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Von der Natur der Gletscher

Mit der Fotoausstellung „Daniel Schwartz.Gletscherodyssee“ zeigt das Bündner Kunstmuseum die faszinierende Arbeit eines Glaziologen mit Kamera

Im Kabinett des Museums – streng gestaltete Räume in weiss und grau – bekommen die Fotografien von Gletschern, Moränen und Schmelzwasser aus der halben Welt eine Intensität, die in den Bann zieht. Daniel Schwartz (*1955) dokumentiert und erzählt in faszinierenden Bildern, welch Erinnerungsort der Klimageschichte die Gletscher sind. Der Kunsthistoriker Beat Wismer, früher Direktor des Aargauer Kunsthauses und des Düsseldorfer Kunstpalasts, begleitet das Projekt von Daniel Schwartz seit längerem. Lesen Sie hier (leicht gekürzt) seine Ausführungen:

Rhonegletscher, Schweiz, 3.9.2014. © Künstler/2018, ProLitteris, Zürich

Wir befinden uns zwischen Bildern von Gletschern, die in der Schweiz oder in viel höheren, meist schwer zugänglichen Gebirgsgegenden in Peru, in Uganda und im Kongo, oder in Pakistan liegen; die Gletscher sind Tausende von Kilometern voneinander entfernt, was sie aber verbindet, und was der in Olten geborene und heute in Solothurn lebende Fotograf Daniel Schwartz mit seinen Bildern und mit seinem eben erschienenen BuchWhile the fires burn. A Glacier Odyssey auch dokumentiert, ist ihre Endlichkeit: diese war bis vor kurzem nur durch Messungen dokumentierbar.

Am Gletscherschwund den Klimawandel sehen

Vor kurzem meint: vor weniger als hundert Jahren, als die Fotografie schon  erfunden war; oder auch vor mehr als zweihundert Jahren, als der Maler Caspar Wolf erstmals ins Hochgebirge stieg. Heute erleben wir die dramatische, massgeblich vom Menschen verursachte Beschleunigung dieser Endlichkeit:  Etwa wenn wir zum Hotel Furkablick fahren, und sehen, dass sich der Rhonegletscher wieder zurückgezogen hat. Die ausgestellten Gletscher-Bilder wurden von Daniel Schwartz zwischen Oktober 2014 – im Wallis – und Januar 2016 – in Peru – aufgenommen, vielleicht der letzte Teil eines 2009 systematisch begonnenen Projekts, dessen Resultat nun in Buchform vorliegt. Zu diesem Langzeit-Projekt und zu seinem Urheber schuf Vadim Jendreyko den Film Beyond the Obvious. Der Titel dieses filmischen Porträts, für das der Regisseur den Fotokünstler auf den letzten Expeditionen des Gletscher-Projekts begleitete, Beyond the Obvious könnte über der gesamten Arbeit von Daniel Schwartz stehen: Es geht über die Bilder hinaus um das, was dahinter wirkt.

Passu Glacier, Karaorum, Pakistan, 12.10.2016. © Künstler/ 2018, ProLitteris, Zürich

Zu diesem Langzeit-Projekt und zu seinem Urheber schuf Vadim Jendreyko den Film Beyond the Obvious. Der Titel dieses filmischen Porträts, für das der Regisseur den Fotokünstler auf den letzten Expeditionen des Gletscher-Projekts begleitete, Beyond the Obvious könnte über der gesamten Arbeit von Daniel Schwartz stehen: Es geht über die Bilder hinaus um das, was dahinter wirkt.

Das Buch mit dem Untertitel A Glacier Odyssey, ist der grandiose, weit ausgreifende, komplexe Abschluss des fast zehn Jahre höchsten Einsatz erfordernden Langzeit-Projekts – die Bezeichnung ist umso gerechtfertigter, wenn wir eine der ersten gültigen Aufnahmen erwähnen, die der 23-jährige Daniel Schwartz während seines Ausbildung an der Zürcher Schule für Gestaltung gemacht hat: Sie zeigt den riesigen Findling auf der Martinsflue in Rüttenen, der über einen Zeitraum von fast 5’000 Jahren vom Gletscher aus dem Mont-Blanc-Gebiet an seinen heutigen Standort transportiert wurde, mit einer Geschwindigkeit von rund dreissig Metern pro Jahr.

Klimawandel im Zeitraffer

Vertigo. Gamiggletscher, Wallis, 19.10.2014. Sammlung Fondation USM, Gümligen. © Künstler/ 2018, ProLitteris, Zürich

Die Arbeit von Daniel Schwartz umfasst immense Zeiträume, stellt im Bild die Verdichtung immenser Zeiträume dar, es geht nicht nur um die 5000 Jahre, die der Findling unterwegs war, es geht um die Abertausende von Jahren der Eiszeiten, es geht bei der Gletschererosion in den Alpen um einen Zeitraum von fast einer Million Jahre. In diesen erdgeschichtlichen Dimensionen ist der Mensch lediglich eine Episode, er kommt auf diesen Bilder denn auch kaum vor. Bis vor kurzer Zeit waren die Erd- und Gletscherveränderungen für die Menschen kaum sichtbar, da sie sich in Zeiträumen abspielten, die Menschenleben weit überdauerten. Erst heute ist es, dank oder wegen des dramatisch beschleunigten Klimawandels, möglich, solche Veränderungen unmittelbar zu beobachten: eine völlig neue, natürlich interessante, für Glaziologen und Geologen nachgerade attraktive Situation.

