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Mit Meisen im Gespräch

Wie eine aussergewöhnliche Engländerin zu einer Pionierin in der Forschung über frei lebende Vögel wurde – eine faszinierende Lebensgeschichte.

Das Buch der holländischen Schriftstellerin Eva Meijer beginnt dramatisch. Die Hauptperson, Len Howard, wird durch das hektische Verhalten eines Meisenmännchens ins Freie gelockt und sieht sogleich den Grund der Aufregung: Gemeindearbeiter sind mit Motorsägen gekommen, um die Hecken zurückzuschneiden – mitten in der Brutzeit der Vögel. Gwendolen Howard ist zu diesem Zeitpunkt 71 Jahre alt und nicht mehr so beweglich, wenn aber ihre Vögel in Gefahr sind, kann sie sich nicht bremsen. Mit all ihren Kräften, aber auch mit ihrer Überzeugungskraft bringt sie die Verantwortlichen dazu, vorerst auf den Heckenschnitt zu verzichten. Die unerschrockene Frau, die zu diesem Zeitpunkt schon ungefähr dreissig Jahre in ihrem «Vogelhaus» lebt, hat in diesen Jahren einige Freunde im Dorf gefunden, die sie unterstützen.

So beobachtete es auch Len Howard: Kohlmeise im Eingang ihrer Nisthöhle in einem Holunderbusch, um den Nachwuchs mit einer grünen Raupe zu füttern.  © Rosember / commons.wikimedia.org

Wie sich die Zeiten geändert haben! Diese Szene spielt 1965. Damals steckten Vogelschutz und -beobachtung auch in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Heutzutage jedenfalls teilt die Gemeinde allen Hausbesitzern mit, dass der Rückschnitt von Ästen zwar vorgeschrieben ist, aber erst nach der Brutzeit der Singvögel zu erfolgen hat. Es ist zu vermuten, dass in Grossbritannien ähnliche Vorschriften gelten.

Eine begabte Frau in einer kunst-affinen Familie

Die Autorin bezeichnet die Biografie von Len Howard als Roman, denn wenig Konkretes ist über diese eigenwillige Frau bekannt. «Ich habe», schreibt Meijer im Nachwort, «Fakten mit reiner Fiktion vermengt». Das ist ihr in dieser fingierten Autobiografie – sie schreibt in der Ich-Form – überzeugend gelungen. Wir lernen eine vielseitige junge Frau kennen in einer bürgerlichen Familie voller künstlerischer Interessen. Der Vater ist als Dichter bekannt, veranstaltet künstlerische Nachmittage, bei denen die junge Len musiziert. Die Familie lebt allerdings weitab aller kultureller Zentren in Wales. So ist es leicht verständlich, dass es die 18-jährige, die offensichtlich eine gute Begabung für das Geigenspiel besitzt, nach London zieht, zumal ein Freund der Familie dort ein Orchester leitet.

Während sich Len zusammen mit ihrem Vater auf dem Land stets um Vögel – Elstern, Krähen, Kohlmeisen – gekümmert hat, lebt sie in London ihre musikalische Seite, lernt, mit unterschiedlichen Menschen auszukommen, verliebt sich in einen interessanten, aber wankelmütigen Mann; nur für Vögel ist die Metropole nicht der geeignete Beobachtungsort. Die Musik entschädigt Len für vieles, doch 1937 kommt der Moment, da sie sich in ihrem Leben wie in einer Sackgasse fühlt.

Kohlmeise beim Sonnenbaden, wie es auch Len Howard beschreibt.  © Père Igor / commons.wikimedia.org

Die Auszeit in einer Blockhütte mitten im südenglischen Grün gibt den entscheidenden Anstoss zum Umbruch in ihrem Leben. Mit ihrem Erbe kann sie sich 1938 ein kleines Haus in Sussex kaufen. Sie nennt es «Das Vogelhaus». Von nun an sind Landleben, ein wenig Musik, vor allem die intensive Beobachtung der Vögel und schliesslich sogar Experimente mit ihren gefiederten Freunden der wichtigste Lebensinhalt von Len Howard.

Ein Leben für die Singvögel

Ihr Leben ist nach dem ihrer Vögel ausgerichtet: Auf einem Futtertisch hält sie täglich alles bereit, was die Kohlmeisen, Amseln, selten auch Rotkehlchen und andere Vögel mögen. Das ist der einzige Eingriff in die Lebensweise der Vögel, die sich dadurch an Len gewöhnen, so dass einige ihr auch ins Haus folgen. Ihre Beobachtungen und Notizen sind Lens wichtigster Lebensinhalt.

Dieses Rotkehlchen hat bei der Nahrungssuche nur eine geringe Fluchtdistanz – die Rotkehlchen bei Len Howard waren oft sehr scheu.  © Klausronja / commons.wikimedia.org

Len Howard ist keine Wissenschaftlerin, weder Biologin noch Ornithologin, trotzdem gehört sie zu den Vorreiterinnen der Feldforschung, d.h. der Beobachtung der Tiere an den Orten, wo sie leben, nicht im Zoo oder in noch strengeren Versuchsanordnungen. In ihrer Offenheit und Empathie interpretiert sie das Verhalten der Kohlmeisen in unüblicher Weise, gewinnt daraus aber differenzierte Einblicke in die Beziehungen der Vögel untereinander. Darüber schreibt sie zunächst Artikel für eine populärwissenschaftliche Zeitschrift. Als sie damit Erfolg hat, überredet der Verleger sie, Bücher zu schreiben, die grosse Auflagen erzielen und übersetzt werden.

Biografie und Zeitgeschichte

Diese beiden Bücher gaben Eva Meijer den Anstoss, sich mit Len Howard zu beschäftigen. «Das Vogelhaus» liest sich kurzweilig, immer treibt uns die Lektüre zu erfahren, was Len Howard Neues über ihre Vögel weiss. Daneben schildert die Autorin auch das prekäre Leben während des Zweiten Weltkriegs.

Eva Meijer, 1980 in den Niederlanden geboren, hat Philosophie studiert, daneben schreibt sie, tritt als Singer-Songwriterin auf und ist als bildende Künstlerin tätig. Für «Das Vogelhaus» erhielt sie einen niederländischen Literaturpreis – zu Recht, findet die Schreibende, denn Meijer schreibt mit viel Einfühlungsvermögen, ihre Sprache ist klar und direkt und durch die zahlreichen Dialoge nie langatmig. Am Ende sind sogar einige Fotos aus Len Howards Nachlass abgedruckt. – Eine in jeder Hinsicht empfehlenswerte Lektüre.

Eva Meijer, Das Vogelhaus. Roman. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. btb Verlag(Random House GmbH) 2018. 317 Seiten. ISBN 978-3-442-75794-7. Auch als eBook erhältlich.

Leseprobe

Titelfoto: Kohlmeise © Luc Viator / commons.wikimedia.org

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