StartseiteMagazinKulturIn der Besenkammer der Machtpolitik

In der Besenkammer der Machtpolitik

Wer nach Nordzypern reisen will, kann in Nikosia zu Fuss die Grenze überschreiten. Auf einer Anreise per Flugzeug muss ein Zwischenstopp in der Türkei eingelegt werden.

Auf den ersten Blick wirkt Nordzypern – offiziell: Türkische Republik Nordzypern – wie andere Mittelmeergegenden auch, in den Bergen trockenes Gehölz oder Felsen und steinige Hänge, in den flacheren Regionen Olivenbäume, Obstbäume, Schafe oder Ziegen und nur selten Kühe. Auch im Februar sieht man blühende Bougainvillea und nach einigen Regentagen grünt und blüht es auf allen Wiesen.

Klosterruine Bellapais nordöstlich von Kyrenia mit schönstem Weitblick. – Die beiden Fahnen, die nordzypriotische neben der türkischen sehen wir vielerorts. 

Schwierig wird es erst, wenn wir wissen wollen, wer und wie viele Menschen hier leben. Die Angaben klaffen weit auseinander: Unser Reiseführer spricht von ca. 90’000 Nordzyprern, die offiziellen Angaben zählen auch die seit 1974 von der Türkei neu Angesiedelten, die Soldaten und vielleicht auch die Studenten und nennen ungefähr 295’000 Einwohner. Die schönste und grösste Stadt liegt ungefähr in der Mitte der Nordküste: das alte Kyrenia mit seinem malerischen runden Hafenbecken. Dieses Städtchen zu besuchen, empfehlen alle, im Norden wie im Süden. Auch das Kleinstädtchen Famagusta an der Ostküste mit seiner venezianischen Vergangenheit lohnt sich unbedingt. Hier und in Nikosia sieht man die früheren Jahrhunderte gleichsam eingemeisselt in das Stadtbild.

Zypern ist nach Sizilien und Sardinien die drittgrösste Insel im Mittelmeer – und sie ist dem Orient direkt vorgelagert. Nach Antalya (von Kyrenia aus) sind es ca. 85 km. Nach Syrien (Latakia) wären es von Famagusta aus etwas mehr als 170 km. Diese Position erklärt, weshalb es gerade in Nordzypern mehr Schwierigkeiten als Lösungen gibt. Da hat nicht nur die NATO ihre Stützpunkte, sondern auch die Türkei. Schliesslich wachen seit 1964 UNO-Blauhelme an der Grenze zwischen Nord und Süd, um zu verhindern, dass die blutigen Auseinandersetzungen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten wiederaufflammen. Auch wenn wir auf unseren Ausflügen immer wieder an typisch militärischem Stacheldraht mit Fotoverbot vorbeifuhren, sehen konnten wir die türkischen Soldaten nur einmal – bei Schiessübungen.

Die von den Kreuzrittern errichtete Festung thront über Kyrenia. Der Heilige Hilarion hatte dort schon Jahrhunderte früher in einer Höhle gehaust.

Die Gefahr eines neuen Konflikts scheint im Moment gering. In den letzten Jahren hat sich die Lage sogar so weit entspannt, dass Nord- und Südzyprer die Grenze überqueren können, allerdings normalerweise nur zu Fuss und mit Ausweis, der jeweils doppelt gescannt wird. Es gibt aber Nordzyprioten, die im Süden arbeiten. Ozan, unser Reiseführer, zeigte uns ihre Autos in der Nähe der Grenze auf öden Feldwegen. Dort werden sie abgeholt und zu ihren Arbeitsplätzen in den Süden gefahren. Mit Autos darf niemand, auch kein Tourist die Grenze überqueren.

Wer allerdings meint, angesichts all dieser Komplikationen würde sich eine Reise nach Nordzypern nicht lohnen, irrt sich eindeutig. Das langgezogene Küstengebirge mit teils bizarren Felsformationen und den Überresten alter Festungen der Kreuzritter kontrastiert mit dem mächtigen Troodos-Gebirge in der Inselmitte. Die Nordostspitze Karpasia wirkt recht idyllisch, sie ist von kleinen Hügeln und viel Grün geprägt. An ihrer Südseite befinden sich die schönsten Sandstrände. Dieser Inselteil ist Naturschutzgebiet, auf Dauer, ist zu hoffen. – Den wilden Eseln jedenfalls geht es gut dort.

