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In andere Welten blicken

Einen Künstler aus Südafrika und eine Schweizer Künstlerin präsentiert das Centre Pasquart in Biel in seiner aktuellen Schau.

In Stein gemeisselte Handzeichen – Gesten der Gebärdensprache; aus Schulbänken gesägte Vogelhäuschen oder kleine Krücken, ebenfalls aus Schulbänken hergestellt; dazu farbige Bilder von Landschaften und dazwischen einige kleine Wandtafeln mit Kreidezeichnungen. Der südafrikanische Künstler Kemang Wa Lerulere, geboren 1984 und heute in Kapstadt wohnhaft, arbeitet für seine vielschichtigen Werke mit unterschiedlichen Materialien. Offenheit ist ihm eine wichtige Grundhaltung, denn er ist überzeugt, dass alle Erscheinungsformen aus Kunst hervorgehen. Gleichfalls können alle Gegenstände, ausrangiertes Schulmobiliar, Bibeln, die von Gebissen gehalten werden, oder Wollknäuel zu Kunst verwandelt werden.

Kemang Wa Lehulere, Every Song, 2017, Wandschnitt. Courtesy Kemang Wa Lehulere, Deutsche Bank’s «Artist of the Year» 2017. Ausstellungsansicht Pasquart 2018. Foto: Julie Lovens

Kemangs Werk trägt stark autobiografische Züge. Die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart lösen sich auf, ebenso die Grenzen zwischen Individuum und Gemeinschaft. Einen solchen Künstler verstehen zu wollen, heisst, sich mit der Geschichte seines Landes auseinanderzusetzen. Genau das ist sein Thema, auch wenn er nicht Geschichtsforschung im üblichen Sinne betreibt. Für ihn ist Geschichte das Gewesene – sie ist da, nicht mehr veränderbar, aber vielleicht müssen die Menschen auf Dauer nicht daran kleben bleiben. So erforscht er die Dinge und versucht herauszufinden, was sie über die Zustände unter dem Apartheid-Regime aussagen. Religionsunterricht konnte der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung dienen. Als Zeichen dafür benutzt Kemang in einem Bild Haare, um Schrift und Musiknoten darzustellen: Haare dienten der Diskriminierung: Wenn ein Bleistift nicht durch ein Büschel Haare glitt, galt die Person als «farbig». Bei Weissen mit ihren glatten Haaren rutschte ein Bleistift durch. – Um die Installation «Broken Wings» zu verstehen, dient ein Zitat von Bischof Desmond Tutu: » . . . am Ende hatten wir die Bibel und sie (die Weissen) das Land.»

Kemang Wa Lehulere, Broken Wing, 2017: Wiederverwertete Schulpulte, Xhosa-Bibeln, Gebisse, Stahl; variable Dimensionen. Courtesy Kemang Wa Lehulere. Ausstellungsansicht Pasquart 2018  Foto: Julie Lovens

Der Künstlerin Gladys Mgudlandhu (1917 -1979) bezieht Kemang in seine Suche nach den Wurzeln schwarzer Kunst in Südafrika ein. Diese war kritisiert worden, sie sei oberflächlich, nicht kritisch genug und verleugne ihre afrikanische Herkunft. Kemang korrigiert das. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass sie Landschaften dokumentierte, die später durch Wohngebiete von Weissen verschwanden. Kemangs Tante Sophia Lehulere trug durch ihre Zeichnungen auf Schulwandtafeln zu dieser Rehabilitation bei. In der Ausstellung werden Werke der beiden gegenübergestellt.

Kemang Wa Lehulere, Red Winter in Gugulethu, 2016; Schulkoffer, Holz, Gummiausstattungen, Stahl, Keramikhunde, Wolle. Variable Dimensionen; Courtesy of Kemang Wa Lehulere and Stevenson Cape Town and Johannesburg. Ausstellungsansicht Pasquart 2018; Foto: Julie Lovens

So schmerzbesetzt diese Auseinandersetzung auch sein kann, Kemang findet Wege, in seine Werke humorvolle und spielerische Elemente einzufügen. Die Wachhunde sitzen schweigend, bedrohlich und undurchschaubar da – die typischen Hunde, die auch heute noch das Eigentum der Weissen beschützen. Aber hier bewachen sie nur kaputte Schulkoffer und Krücken, und über alles lässt Kemang Wollknäuel in allen Farben rollen.

