StartseiteMagazinKulturSchreiben ist wie atmen

Schreiben ist wie atmen

Doris Dörrie schafft einen spontanen und lebendigen Zugang zum Schreiben.

«Im Atemholen sind zweierlei Gnaden / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen…». So Goethe im West-östlichen Diwan. Weshalb man sich bei der ersten Begegnung mit dem Buch von Doris Dörrie daran erinnert fühlen kann, liegt an dessen Titel: Leben Schreiben Atmen. Schon die Reihe dieser drei Wörter enthält einen spürbaren Rhythmus. Die Präzisierung folgt im Untertitel, Eine Einladung zum Schreiben, womit sich die rhythmische Form der Aussage schliesst.

In Hannover geboren, lebt die Film- und Buchautorin Doris Dörrie nach ihrem Studium in Kalifornien und New York (Theater, Schauspiel) in München und ist bei Film- und bei Literatur-Interessierten bekannt und geschätzt. Ihr neuestes Buch, erschienen 2019 im Diogenes-Verlag, Zürich, führt Leserinnen und Leser schon von der ersten Zeile an auf einen neuen, faszinierenden Weg zum persönlichen Schreiben. Auch der Rhythmus der einzelnen Kapitel erscheint zweiteilig. Zuerst liest man eine autobiographische Schilderung, fesselnd geschrieben, spontan und so selbstverständlich wirkend wie das Leben selbst und zunehmend von persönlich verinnerlichtem wie auch äusserlichem Erleben geprägt. Am Kapitelschluss folgen, kursiv vom vorherigen Text abgehoben, Anregungen und Anleitungen – Einladungen eben – zum selber schreiben. Wirken diese anfänglich als beinahe lehrhafte Hinweise oder gar Forderungen, einfach und klar formuliert, wandeln sie sich im Verlauf aller Geschichten und Erzählungen, von Kapitel zu Kapitel zu immer stärkeren, vielseitigen und gehaltvollen Motivationen.

«Schreiben heisst, die Welt einatmen.» Man schreibe zehn Minuten von Hand, spontan, ohne nachzudenken und ohne zu kontrollieren, so lauten die drei Regeln, die von der Autorin gleich anfangs aufgestellt werden. Das Niederschreiben soll fliessen wie Atem, der ja auch nicht dauernd überwacht und gesteuert wird. In der Tat erlebt man die Schilderungen der Autorin, die eigentlichen Berichte und Erzählungen, wie ein ruhig fliessendes Gewässer, dessen Tiefe die Geheimnisse gleichzeitig bewahrt und doch dem Aufnehmen und Verstehen öffnet. Keine Frage, da ist nachträglich wohl schon eine disziplinierte künstlerische Kontrolle erfolgt. Doch davon kann man nur wissen, lesend bemerkt man es nicht. Was man hingegen nach der Lektüre beim Schreiben selber erfährt, ist erstaunlich. Gewohnt, viel und meist von Hand zu schreiben, gewahrt man, wie man selber ruhiger, mit weniger geflissentlicher Dauerkontrolle, irgendwie gedanklich fliessender zu schreiben beginnt.

Ein weiteres Merkmal dieses Buchs ist seine Doppelsinnigkeit. Nimmt man es zur Hand und liest den Titel, betrachtet das Umschlagbild, erwartet man eine Anleitung zum Schreiben, eine Deutung vielleicht auch, was schreiben heisst. Und tatsächlich führt die Autorin vom rein Spontanen der erwähnten Dreier-Regel weiter in philosophische und psychologische Tiefen dessen, was Schreiben auch bedeutet. «Schreiben bedeutet, nicht vor der Wahrheit zu fliehen, sondern in sie zurückzufinden.» – «Schreiben ist Unterwassertätigkeit. Man taucht ab in das eigene Leben. In das Leben, das man wirklich hat, nicht das, was man sich vielleicht wünscht. Man ist mit einem Mal dort, wo einem niemand zuschaut. Ganz bei sich».

Doch dann überrascht mehr und mehr, dass Doris Dörries Buch auch als Autobiographie im üblichen Sinne aufgenommen werden kann. Es beginnt mit Episoden aus der Kindheit, mit Erlebnissen, Freuden und Leiden. Stark und dicht wirkt die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft als bedeutender biografischer Handlungsstrang. Von grosser Wirkung ist sodann die Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod des Ehemannes. Die Bewältigung dieser einschneidenden Erfahrung ist ein besonders berührendes Moment im Leben und damit auch im biografischen Lebensbericht der Autorin. Doris Dörrie bekennt sich zur Bedeutung der Erinnerungen, für sie ist «Ich erinnere mich…» so etwas wie eine Zauberformel.

Es gibt viele Bücher, die man nur zu gerne zweimal oder mehrmals lesen möchte. «Ein Buch, das nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, ist auch nicht wert, dass man’s einmal liest», meinte der Dichter Jean Paul. Ganz sicher gehört diese Einladung zum Schreiben von Doris Dörrie zu den Büchern, die immer wieder etwas in der gedankenvollen Tiefe des ruhig fliessenden Gewässers der Erinnerungen Verborgenes zu enthüllen imstande wäre. Ganz abgesehen davon, wie gut es sein könnte, immer wieder an Doris Dörries Einladungen zum Schreiben erinnert zu werden.

288 Seiten
erschienen am 01. September 2019
ISBN: 978-3-257-07069-9

Zu Buch und Verlag
Doris Dörrie

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