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In Memoriam Michael Kohn

Ein Mann, der in der Politik, in der Gesellschaft Spuren hinterlässt

Das letzte Mal, als ich ihn traf, sass er, wie immer akkurat gekleidet, im dunklen Blazer, mit Einstecktuch zur Krawatte passend, in der Bar des Hotel Baur en Ville am Paradeplatz in Zürich. Er war vertieft in Pläne, nahm nichts wahr, was um ihn herum passierte. Als ich vor ihm stand, sah er erstaunt auf, eher unwirsch blickte er mich an. Nach einem kurzen Moment aber hellte sich sein Gesicht auf: „Nimm doch Platz, es ist aber schön, Dich wieder mal zu sehen, und ich habe Zeit“. Er legte die Pläne beiseite. Er erwarte einen Architekten, es ginge um den Umbau einer Liegenschaft. Und er sei jetzt eben mit über 90 in einem Alter, bei dem er, nicht wie früher, viel zu spät, sondern pünktlich, eben viel zu früh hier zur Verabredung gekommen sei.

 

Wir sprachen kurz über sein neues Leben in der Tertianum-Residenz am Zürichberg, wo er sich eigentlich ganz wohl fühle, wo er gut betreut werde, wo er auch sein gesellschaftliches Leben weiterführen, wo er wunderbare Gäste, die ihn besuchen würden, empfangen, aber auch bewirten könne. Die alte Einladung an mich gelte immer noch.

 

Ganz schnell waren wir beim Thema, das uns beide über 50 Jahre hinweg immer wieder zusammenführt hatte: die Kernenergie. Zu Beginn unserer Bekanntschaft war es das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst, das ihn als ein Vertreter der Bauherrschaft und späterer „Energiepapst der Schweiz“ sehr beschäftigte, wohl auch am Herzen lag. Und ich hatte als ganz junger Journalist der Basler National-Zeitung das Bauvorhaben kritisch zu begleiten. Unzählige Male trafen wir uns auf dem Gelände, als immer wieder Baugespanne mit oder ohne Kühltürme errichtet wurden, als Bundesrat Roger Bonvin mit einer parlamentarischen Kommission erschien. Ich berichtete, während er auf Podien sich vehement für die Kernenergie einsetzte, als das Baugelände zweimal von Nordwestschweizer Aktivisten besetzt wurde. Er sass neben mir in Fernseh-Sendungen, als während weit über 10 Jahren auf der politischen Bühne um das Werk gerungen wurde. Oft hatten wir heftige Dispute, waren unterschiedlicher Meinung. War es nach einer Sendung, war es im privaten Kreis, immer wieder endeten die Diskussionen in Minne, wurden gar überlagert von seinem tiefsinnigen Humor.

 

Und schnell kamen wir bei unserem Schwatz im Baur en Ville auf einen anderen Zeitgenossen zu sprechen: Auf Christoph Blocher. Der damalige SVP-Nationalrat durchschlug damals den gordischen Knoten, blies zum Verzicht auf das so umstrittene Projekt und forderte gleichzeitig eine Entschädigung. Was wiederum zu einem heftigen Streit um die Höhe der Entschädigung führte. 1987 liess Bundesbern, ohne ein grosses Aufheben zu machen, das Projekt schliesslich fallen. Über 1.3 Mia. Franken hatten die Projektverfasser bis dahin in das Projekt gesteckt. Letztlich sind ihnen vom Bund 350 Mio. Franken als Entschädigung zugeflossen.

 

Blocher hatte gespürt, meinte Michael Kohn, dass das Projekt nicht gegen den Widerstand der Nordwestschweizer zu realisieren ist. „Blocher hat uns damals recht überrascht, aber er war erfolgreich. Und wir hatten das Nachsehen.“ Michael Kohn haderte nicht mit seiner Niederlage. Im Gegenteil. Als „Energie-Papst“ stieg seine Reputation, sein Ansehen in der Öffentlichkeit wuchs.

 

Als politischer Beobachter machte er nach seiner erfolgreichen Karriere mit in einer kleinen Politrunde, die sich immer wieder vor wichtigen Abstimmungsvorlagen traf, bei der wir leidenschaftlich debattierten und schliesslich zu einer Wette schritten. Die Verlierer hatten jeweils das nächste Nachtessen zu organisieren und zu berappen. Michael Kohn war aber nicht nur ein ganz hervorragender Gastgeber, sondern auch ein grosszügiges Gruppenmitglied. Wenn jeweils eine Verliererin, ein Verlierer die Rechnung bezahlen wollte, war sie bereits – still und leise – beglichen worden, von Michael Kohn.

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