Vom wichtigen Detail und dem grösseren Ganzen: In einer Demokratie geht es nie ohne Kompromisse.
Unser Leben ist ein Puzzle aus vielen, vielen Einzelfragen, die sich uns stellen. Auch jede Berufstätigkeit oder das gesellschaftliche Zusammenleben, und damit auch die Politik – sie alle bestehen unaufhörlich aus oft anspruchsvollen Detailfragen. Diese machen unser Leben zu etwas Kostbarem. Sie geben einem Geschehnis Brisanz; sie erzeugen Freude, leider auch Leid, denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Sie, die Details, machen ein Erlebnis überhaupt erst zu etwas Unvergesslichem.
Über den Details erheben sich aber immer auch die grossen Linien. Mit anderen Worten: es lassen sich im Leben eines Menschen immer wichtige Schwerpunkte finden. In der Politik spricht man von Strategien, die den Weg vorzeigen. Oder man redet von roten Fäden, die sich finden lassen, wenn man auf ein tätiges Leben zurückblickt. – Wir meinen damit das jeweils «grössere Ganze».
Das Leben eines Menschen oder einer Gesellschaft besteht also immer aus Einzelheiten und – je nach Umstand – einem grösseren Ganzen. Ob für das grössere Ganze oder für das Beharren im Einzelnen: der Mensch muss sich jeweils für das eine oder andere erst entscheiden, da ja niemand alles haben kann. – Überall, wo Entscheide gefällt werden müssen, ob im individuellen Leben oder in der Politik, ob in einer Unternehmung oder in einer ganzen Branche, in Verbänden oder Vereinen, überall entwickeln sich Kämpfe zwischen Detailansichten und den grösseren Strategien, bzw. den einzelnen Pro und Contras und den grundsätzlichen Werten einer Sache, dem jeweils grösseren Ganzen. – Diese Entscheide erfordern Verantwortung.
Zuerst der Kampf um die Details
So haben wir es erlebt vor ein paar Wochen, als sich eine Mehrheit des Nationalrates mit einer Mehrheit des Ständerates über verschiedene wichtige Details auseinandersetzte und mit täglichen, kleinen Schritten eine Annäherung suchte zur Rettung des grösseren Ganzen in der grossen Gesetzgebung für die AHV und die Pensionskassen. Jeden Tag, ob in den Kommissionen, in den beiden Kammern oder in der Einigungskonferenz, haben sich die Bundesparlamentarier der beiden Kammern überlegen müssen, ob sie an einem Detail, das ihnen sehr wichtig schien, festhalten wollen, oder ob sie dem grösseren Ganzen zuliebe, der Rettung dieser Reform, nachgeben wollen.
In der Politik, natürlich nur in einer Demokratie, wie wir eine haben, spielt sich der Alltag genauso ab: zuerst der Kampf um die wichtigen Details und schliesslich die Frage, ob man ein Gesetz oder einen Verfassungsartikel opfern will wegen eines Details, das einem wichtig ist. Je näher die Entscheidung rückt, desto dringender werden die Fragen, die sich eben immer um das Ultimatum drehen: Soll man einen Kompromiss eingehen oder riskiert man wegen einer Detailfrage, dass das Ganze eventuell scheitert!
Und so gibt es auf der einen Seite Politiker, die einfach nie nachgeben und mit dem Kopf durch die Wand gehen. Sie erreichen damit wenig, aber nicht immer nichts, denn auch das Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Gehen kann manchmal, vor allem für kleinere Parteien, von Bedeutung sein, um auf einen Missstand hinzuweisen. Auf der anderen Seite gibt es Politiker, die bereit sind, schliesslich Kompromisse einzugehen, damit etwas vom Grundsächlichen, vom grösseren Ganzen, vielleicht sogar dem Frieden in einem Lande zuliebe, gerettet werden kann. Diese erreichen sicher etwas substantiell Wichtiges, etwas Aufbauendes.
Nicht jeder kann gewinnen
In einer Demokratie geht es nie ohne Kompromisse. Wir haben in der Schweiz acht Mio. Einwohner und jeder darf, so will es unsere Verfassung, seine Meinung vertreten und für sie kämpfen; jeder darf sogar für seine Meinung eine eigene Volksinitiative lancieren! Aber es kann eben nicht jeder gewinnen. Es kann nicht jeder gewinnen, auch wenn einer oder viele recht haben in der Sache. Die vielen Faktoren, die so verschiedenen Zusammenhänge, die fast unendlichen Abhängigkeiten, all die unumgänglichen Verknüpfungen, die unzähligen diversen Ansichten, die befürchteten Gefahren, all die Vor- oder Nachteile, – sie alle ermöglichen keine einfachen, simplen, vielleicht zwar einleuchtenden Lösungen. Sie alle erfordern Kompromisse, d.h. ein Reden-Miteinander, ein Aufeinander-Hören, ein Aufeinander-Zugehen, ein Aufeinander-Rücksicht- Nehmen. Das ist Demokratie und Rechtsstaat: Ein jeder darf sich alles wünschen; ein jeder muss sich aber auch innerhalb von Grenzen einschränken zugunsten eines grösseren Ganzen.
Ich bin immer wieder von unserer Gesellschaftsordnung Demokratie begeistert. Welch grosse Weisheit steckt dahinter! Wie durchdacht sind bei uns all die schon lange existierenden Verfahrens- und Organisationsregelungen! Und welches ist letztlich das wichtige Ziel, das uns vereint? Es ist der Traum, möglichst friedlich zusammenzuleben. Das tönt sehr einfach und ist doch so schwierig und für uns Menschen tagtäglich eine Herausforderung.
Die Altersvorsorge 2020: sie wird uns alle im Herbst, als Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, beschäftigen. Jeder von uns wird in den Einzelfragen Vorteile oder Nachteile sehen und sich immer wieder die Frage stellen müssen, ob er oder sie nicht doch – unabhängig von einem, vielleicht wichtigen Detail – der Kompromisslösung zustimmen will. Jeder von uns wird abwägen und letztlich dann entscheiden und damit Verantwortung übernehmen. – So tickt die Schweiz! Ist sie nicht ein wunderbares Land!