Bewegung und Verwandlung – die Wolfslaterne

Klodin Erb, Die Wolfslaterne, 2017; Öl auf Leinwand; 130 x 100 cm. Courtesy: Lullin + Ferrari, Zürich. Foto: Stefan Altenburger

Klodin Erb (1963 in Winterthur geboren) ist für ihre ausdrucksstarken und zugleich fantastischen Bildwelten bekannt geworden. Sie malt häufig in Serien, dabei findet sie Anleihen in der Kunstgeschichte, in Märchen, in Elementen der Graphik und in aktuellen Phänomenen. Der Malvorgang selbst – mit dem Pinsel oder durch das Auftragen der Farbe auf die Grundlage – steht dabei im Mittelpunkt. Jede Werkgruppe hat ihre eigenen Farbtöne. In vielen der lebendigen und spannungsvollen Bilder erkennen wir groteske, surreale Elemente in expressiven Farben, aber auch viele Anspielungen an die Romantik, beispielsweise die Landschaftsmalerei.

 

Klodin Erb, From the Beginning to the End, 2018; Acryl, ortsspezifisch. Courtesy the artist; 20 x 60 x 2200 cm. Ausstellungsansicht Pasquart 2018. Foto: Julie Lovens

Die Künstlerin nutzt die Gegebenheiten des Museums auf eindrucksvolle Weise: Eine Vitrine im langen Gang vor den weiteren Ausstellungsräumen dient ihr zur Einführung in ihre Arbeit: Klodin Erb hat direkt in und auf diese zwanzig Meter lange Vitrine den Lauf der Sonne von Aufgang bis Untergang gemalt. Zwei Ebenen befinden sich innerhalb der Vitrine, die dritte Schicht auf dem Glas. Um das Kunstwerk im Ganzen zu betrachten, müssen wir Besucherinnen und Besucher uns bewegen. Dieser Ab-Lauf erinnert an die Vorform eines Filmes. Wir selbst schaffen uns den Film.

Klodin Erb, Alphabet der Heiligen, 2017. Collage, Mischtechnik auf Zeitungspapier, 62.5 x 47 cm, je (26); Courtesy the artist and Lullin + Ferrari, Zürich; Foto: Stefan Altenburger

In der komplexen Arbeit «Alphabet der Heiligen» wendet die Künstlerin verschiedene Techniken an, sie bezieht sich auf mittelalterliche Bücher mit ihren ausgeschmückten Initialen und den Brauch, jedem Heiligen einen Buchstaben zuzuordnen. Im gleichen Saal sind zwei gleiche Bilder gegenübergehängt. Wer sich in die Mitte dazwischen stellt, ist irritiert: Von beiden Seiten scheinbar angeschaut zu werden, fordert zur eigenen Rechtfertigung heraus: «Wer bin ich?», «Wie zeige ich mich?», «Bin ich so, wie ich sein möchte?». Auf dem Fussboden liegt zerknüllt eine «Verwandlungsjacke» aus Schwanenfedern. Sie symbolisiert das Thema dieses Saales – Heilige verwandeln sich und wir selbst uns auch.

Im Centre Pasquart bietet sich die riesige Salle Poma stets für besondere Höhepunkte an. Klodin Erb hat hier eine Laterna Magica installiert: Zwei ineinander hängende Laternen drehen sich langsam um die leuchtende Mitte. Während die innere Laterne farbige Formen und Farben projiziert, wirft die äussere, die sich etwas schneller dreht, Schattenrisse an die Wände mit Motiven aus der Märchenwelt und Zitaten aus der Kunstgeschichte – die Wirkung verzaubert, und wie bei allem Zauber steckt auch bei diesem etwas Hintergründiges, Dunkles drin.

Klodin Erb, Wolfslaterne, 2018; Mischtechnik, Lichtobjekt, Projektion; Objekt: 100 x 340 cm (Durchmesser); Projektion: variable Dimensionen. Courtesy the artist and Lullin + Ferrari, Zurich. Ausstellungsansicht Pasquart 2018. Foto: Julie Lovens

Die Ausstellung im Centre Pasquart dauert noch bis 1. April 2018.

Künstlergespräch: 21. Februar 2018, 18 Uhr. Klodin Erb im Gespräch mit Felicity Lunn, Direktorin Kunsthaus Pasquart
Führung: 22. März 2018, 18:00 Uhr mit Felicity Lunn

Ein Kunst-Kurs für alle findet am 1.März 2018 statt: «Hier steht es Schwarz auf Weiss geschrieben: Im Kunst-Kurs dürfen Erwachsene nicht nur betrachten und zuhören, sondern auch selber machen. Das Gestalten im Atelier zur Ausstellung von Kemang Wa Lehulere ist ganz in Schwarz und Weiss getaucht. – Oder vielmehr in Weiss und Schwarz?» Alle weiteren Informationen bzw. Anmeldung (bis 13.2.) hier.

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