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Bewegliche Bilder

Film und Video arbeiten beide mit bewegten Bildern. In Solothurn wird das jährliche Fest der Filmtage durch Videokunst im Kunstmuseum ergänzt.

Wer in den letzten Tagen nach Solothurn gefahren ist, hatte wohl die aktuellen Filmtage als Ziel. Zur gleichen Zeit eröffnete das Solothurner Kunstmuseum die Ausstellung zweier Künstlerinnen, die beide mit dem Medium Video arbeiten: Judith Albert und Anne Sauser-Hall. Dieses Zusammentreffen sei bewusst so geplant worden, erklärte Direktor Christoph Vögele an der Vernissage, die filmischen Werke finden in den langsameren, kürzeren Videosequenzen im Museum eine unerwartete Resonanz.

Die künstlerische Aneignung bestehender Kunstwerke und ihre Verwandlung verbindet die in Zürich lebende Judith Albert (*1969) und die Genferin Anne Sauser-Hall (*1953). Während letztere sich intensiv mit Bildern von Edouard Manet auseinandergesetzt hat, bezieht sich Judith Albert unter anderem auf ein Werk von Félix Valloton (Poivrons rouges, 1915), das in der ständigen Sammlung des Solothurner Museums hängt. Daneben befasst sie sich mit Themen aus der Bibel: Judith und Holofernes in einem beklemmenden grossformatigen Video, das eine ganze Reihe unterschiedlicher Klappmesser zeigt, die von Händen aus- und eingeklappt und angeordnet werden. An anderer Stelle zitiert sie ein Kirchenlied («Maria, breit den Mantel aus»), zieht dazu unter einer Tür einen leuchtend blauen Samt durch – Maria trägt auf sehr vielen historischen Darstellungen einen blauen Mantel. Judith Albert lässt den Film rückwärts laufen, so dass die Zuschauenden den Stoff herausquellen sehen – zugleich komisch und höchst beeindruckend. Diese Szene hat die Künstlerin in ihrem Atelier im Londoner East End gedreht, in einer Umgebung, in der besonders viele Muslime leben, was dem Video noch einen weiteren Aspekt hinzufügt, durchaus sinnvoll, denn Maria wird auch im Islam geachtet, Blau ist zudem im islamischen Raum eine sehr beliebte Farbe.

Anne Sauser-Hall: En sueño #1 (after E. Guevara en el Balcón, 1950), Buenos Aires, 2012, Video, 10’44’’, loop, Farbe, Ton (Videostill)

Anne Sauser-Hall bezieht sich nicht nur auf Malerei. Sie zitiert in ihrem Doppelvideo «Anfiteatro» Jorge Luis Borges und fordert uns auf, genau zu sehen. Auch wenn uns stets bewusst bleibt, dass wir zwei Videoprojektionen vor uns haben, beginnen wir uns als Mit-Zuschauende zu fühlen, obwohl offensichtlich keinerlei Spiel stattfindet. Als ob wir uns auf einer Reise befänden, sehen wir im nächsten Raum einen Mann auf einem Balkon liegen, der Kopf ist hinter der Wand verborgen, aber von Zeit zu Zeit hebt der Liegende langsam seine Arme über den Kopf («En sueño»). Wer lang genug und aufmerksam beobachtet, erkennt, dass diese Hände nicht immer die gleichen sind! Die Künstlerin hat verschiedene Schauspieler gefilmt. Dargestellt wird niemand anderes als Ernesto Che Guevara, der unter Asthma litt und auf dem Balkon freier atmen konnte.