Die schmale Landzunge im Nordosten scheint menschenleer. Im Naturschutzgebiet wurden frühere Gebäude zurückgebaut.

Dass er in Nordzypern ganz angenehm leben kann, davon sprach Ozan fast jeden Tag. Eigentlich bekennender Istanbuler fand er dort seit dem Putschversuch nicht mehr genug Arbeit, denn die Touristen bleiben aus. Auf Zypern verlaufen die Tage viel gemütlicher, ohne Hektik. Die Autos fahren rücksichtsvoller, Fussgänger fühlen sich sicher, und niemand schliesst sein Auto ab. Was Ozan nicht explizit aussprach, was wir aber hinter seinen Erklärungen vermuteten: In Nordzypern ist ein regimekritischer Mensch eher in Sicherheit als in der politisch stets brodelnden Stadt am Bosporus.

Die Geschichte Zyperns ist geprägt von durchziehenden Armeen, wechselnden Besitzern, und nicht zuletzt bestimmte der Handel Leben und Wohlstand der Insel. Besonders Venedig hat sichtbare Bauwerke hinterlassen: Die wuchtige Hafenfestung in Kyrenia, die Stadtmauern in Nikosia und Famagusta. – Auch die Namen dieser beiden Städte sind venezianisch. Im geteilten Nikosia fällt uns Touristen der krasse Unterschied zwischen dem bescheidenen, freundlichen türkischen Teil und dem reichen, von westlichem Konsum geprägten Südteil auf; das griechische Zypern ist Mitglied der EU. Dabei ist es nicht nur der deutliche Wohlstand, der beide Teile voneinander trennt. 2004, nach dreissig Jahren Teilung, hatte die UNO unter dem damaligen Generalsekretär Kofi Annan den Zyprioten und Zypriotinnen einen Vorschlag zur Wiedervereinigung zur Abstimmung vorgelegt. Er wurde vom Südteil abgelehnt, aus zwei Gründen: Die griechischen Zyprioten bemängelten, dass sie sich an der Ausarbeitung nicht hatten beteiligen können und dass das türkische Militär auf jeden Fall in Nordzypern hätte stationiert bleiben können. – So bleibt alles in der Schwebe, Nordzypern ein Staat mit Regierung und Parlament, aber einzig von der Türkei anerkannt.

Durch die Ruinen eines gotischen Kreuzritterklosters erkennt man das Minarett, das der Kathedrale in Famagusta von den Osmanen aufgesetzt wurde.

Das kleine, im Winter stille Famagusta besitzt immer noch multikulturellen Charme, in den zwei bis drei kleinen Gassen um die gotische Nikolaus-Kathedrale kann man zypriotisch, libanesisch, armenisch oder international essen. Bemerkenswert in all diesen Orten sind die gotischen Kirchen, die alle auf eine kurze Periode von Herrschern über die Insel zurückgehen: Hugo von Lusignan, Kreuzritter und König von Zypern in mehreren Generationen. Es ist beeindruckend, welch schöne Bauten diese aus Frankreich stammenden Familie in kürzester Zeit an verschiedenen Orten, besonders in Nordzypern errichten liess. Vieles ist heute nur noch als Ruine zu besichtigen, die Kirchen sind von den Osmanen nach der Eroberung umgehend in Moscheen verwandelt worden.

Sophienkathedrale in Nikosia (Nordteil), heute Moschee, an den Minaretten erkennbar

Das traditionelle Nebeneinander verschiedener Völker liess sich durch die Teilung nicht vollkommen unterdrücken. Im (türkischen) Nordosten leben auch heute noch einige Griechen, die auch ihre orthodoxen Kirchen noch pflegen, ja es gibt sogar wieder ein griechisches Gymnasium.

Tenzimat-Strässchen in Nikosia (Nord)

Der nordzyprische Staat ist arm, öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht; die staatlichen Schulen haben keinen guten Ruf. Aber: Es gibt sechs private Universitäten. Gerade auf den Strassen von Kyrenia sind viele junge Leute, vor allem Männer zu sehen, offensichtlich Studenten. In den letzten Jahren ist Nordzypern Standort verschiedener medizinischer Zentren geworden, angefangen von Zahnmedizin bis zur Schönheitschirurgie. – Als Reiseziel ist Nordzypern zu empfehlen, nicht unbedingt als Badedestination, aber für neugierige Zeitgenossen, die Land und Leute kennenlernen wollen.

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