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Ausflug zu Berliner Kunstereignissen

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Nolde – ein «entarteter Entarteter», Mantegna und Bellini – Konkurrenten und Freunde, das Jenseits und der Tod – aktuelle Kunst referiert Goyas Kriegsgreuel und ein Blick auf das pulsierende Pergamon während dionysischer Festlichkeiten.

Nein, diese Auswahl von Kunstereignissen im Berliner Frühsommer ist alles andere als ausgewogen. Und subjektiv ist sie erst recht. Aber immerhin zieht sie sich durch zwei Jahrtausende, beginnend mit Pergamon, jener griechischen Stadt nahe Izmir, deren weltberühmter Fries den Bau eines Museums drumherum rechtfertigte. Dieses Museum ist seit Jahren in Renovation und geschlossen. Erst 2024 wird es seine Pforten wieder öffnen.

360°-Panorama von Yadegar Asisi. Panorama von Yadegar Asisi mit Blick auf Burgberg, Visualisierung 2018 © asisi

Aber gleich gegenüber gibt es nun einen Pavillon, wo 80 pergamenische Objekte, darunter Teile des berühmten Frieses ausgestellt sind, und als Attraktion der Sonderklasse, das 30 Meter hohe 360-Grad-Panoramabild, geschaffen von Yadegar Asisi (*1955) in Zusammenarbeit mit Experten, zu erleben ist. Der Architekt und Kunstmaler Asisi entdeckte 1998 den Charme der Panoramen, Rundbilder von Stadtansichten oder Kampfgeschehen, die im 19. Jahrhundert wie später das Kino faszinierten. Er entwickelte in der Folge eine neue, zeitgenössische Form des Panoramas, ein ziemlich verrücktes Son-et-lumière-Spektakel, das sich an alle Sinne wendet.

In der feiernden Masse entdecken Aufmerksame den Autor des Panoramas als antiken Verkäufer von Pastinaken. 

Pergamon mit seiner Festung für den Herrscher, dem Athene-Heiligtum, dem Tieropferplatz, mit den über den Kadavern kreisenden Geiern und dem Theater, das wegen der viertägigen Dionysos-Feier – einem Riesenbesäufnis mit Unterhaltung und Ritualen – ständig gut besetzt ist, erlebt dank raffinierter Licht- und Tonsteuerung Tage und Nächte. Hunderte Szenen mit unzähligen Figuren hat der Künstler auf der gigantischen Panoramawand aufleben lassen – Steinhauer, die Baupläne studieren und sich mit einer Statue abmühen, lockeres Volk bei Wein, Weib und Gesang, interessierte Theaterbesucher und die Schlachter, die auf dem blutbesudelten Vorplatz zum Verbrennungsaltar Tiere töten und zerlegen.

Pergamon. Meisterwerke der antiken Metropole . Ausstellungsansicht. Foto: David von Becker

Den Archäologen ist es durchaus bewusst, dass diese Belebung der rekonstruierten Mauern nicht unproblematisch ist, dennoch hat die Museumsdirektion den Künstler bei seiner Suche nach dem Leben in der Antike unterstützt. 

Recherchen in Emil Noldes riesigem Nachlass, der nun zugänglich ist, haben einige Widersprüche in Bezug auf den Künstler mit den meisten beschlagnahmten Werken während der Nazizeit, der zugleich Mitglied der NSDAP war, aufgedeckt, oder doch zumindest plausibel zu erklären versucht. Schon 1947 nannte ihn ein Kunstkritiker einen „entarteten Entarteren“, weil er das Regime der Nationalsozialisten guthiess und dank einiger geschickter Schachzüge weitermalen und gut leben konnnte, in den 60er Jahren gar zum Opfer der Nazi hochstilisiert wurde. Was aber zu dem falschen Nolde-Bild massgeblich beitrug, war Siegfried Lenz’ Roman Deutschstunde von 1968, Bestseller-Nachkriegsroman und Schullektüre.

Emil Nolde, Die Sünderin, 1926, Öl auf Leinwand  © Nolde Stiftung Seebüll. Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders. 1929 durch die Nationalgalerie erworben, ab 1933 im Depot, im Juli 1937 beschlagnahmt und Ende Juni 1939 in Luzern gegen Devisen an Noldes Schweizer Jugendfreund Hans Fehr versteigert.  Erworben durch die Nationalgalerie 1999.

Auffällig zu beobachten: nach 1933 malt Nolde keine religiösen Motive mehr, also keine Juden, ab 1945 verzichtet er auf nordische Motive. Beliebt, genial und unverfänglich: die Blumenbilder. Emil Nolde (18671956) wurde und wird als einer der wichtigen Begründer der neuen Malerei in Deutschland gefeiert.