Aber man kann Daniel Schwartz› Werk auch unter einem ganz anderen Aspekt einordnen  – wenn wir dafür drei, vier Jahrhunderte zurückgehen, wäre dies im Vergleich zu den Dimensionen der Erdgeschichte höchstens ein Lidschlag; allerdings ist es dabei, ähnlich wie beim dramatisch beschleunigten Klimawandel, auch in diesem Gebiet zu massiven Veränderungen gekommen; ich erwähne nur die Erfindung der Fotografie.

Kunst und Wissenschaft vereint

Ich stelle mir eine thematische Ausstellung vor, in der Werke von Künstlern zusammenkämen, die sich in einem ganz speziellen Feld betätigten und betätigen, auf dem sich künstlerisches Wissen, Erfahrung oder Intuition mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen zu einem augenöffnenden Dialog treffen. Sie würde Künstler umfassen, deren Werke auf naturwissenschaftlichen Expeditionen entstanden sind, Künstler, die Naturwissenschaftler auf Expeditionen begleiteten oder als Künstler/Naturwissenschaftler in Personalunion Expeditionen unternahmen. Die Ausstellung mit den naturwissenschaftlich gebildeten Künstlern würde – chronologisch – mit Maria Sibylla Merian beginnen, die 1699 gut fünfzigjährig mit ihrer Tochter eine Expedition ins südamerikanische Surinam, damals holländische Kolonie, unternommen hatte, wo sie sich zwei Jahre lang im Urwald aufhielt und in Aquarellen Raupen, Schmetterlinge – auch den Weg von der Raupe zu Schmetterling – und andere Insekten dokumentierte.

Caspar Wolf: Lauteraargletscher mit Steintisch im Vordergrund, 1770

Auf Maria Sibylla Merian würde der erwähnte Caspar Wolf folgen, der für die Entdeckung der Berge in der Kunst eine wichtige Rolle spielt. Er stieg in den 1770er Jahren als Begleiter von Naturwissenschaftlern – darunter Botaniker, Geologen und, für uns besonders interessant, Glaziologen – ins Schweizer Gebirge. Mentor war der Universalgelehrte Albrecht von Haller, Auftraggeber der Berner Verleger Abraham Wagner, der ein Panorama der Schweizer Alpen plante. Als Begleiter der Wissenschaftler hatte er die Expeditionen und  Resultate der Forscher zu dokumentieren: Glücklicherweise war er auch ein grossartiger Maler, dessen Malerei eine künstlerische Qualität aufweist, die weit über das Dokumentarische hinausgeht. Seine Werke sind heute noch gültig für die Erscheinung und den Zustand der Alpen zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Erforschung. So basiert seine Malerei auf seinem Verständnis der Geologie –  ähnlich können wir das in der Fotografie von Daniel Schwartz beobachten.

Blick in die Ausstellung: Der Rhonegletscher – bei Caspar Wolf noch mit dicker Eiszunge an Gletsch leckend – schmutziggrau, mit Lumpen bedeckt und im Sterben.

Ein weiterer Schweizer wäre der Maler John Webber, der zur selben Zeit, da Wolf ins Gebirge stieg, James Cook auf dessen dritter Südsee-Expedition begleitete. Ebenfalls dabei wäre Johann Moritz Rugendas, der, angeregt von Alexander von Humboldt, zwischen 1820 und 1850 mehrere Expeditionen durch Süd- und Mittelamerika unternommen hatte, oder  Peder Balke, der auf seinen Reisen zum Nordkap besondere Seestücke malte.

Enden würde die Ausstellung mit den Zeitgenossen Per Kirkeby und Daniel Schwartz. Kirkeby (1938-2018) war ausgebildeter Geologe, er nahm schon als 20-jähriger an einer Expedition nach Grönland teil. Was wir schon bei Caspar Wolf, den Kirkeby übrigens hoch schätzte, feststellten, wird bei Kirkeby explizit: die Analogie von Geologie und Malerei. Und ihr enges Verhältnis zum Gedächtnis und zur Erinnerung.

Kollaps von stagnierendem Eis, Unteraargletscher, Schweiz, 2.11.2016 ©Künstler/  2018, ProLitteris, Zürich

Geologie als die Wissenschaft vom Gedächtnis und der Erinnerung der Erde – beim naturwissenschaftlich kenntnisreichen und belesenen Daniel Schwartz, dessen hochspannende Lektüren zum Gletscherthema in einer Vitrine ausgestellt sind, lesen wir den ebenso einfachen wie gewichtigen und bedenkenswerten Satz: „Der Gletscher ist ein Ort der Erinnerung.“

 bis 17. Februar 2019

Zur Ausstellung ist das Buch «White the Fires Burn – A Glacier Odyssey» von Daniel Schwartz erschienen.

Alle Informationen zum Bündner Kunstmuseum finden Sie hier

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