Für alle, die es noch nicht wissen oder einfach nicht daran denken: im Jahr 2021 werden es fünfzig Jahre her sein, seit in der Schweiz auf eidgenössischer Ebene alle erwachsenen Menschen das Wahl- und Stimmrecht erhielten. Also auch den Schweizerinnen die politischen Rechte erteilt wurden. Das Recht zu wählen, in politische Ämter gewählt zu werden und über Sachfragen abzustimmen. Selbstverständlich haben sie diese Möglichkeit heute nicht nur national, sondern auch auf kantonaler und auf der Ebene der Gemeinden.
Die politischen Rechte fielen in unserem Lande nicht auf einen Schlag vom Himmel. Es liefen in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten politische Prozesse ab. An deren Ende wurden jeweils die stimmberechtigten Männer zur Urne gerufen und konnten entscheiden. In den einen Kantonen verliefen diese Prozesse schneller, in den anderen langsamer. Deshalb haben einige Kanton bereits ihre Gedenkanlässe abgehalten. Einige werden auf kantonaler Ebene auch nach 2021 noch zu feiern haben.
Aber schweizweit werden wir nächstes Jahr ein politisches Jubiläum begehen. Die Vorbereitungsarbeiten laufen. Interessierte können sich auf der Website CH2021.ch informieren
Immer etwa wieder wird in Diskussionen darauf hingewiesen, dass es in der Schweiz unendlich lange gedauert habe bis zur Erteilung der politischen Rechte an die Frauen. Natürlich, wenn wir entsprechende Jahreszahlen betrachten, waren uns nur schon im Raume Europa viele Länder voraus (Finnland 1906, Norwegen 1913, Dänemark, Island 1915 usw.}
Auch im Rest der Welt ging es rascher voran. So lese ich im Internet, dass im Jahr 1950, das ich einfach so herausgegriffen habe, in Indien, Mexiko, Ägypten, Tunesien, Haiti, Libanon, Honduras, Peru, Nicaragua, Kambodscha, Malaysia das Frauenwahlrecht eingeführt worden sei.
Dabei sind zwei Fragen interessant. Was beinhaltet dieses Wahlrecht in den entsprechenden Ländern? Und ist es den Frauen dort aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, aufgrund ihrer Lebensumstände möglich, ihre Rechte auszuüben?
Weiter ist zu fragen, wer jeweils den Frauen das Wahlrecht erteilte? War es eine Regierung, ein Parlament, eine andere politische Körperschaft? Dass es der bereits stimmberechtigte Teil der Bevölkerung war – in der Schweiz die Männer – dürfte weltweit ziemlich einmalig sein. Dasselbe trifft auch zu für die Möglichkeiten, die in der Schweiz mit den politischen Rechten verbunden sind: Sie sind umfassend. Deshalb sind Vergleiche irgendwelcher Art mit Vorsicht zu geniessen.
Als Grundlage für die Zukunft wäre 2021 eine Art «Gewissenserforschung» ganz nützlich. Was haben wir als «Interessengruppe Frau» während der letzten 50 Jahre aus den neuen Rechten gemacht? Haben wir die Instrumente der Demokratie genutzt? Volksinitiativen eingereicht? Ein Referendum gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz ergriffen? Oder eine Referendumsabstimmung, die unsere Interessen tangierte, gewonnen?
Noch wichtiger aber ist es, die Frage der Ausübung der politischen Rechte als Hauptpunkt in diese Gewissenserforschung einzubeziehen. Das Bundesamt für Statistik schreibt dazu unter dem Stichwort «Stimmbeteiligung»: «Die Beteiligung an den eidgenössischen Volksabstimmungen hat im 20. Jahrhundert stetig abgenommen. (…) Der Abwärtstrend hat sich jedoch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht fortgesetzt. Die durchschnittliche Stimmbeteiligung ist sogar wieder leicht angestiegen (von 42% in den 1980-/1990er-Jahren auf 45%).» Das Fazit lautet also, dass die durchschnittliche Stimmbeteiligung bei eidgenössischen Volksabstimmungen aktuell unter 50 Prozent liegt. Das betrifft Frauen und Männer.
Es gibt Studien, Erkenntnisse, Spekulationen zuhauf, worauf diese mässige Stimmbeteiligung in unserem Lande, «der besten Demokratie der Welt», zurückzuführen sei. Wenn ich die Vorgeschichte des Kampfes um die politischen Rechte für die Frauen in diesem Zusammenhang betrachte, erscheint mir diese mässige Stimmbeteiligung geradezu ernüchternd.
Einfach ausgedrückt können wir sagen, dass wir in unserem Lande die Regeln, nach denen wir unser privates und öffentliches Leben gestalten, selber bestimmen. Diese Möglichkeit beinhaltet nicht nur Rechte, sondern auch die Pflicht, für unser Zusammenleben Verantwortung zu übernehmen.
Hoffentlich wird 2021 für Frauen und Männer zu einem mächtigen Impuls, diese Verantwortung vermehrt wahrzunehmen!