StartseiteMagazinGesellschaftKuba – genauer angeschaut. 2. Teil

Kuba – genauer angeschaut. 2. Teil

Noch immer ist Kubas Sozialismus ein Risiko, aber viele Kubaner sehen ihn auch als Chance.

Dass Kuba ein Spielball der Grossmächte war und ist, merken die Kubaner in ihrem Alltag. Der Sozialismus von Fidel Castro befreite die Menschen zwar aus dem Kolonialismus, trotzdem bangt die Bevölkerung immer wieder um finanzielle Hilfe, auf die sie angewiesen ist. Die marktwirtschaftliche Öffnung unter Raul Castro muss ihre Tauglichkeit noch unter Beweis stellen.

Seniorweb:  Inwieweit sind die Menschen von der Revolution geprägt?

Heather Murray:  Viele ältere Menschen erinnern sich direkt an die Revolution. Sie stehen immer noch dahinter, sind ziemlich nationalistisch und verteidigen die Politik der Castros immer noch. Sie beklagen sich zwar über das Schlangestehen, um Lebensmittel oder sonst einen Service zu erhalten, aber sie geben den Castros keine Schuld dafür – nur den Amerikanern. Manchmal zeigen sie Unmut darüber, dass Touristen im Vergleich mit Kubanern Vorteile haben.

Auch in Havanna spielen die Schulmädchen, bevor die Schule beginnt.

Die Schulkinder scheinen die Stützen des Regimes zu sein, aber ihre Begeisterung wird wahrscheinlich schwinden, sobald sie achtzehn werden. Die internationale Jugendkultur beeinflusst auch auf Kuba die 18-30-Jährigen. Die ‹hippe›, leicht zynische Jugend in Havanna unterscheidet sich stark von den jungen Leuten anderswo im Land, wo die Revolution noch grosse Unterstützung geniesst.

Was ist von der Revolution noch augenfällig?

Wie in den USA müssen die kubanischen Kinder jeden Morgen ein Bekenntnis für ihr Land ablegen, in Kuba sagen sie, dass «sie hoffen, immer mehr wie Che zu werden». Schulkinder tragen als «Junge Pioniere» spezielle Halstücher wie in der früheren Sowjetunion oder der DDR. Revolutionssprüche sieht man überall. Männer tragen oft T-Shirts mit Revolutionsslogans.

Was haben Ihnen die Menschen von den Jahren nach 1990 erzählt, als die Subventionen der sich auflösenden Sowjetunion ausblieben?

Wenn sie von diesen Jahren erzählen, wirken sie sehr ernst und bedrückt. Es waren wohl traumatische Zeiten. Sie hatten ganz real nicht genug zu essen, nicht genug Kalorien, sie mussten zum Teil Gras essen und all die kleinen Tiere ihrer Umgebung. Sie fürchteten wohl zu sterben. Ich bin ganz sicher, dass damals viele Menschen entschieden, keine Kinder zu haben.

Als ich 2013 in Kuba war, starb gerade Hugo Chavez in Venezuela. Er hatte Kubas Wirtschaft finanziell stark unterstützt, wie es die UdSSR früher getan hatte. Nun wurden die Kubaner, bei denen ich zu Besuch war, sehr nervös, zu Recht, wie sich zeigte. Venezuelas Wirtschaft befindet sich auf dem Weg zum Ruin, und das bedeutet, dass Kuba keine Hilfe mehr zu erwarten hat. Obwohl 2016 der Tourismus in Kuba um ein Viertel zunahm, schrumpfte die kubanische Wirtschaft durch den Wegfall der Subventionen aus Venezuela. Die Menschen sind immer noch beunruhigt. Nur wenn das US-Embargo aufgehoben werden sollte, kann Kuba überleben.

Was sind die Unterschiede zwischen der Hauptstadt Havanna und einer Provinzstadt wie Santa Clara?

Santa Clara (im Zentrum Kubas gelegen) hat ca. 220’000 Einwohner, wirkt aber wie eine kleinere Stadt, vergleichbar mit Olten. Es gibt nur wenige Läden, ein Kaufhaus, kein grosses Zentrum, nur wenige Buslinien. Die Männer, die man durch die Stadt laufen sieht, wirken wie Bauern oder Arbeiter. Ich staunte über Pferdebahnen: Wagen für 6-8 Passagiere, die auf festgelegten Strecken durch die Stadt fahren. Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen gibt es auch nur wenige. Trotzdem scheinen die Menschen sich wohlzufühlen, ich würde sie als «middle class» bezeichnen, weder überdurchschnittlich arm noch reich.

