie er vermutet, zwingt ihn, Arbeiten zu unterbrechen, durchzuatmen, sich hinzulegen. Der Schmerz ist hartnäckig, verschwindet gelegentlich, kommt aber wieder, wird stärker, bedrohlicher und bestimmt so sehr seine Tage, dass er einen Arzt aufsucht.

Der Bienenzüchter Lars Westin leidet und hofft, glaubt und beweist sich, dass der Schmerz nur ein gewöhnlicher Schmerz ist, nicht mehr als ein Zwischenfall; doch weiss er genau, dass sich etwas Böses in ihm breitmacht.

Quälender Schmerz

Er will und kann sich noch nicht davon bestimmen lassen, auch nicht, als ihn ein Brief des Spitals erreicht, der wahrscheinlich die Diagnose seiner Krankheit, das Urteil enthält. Der Brief bleibt lange liegen und wird eines Tages verbrannt; denn wenn Lars ihn nicht aufmacht, kann er weiter hoffen und versuchen, den Schmerz wegzudenken, einen Vertrag mit ihm machen, ihn an ein Gelübde binden, ihn an einen Baum hängen, ihn im See versenken.

Der Schmerz quält ihn nicht nur, er setzt ihm auch zu, macht ihn kraftlos und schwach, nimmt ihm allen Lebensmut. Lars wirft ihm das vor wie einem Gegner, personifiziert ihn, klagt ihn an, kämpft und streitet, glaubt sogar eine Ähnlichkeit zwischen Schmerz und Lust zu erkennen wie in der Beziehung zu einer geliebten Frau.

An die Schonfrist, die gelegentlich eintritt, klammert er sich nicht mehr; aber er bittet um Zeit, er bittet um noch einen Frühling, vielleicht sogar um Nähe, Liebe, um Zuneigung.

Lars Gustafsson „Tod eines Bienenzüchters“, Roman, Fischer TB, Frankfurt, 2004, aus dem Schwedischen

 

 

 

 

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