Emil Nolde Herrin und Fremdling, o. D. (vor/um 1938) Aquarell © Nolde Stiftung Seebüll Foto: Dirk Dunkelberg, Berlin

Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof reflektiert die neuesten Forschungen und zeigt wunderbare Bilder und Grafiken des Künstlers. Für manche der Besucher ist es fast schmerzhaft, dass ihr Idol – nichts kann die Qualität dieser Malerei schmälern – nun endgültig von seinem Sockel als Opfer des Nationalsozialismus geholt wird. Denn einprägsam war das immer wieder gezeigte Foto im Zusammenhang mit den Ausstellungen Entarteter Kunst, wo prominent Noldes Kreuzigung sichtbar ist. Und Nolde war der Künstler mit den meisten, nämlich 1052 beschlagnahmten Werken. Dass darunter 455 Holzschnitte – ein Highlight der Ausstellung – waren, gekauft 1935 von der Stiftung Folkwang mit Billigung der Nazi, gibt Hinweise auf Noldes Stellenwert. Während sich die einen Besucher auf die reiche Bilderauswahl konzentrieren, beugen sich andere über Vitrinen mit Dokumenten, Briefen, Erklärtexten und versuchen, die Fakten zu verarbeiten.

Schlicht grossartig ist die Ende Monat schliessende Ausstellung in der Gemäldegalerie, die zuvor bereits in London zu sehen war: Andrea Mantegna (um 1431–1506) und Giovanni Bellini (um 1435–1516) waren Freunde, Schwager (Mantegna hat in die Künstlerfamilie Bellini eingeheiratet) und Rivalen. Sie haben einander inspiriert, kopiert und bewundert. Erstmals wird das eng miteinander verwobene Schaffen der beiden Künstler in einer Ausstellung präsentiert. Selten konnte man so viele Gemälde und vor allem auch Zeichnungen der beiden Renaissance-Künstler so genau studieren, und wer wusste schon, wie sie sich gegenseitig beeinflussten. Beispielsweise die beiden Bilder Darbringung Christi im Tempel (1453 Mantegna, 1472 Bellini), oder die Interpretation von Jesus am Ölberg.

Christus am Ölberg, oben von Andrea Mantegna um 1458-60, unten von Giovanni Bellini 1465. © The National Gallery London

Bei den Grossformaten – es sind mehrere Darstellungen der Antike zu sehen – erfreute und verstörte mich gleichermassen Sieg der Tugend von 1502, auf dem Minerva die Laster aus dem Garten der Tugend vertreibt, irritierende Gestalten wie die Puten mit Eulenköpfen, während einige der Laster verstümmelt und fast furchterregend sind. Die einmalige Schau mit den zwei Renaissance-Giganten hat gegenüber der Londoner Premiere einen grossen Vorteil: Man muss fast nie Schlange stehen.

Berlin hat aber auch viel an aktueller Kunst zu bieten, in unzähligen Galerien, aber auch in Ausstellungsräumen von Kunstsammlern, die ihre Schätze lieber öffentlich teilen als im Tresor wie Goldbarren horten. Neben der Sammlung Hoffmann, die demnächst nach Dresden geht, ist das Haus Me Collectors Room des Sammlers Thomas Olbricht eine gute Adresse.

Thomas Olbricht bei einer Führung vor den  «Desastres» von Goya, und neben «Sex I» von Jake&Dinos Chapman

Die aktuelle Ausstellung Beyond, bezieht sich auf einen Schatz aus der Vergangenheit, nämlich auf Francisco de Goyas Serie der Kriegsgreuel Los desastres de la guerra von 1810. Diesmal kuratierte der Chef selbst, zeigt mit sieben sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen, in denen es um das Jenseits geht, warum ihm diese Künstler besonders wertvoll sind, wobei er betont, Freundschaften zu vermeiden. Ausnahme diesmal ist Jonas Burgert, der mit mehreren Werken – riesig, farbig, figürlich – die Grundfrage nach Leben und Tod reflektiert.

Jonas Burgert: Schergen, 2007 (Ausschnitt)

 Das Surreale und Jenseitige im Alltäglichen baut das Künstlerduo FORT so unspektakulär auf, dass es dem Betrachter, der sich drauf einlässt, auch mal unheimlich zumute wird. Abstrakte Themenpaare wie Macht und Ohnmacht oder Gewalt und Liebe werden von Nathalie Djurberg und Hans Berg mit Knetfiguren in ganz konkret gebauten Schauplätzen umgesetzt in verstörende und ergreifende Videofilme.

Nathalie Djurberg & Hans Berg: Turn Into Me, (Videostill) 2008 © VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Courtesy Lisson Gallery

Thomas Olbricht kann mit dieser Ausstellung den direkten Link zum zweiten Teil seiner Stiftung, nämlich der Wunderkammer im Obergeschoss des me Collectiors Room herstellen. Viele jener Objekte erzählen Geschichten vom Tod und vom Jenseits.

Übrige Fotos: E. Caflisch
Hier finden Sie Informationen zu den erwähnten Ausstellungen:
PERGAMON. Meisterwerke der antiken Metropole und 360°-Panorama von Yadegar Asisi
Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus bis 15. September
MANTEGNA und BELLINI. Meister der Renaissance. Bis 30. Juni
Beyond. Bis 18. August

 

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