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Mit den Ohren sehen

In diesem Ballett vermischt sich alles. Töne, Sprache, Tanz, Norden und Süden: Christian Spucks Ballett «Das Mädchen mit den Schwefelhölzern» nach den «Bildern mit Musik» des zeitgenössischen Komponisten Helmut Lachenmann sprengt die Dimensionen eines herkömmlichen Ballettabends, füllt den Zuschauerraum des Zürcher Opernhauses mit Klangbildern und die Bühne mit reduzierter, intensiver Tanzkunst.

Hans Christian Andersens Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern ist erzählte Sozialkritik. Da die satten, zufriedenen Bürger im Festtagsmodus, dort das kleine Mädchen mit nackten Füssen und frierend im Schnee auf der Strasse. Den ganzen Tag versuchte es erfolglos, den Vorübereilenden Zündhölzchen zu verkaufen.

Nun sucht es Schutz vor der Kälte in einer geschützten Hausecke. Weil es so friert, zündet es eines der Schwefelhölzchen an – und sieht im Feuerschein einen geheizten Ofen. Es will seine Füsschen wärmen – da erlischt das Zündholz. Mit dem zweiten Hölzchen «zaubert» es eine Familie im festlich geschmückten Zimmer herbei, dann einen duftenden Gänsebraten und zu guter Letzt seine verstorbene Grossmutter. Dieses Bild will das Mädchen nicht verlieren und schnell zündet es die restlichen Hölzchen an. – Am Morgen finden Passanten das kleine Mädchen, erfroren, aber mit einem Lächeln auf den Lippen.

Eine neue Klangwelt

Diese Geschichte erzählt Helmut Lachenmann in seinem 1997 uraufgeführten Musiktheater. Und das in einer Klangsprache, die anders ist als alles, was man kennt. Er macht den ganzen Zuschauerraum zu einem Klangraum, zeichnet mit knarrenden, knirschenden, zirpenden, wispernden, raunenden und dann wieder glockenhellen Tönen diese todbringende, kalte Winterwelt nach.

Die Instrumentalisten der Philharmonia Zürich unter Matthias Hermann entlocken ihren Instrumenten völlig ungewohnte Töne und Geräusche, und die Gesangsolistinnen Alina Adamski und Yuko Kakuta samt den Basler Madrigalisten ergänzen diese Klangwelt mit fragmentierten, irisierenden Harmonien.

Zu diesen Klängen, die in 24 Sequenzen das tragische Wintermärchen erzählen – «mit den Ohren sehen» nennt Lachenmann dieses Eintauchen in seine Musik – choreografiert Christian Spuck seine Version des «Mädchens». Als erster Choreograf übrigens. Mit einer abstrakten, reduzierten Tanzsprache erzählt er die Geschichte parallel zu Lachenmanns akustischer Bilderwelt.

Tänzerische Glanzleistung

Die Schwierigkeit für seine Compagnie samt Junior Ballett war nicht nur die ohne äussere Ordnung sich durch den Raum bewegende Musik, sondern die fehlende Taktsprache. Die Tanzenden mussten sich an «optischen Hilfen», sprich Videoscreens, orientieren und vor allem die Musik zutiefst verinnerlicht haben. Und sie boten eine Glanzleistung! Durch den Tanz wurde die Geschichte nochmals auf eine neue Ebene gehoben.

Auch das Publikum brauchte Hilfe: Dazu waren die beweglichen, schiefergrauen Kulissen ideal, auf die mit Kreide jeweils geschrieben wurde, bei welchem «Bild» Musik und Tanz angekommen sind (Bühnenbild Rufus Didwiszus).

Die auf die Wände projizierten Dokumentarbilder aus der Zeit des RAF-Terrorismus samt einer von einer Tonbandstimme vorgelesenen Hasstirade der Terroristin Gudrun Ensslin und ihrem zornigen Alter Ego an der Bühnenrampe sollten auf die Parallelen im Leben der Terroristin und des am Rande der Gesellschaft vegetierenden kleinen Mädchens verweisen. Wobei Ensslin, wie Lachenmann anmerkt, in seiner Nähe und in durchaus bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen ist. Dieser Vergleich wirkt doch ziemlich konstruiert. Und ziemlich überflüssig.

Da, wo der Schwefel herkommt

Eindrücklich, wenn auch etwas lang geraten, hingegen der Text von Leonardo da Vinci, vorgetragen vom 83-jährigen Helmut Lachenmann persönlich. Der Text über «Furcht und Verlangen», in zerstückelten Silben vorgetragen, hört sich an wie ein zusätzliches kleiner Lichtstrahl aus einem der Schwefelhölzchen, die das Mädchen – die Mädchen in Spucks Choreografie; es sind immer mindestens zwei, manchmal bis sechs – gegen Einsamkeit und Kälte anzündet.

Was bleibt von diesem ungewöhnlichen, auch für das Publikum fordernden Ballettabend? Viele Bilder. Das frierende Kind vor der warm gekleideten, wohlanständigen Bürgerschar, die tanzend das Elend mit einer Handbewegung wegwischt. Das im Schnee hingekauerte Mädchen, das von einer Gruppe schwarzgekleideter Männer wie auf einer dunklen Welle weggetragen wird aus seinem elenden Dasein. Ja, und auch die beiden erfrorenen Kinder im leise rieselnden Schnee, nur begleitet von den sphärischen Klängen einer japanischen Maulorgel Shõ, gespielt von Mayumi Miyata.

Alle Szenenbilder von Gregory Batardon/Opernhaus Zürich.

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