Anne Sauser-Hall: Le Balcon (d’après Manet), 2007, Video, 7’, loop, Farbe, Ton (Videostill)

Die beiden Künstlerinnen stellen ihre Werke jede für sich in den zwei Flügeln des Kunstmuseums aus. Wer jedoch durch alle Säle schreitet, wird immer wieder Verbindungen zwischen beiden wahrnehmen: Sowohl in Judith Alberts Werken als auch bei Anne Sauser-Hall sind Hände ein wichtiges Objekt. Sei es in «Le Balcon (après Manet)» die Hand einer weiss gekleideten jungen Frau, die einen Hortensienzweig fallen lässt, wodurch sich Verlust und Trauer auszudrücken scheinen, dann läuft ein kleiner Hund durch, und alle Schwere löst sich auf. Oder seien es die Hände, die Pfingstrosenzweige schneiden («Tiges de pivoine et sécateur, après Manet»). Anne Sauser-Hall ist offensichtlich von der Sprache der Hände fasziniert, am witzigsten stellt sie Hände in «Deadpan Debate (after Obama)» dar: Wir sehen scheinbar Obamas Hände in ausdrucksvollen Gesten bei einer seiner Reden. Aber es ist nicht Obama, sondern ein Schauspieler, der diese Szene spielt, und im Hintergrund hört man die Musik eines Computerspiels – Verfremdung pur. Während Judith Albert ihre Hände in ihre Arbeiten einbezieht, wenn es ihrem Konzept entspricht, arbeitet Anne Sauser-Hall immer mit Schauspielern oder Schauspielerinnen.

Judith Albert: La main droite de Picasso, 2015, Video, 8’30’’, Farbe, ohne Ton (Videostill) Edition: 3 Ex.

Judith Albert zeigt in einem kleinen Video «Zwei linke Hände» eine rechte Hand, die mit der Fotografie einer linken Hand in vorsichtigen Kontakt tritt, auch hier die Hände der Künstlerin. Die echte linke Hand ist nicht sichtbar, denn sie hält das Foto – ein sehr poetisches Werk über Annäherung. Ein anderes Video, «Die rechte Hand von Picasso», konnte ich nur mit leichtem Schaudern anschauen – obwohl mir immer bewusst war, dass das alles nur «Trompe-l’oeil» war. Die Hand besteht offensichtlich aus Wachs oder Kunststoff, aber zuzuschauen wie die Handlinien mit einem scharfen Messer eingekerbt werden, kitzelt die Nerven.

Mit dem Effekt, das Auge des Betrachters zu täuschen, arbeiteten Maler schon früher, besonders im Barock. Judith Albert spielt damit auch in «Austern», einem Stillleben ganz im alten holländischen Stil – allerdings ist alles, was nach und nach von den Händen der Künstlerin auf dem Tischtuch angerichtet wird, aus Papier hergestellt: die Austern, der Bückling, der halb geschälte, vom Licht braun gewordene Apfel. Auch das weisse Tischtuch selbst hat einen Bezugspunkt. Hier zitiert sich die Künstlerin selbst: Sie hat den Marmor fotografiert, den sie für eines ihrer früheren Werke gebraucht hatte: einen Altar in der Solothurner Kathedrale.

Judith Albert: Austern, 2017, Video, 4’30”, Farbe, ohne Ton (Videostill) Edition: 3 Ex.

Erstaunlicherweise ermüdet man nicht beim Betrachten so vieler Videos nacheinander, neben den erwähnten sind noch viele weitere spannende Werke ausgestellt. Es gibt in jeder Arbeit so viel zu entdecken, dass es sich lohnt, sich dafür genug Zeit zu nehmen und entspannt hinzuschauen. Im Unterschied zu einem Film sind die Bewegungen dieser Videos eher ruhig und für das Auge leicht aufzunehmen. Zudem flechten beide Künstlerinnen viel Witz und Ironie ein, so entsteht ein Gleichgewicht zwischen Tiefe und Heiterkeit. Wir erleben zwei reichhaltige Facetten von Video-Kunst.

Anne Sauser-Hall: Anfiteatro (after Borges), Parque Lezama, Buenos Aires, 2011, Video, 1‘40‘‘, loop, diptych, Farbe, Ton (Videostill)

Die Ausstellung CONTINUO: Judith Albert und Anne Sauser-Hall ist noch bis 8. April 2018 im Kunstmuseum Solothurn zu sehen.

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