In Santa Clara fährt noch die Pferdebahn

In Havanna mit seinen über 2 Millionen Einwohnern wohnen rund 20% der kubanischen Bevölkerung – und es werden jeden Tag mehr. Viele der Gebäude aus der Kolonialzeit werden seit einiger Zeit restauriert, aber es gibt immer noch Stadtviertel, wo die Häuser zusammenzufallen drohen und wo Touristen nicht hinkommen. Es gibt richtige Nachtclubs, Künstler, Tanzakademien, Konzert- und Theateraufführungen überall – und keine Pferde. Dafür viele Taxis und eine grosse Auswahl an Restaurants, grosse Hotels und über 1’000 B&Bs. Die Menschen in der Hauptstadt tragen keine Arbeitskleidung, es gibt Leute, die mehr als genug haben, aber auch Arme, die vom Betteln leben. Und neuerdings gibt es auch richtige Luxusläden.

Paseo del Prado, Havanna: Historische Gebäude werden schön restauriert.

Welche Rolle spielen die Frauen in der kubanischen Gesellschaft?

In Kuba gibt es keine Analphabeten. Frauen haben eine starke Stellung innerhalb der Gesellschaft, sie arbeiten als Politikerinnen, Ärztinnen, Künstlerinnen – und pflegen ihre eigenen Ideen. Mir scheint, dass jede Frau, die ausserhalb ihres Haushaltes arbeiten möchte, auch einen Job findet. Es gibt viele Kinderkrippen, die alle von der kubanischen Regierung unterhalten werden.

In einer – wichtigen – Angelegenheit werden die Frauen jedoch nicht von der Regierung unterstützt: in der Pflege der Ältesten. Es gibt tatsächlich keine Altersheime. Demzufolge müssen viele Frauen in ihren mittleren Lebensjahren aufhören zu arbeiten, um die alternden Familienmitglieder zu betreuen, die dann auch in ihrem Haushalt leben. Und zu unserer Überraschung werden Kubaner sehr alt! Es gibt sogar einen Klub der Überhundertjährigen. Denken wir doch nur an die berühmte Musikgruppe «Buena Vista Social Club».

Ist es eigentlich ein Vorteil, Kuba als Englischlehrerin in besuchen? Interessieren sich die Kubaner für Englisch?

Nein. Nur wenige Kubaner sprechen Englisch und oft nur ein paar Worte. Aber mit ein bisschen Spanisch kommt man immer durch.

Warum lohnt es sich, nach Kuba zu reisen?

Kuba ist erfrischend unmaterialistisch, ein Stück lebendiger Geschichte, voller schönster Erinnerungen an die 1960er Jahre, wunderbare Farben an Menschen, ihren Kleidern, den Gebäuden, in der Vegetation. Die Atmosphäre ist sehr entspannt, erfüllt von Musik und von begabten Künstlern, fast immer ist es sonnig und warm. Kuba schützt seine Strände und Gewässer, so dass Tauchen und Schnorcheln das reinste Vergnügen sind.

In Kuba zu reisen, ist vor allem für Europäer preisgünstig, besonders wenn man in einem Privathaus (casa particular) unterkommt. Für ein B&B mit Halbpension in Santa Clara zahlte ich pro Nacht für ein hübsches Zimmer mit Bad, Frühstück und Abendessen einen guten Preis. Um Land und Leute kennenzulernen, engagierte ich einen Taxifahrer für eine sehr vernünftige Pauschale. Jeden Tag fuhr Ernesto mit uns in Nationalparks, ans Meer oder zu historischen Stätten wie Trinidad. Er kannte wunderschöne Orte und fand entzückende kleine Lokale, wo wir günstig essen und mit den Passanten plaudern konnten. Kuba ist ein schönes Land mit liebenswürdigen Menschen.

Der Parque Vidal in Santa Clara

Über ihre Begegnungen mit Kubanerinnen und Kubanern und ihre Reisen hat Heather Murray ein Buch geschrieben: Among Friends. Travels in Cuba (nur auf Englisch erhältlich); 2016.
ISBN 978-3-033-05766-1. Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-033-5764-1.

Teil 1 dieses Interviews.

Alle Fotos:  © Heather Murray

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