Innert dreier Wochen erwiesen drei prägende Persönlichkeiten dem Zürcher Opernhaus ihre Reverenz – mit Matti Salminen ein finnisches «Polarlicht» und eine singuläre Vaterfigur.
Den Reigen eröffnete Nello Santi mit einem Galakonzert zu seinem 85. Geburtstag: der charismatische Maestro und Publikumsliebling, der in Zürich seit 1958 weit mehr als die „Italianità“ verkörpert. Es ist die oft vermisste südliche Nestwärme, mit der danach auch Leo Nucci in einem Arienabend die Wogen der Opernenthusiasten überschwappen liess. Sein „Rigoletto“ ist auch nach Hunderten von Vorstellungen noch immer einsame Klasse und nicht mehr von seinem Namen zu trennen. Ähnlich wie bei Matti Salminens legendärem „Boris Godunow“, dessen erschütternde Todesszene er an den Schluss seines Abschiedskonzertes rückte.
Matti Salminen als Osmin in «Die Entführung aus dem Serail» unter Ponnelle/Harnoncourt
Ein Abschied wie ein finnisches Familienfest
Intendant Andreas Homoki entlockte vor vollem Haus dem „Hünen aus dem hohen Norden“ in launig-aufgeräumtem Parlando heitere Anekdoten aus seiner Bilderbuch-Karriere. Darunter auch die Tatsache, dass „Matti“ sein Musikstudium unter einem Pseudonym mit finnischen Tango-Auftritten finanzierte. Die von seinem Freund und Weggenossen Leif Segerstam schwungvoll gebotene Kostprobe liess das Opernhaus definitiv zur frenetisch beklatschten Familienfeier werden. Auch Segerstam, mit dem Salminen von 1967-1998 oft und gerne bei den Opernfestspielen von Savonlinna musizierte, gehört ja zu den finnischen Legenden. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er mit seinem wallend weissen Bart und der fliegenden Mähne direkt als Troll mit dem Rentierschlitten nach Zürich gefunden hätte. Seine weihevollen Tempi erinnerten schon in der Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 an die Schallplatten-Aufnahmen seligen Andenkens, aber der Nimbus des Gespanns verdrängte für einmal alle Kritikaster-Gedanken. Erst recht, als Salminen nach der Pause mit Wagner-Arien aus dem „Holländer“ und der „Götterdämmerung“ und einer unter die Haut gehenden Interpretation der Todesszene des Boris Godunow aufwartete, mustergültig ergänzt durch Pavel Daniluk, Valeriy Murga, Otar Jorjika und Yulia Mennibaeva in Begleitpartien.
Keine Zukunft ohne Vergangenheit
Einige wenige Reminiszenzen müssen genügen, die Bandbreite seiner Zürcher Auftritte zu illustrieren. Der Name des von Salminen hoch geschätzten Regisseurs Götz Friedrich fiel im Gespräch mit Homoki mehrfach. Ich erinnere mich 1976 an seine Inszenierung von „Eugen Onegin“, wo der Finne noch blutjung bereits den Fürsten Gremin sang (und nun nochmals zum Abschied). Der Eindruck eines magistralen Deuters errang dann Friedrich mit seinem „Boris Godunow“ 1984 während des Umbaus im Hallenstadion. Damals titelte der Tagesanzeiger: „Eine mächtige Freske aus Bildern und Klängen“ und die „Züri Woche“: „Allein die Krönungsszene lohnt den Besuch“. Salminens „Boris“ war umwerfend und geschichtsträchtig zugleich.
«Die Meistersinger von Nürnberg» mit Salminen und Schnitzer unter Welser-Möst/Lehnhoff
Raumgreifend kultiviert erlebte man ihn dann 1978 als Daland im „Holländer“ (noch unter Ferdinand Leitner), die Partie, die er 2012 in der Homoki-Regie noch einmal verkörperte. Prägend dann sein Gurnemanz 1996 im „Parsifal“, Veit Pogner in den «Meistersingern» (mit Franz Welser-Möst am Pult) und Rollen in leitenden Wagner-Partien im Robert Wilson-Zyklus. Zu erwähnen auch die Wiederauferstehung als „Boris“ in einer Neuinszenierung unter Fedoseyev anno 2007 (schon damals mit Daniluk und Murga) und König Marke im „Tristan“ 2008/9 (unter Ingo Metzmacher).
Im Vergleich zum jüngsten Regie-Schiffbruch mit der „Entführung aus dem Serail“ nimmt sich 1984/85 sein Osmin unter Harnoncourt wie eine Erinnerung in Wehmut aus. Zu hoffen ist, dass Andreas Homoki nach diesen fast „unzürcherisch“ gefeierten Hommage-Bekenntnissen die Baustellen seiner Regie-Flops erkennt und Gegensteuer gibt. Das Opernhaus Zürich braucht eine Zukunft, die sich auch der Errungenschaften der Vergangenheit bewusst ist.