Die 91 Jahre alte Marion Baruch stellt im Luzerner Kunstmuseum aus. «innenausseninnen» heisst ihre Retrospektive. Sie schaut lieber vor- als rückwärts, entwickelt neue Ideen und Projekte.
Die Künstlerin malt keine Gemälde, keine Landschaften, sie kreist um die Leere und arbeitet mit Lücken, Durchsichten, Transparenz. Sie spricht von «void», aber meint damit nicht das spirituelle Nichts, sondern eher einen Freiraum im wörtlichen Sinn, der als Einladung ans Publikum zu verstehen ist. Innen und Aussen greifen ineinander und unsere Perspektive wechselt dabei je nach Standort, vielleicht aber löst sich unsere Perspektive auch einfach auf, wir sind weder drinnen noch draussen, wo wir genau sind, wie es im Katalogtext heisst.
Die Kuratorin und Direktorin des Kunsthauses Luzern Fanni Fetzer erklärt den Einkaufswagen
Mit ihren Werken ist Marion Baruch mitten in ihrer Zeit und nimmt Position zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Ihre Zeitgenossenschaft zeigt sich in ihrer Neugier, die bis heute anhält, und um viel lieber retrospektiv eine Übersicht ihres langen künstlerischen Schaffens zu arrangieren, macht Marion Baruch weiterhin Kunst.
Lorenz 1972 Kunstpelz
Ihre ausgestellten Werke sind nur greifbar, wenn man ihren Lebenslauf studiert. Entlang Marion Baruchs langem Leben lassen sich die Konflikte des 20. Jahrhunderts schildern: Der 2. Weltkrieg, Faschismus, Kapitalismus, Kommunismus, Ost-West, Feminismus, Pazifismus, Emanzipation, Migration, Klassen, Nationen, Religionen, Sprachgemeinschaften, politische Ideologien und Arbeitsbedingungen, Marion Baruch beschäftigt sich mit Innenwelten und Aussenräumen.
Retrospektive – innenausseninnen
Sie wird 1929 als Tochter ungarischstämmiger Eltern in Timisoara geboren. Sie lernt als Kind zuerst Ungarisch und Deutsch, erst später in der Schule kommt das Rumänische dazu. Als junge Frau schreibt sie sich an der Akademie der Bildenden Künste in Bukarest ein, wo sie ein Jahr lang Kunst studiert.
Mit 20 Jahren bot sich Baruch die Möglichkeit, nach Israel überzusiedeln. Sie studierte an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem und belegte Kurse beim Maler Mordecai Ardon, einem Künstler des Bauhauses.
Viaggio organizzato 2019, Stoff
Ihre erste Ausstellung hatte sie mit 24 Jahren in der Galerie Micra-Studio in Tel Aviv. Dank eines Stipendiums konnte sie nach Italien reisen, wo sie ab 1955 an der Accademia di Belle in Rom studierte. Sie stellte in Italien und Frankreich aus und lebte mit ihrer Familie in der Nähe von Mailand. Ihr Werk wurde repräsentiert durch die Galerie Luciani Inga-Pin. 1990 entschloss sie sich, ihre Kunstwerke künftig mit „Name Diffusion“ zu unterzeichnen.
Aus Rembrandt Serie, Acyl auf Holz
Von 1993 bis 2007 lebte Baruch im 19. Pariser Arrondissement, an der Rue Sorbier, 32. Der „Name Diffusion“ wurde zu einer im Handelsregister eingetragenen Firma, die als künstlerisches Kollektiv verschiedene Projekte und Aktionen realisierte.
Für ihr Projekt une chambre vide (2009) räumte die Künstlerin ein Zimmer ihrer kleinen Wohnung leer, um während eines Monats jeden Nachmittag, wenn die Sonne ein warmes Rechteck auf den Holzboden zeichnete, zum Gespräch einzuladen. Das Zimmer ist zwar leer, aber alles andere ist da: Offenheit, Neugier, das Glück des Austauschs, das warme Sonnenlicht… Marion Baruchs Wortschöpfung innenausseninnen schafft eine einladende Offenheit und fragt danach, wer dazugehört und wer fremd bleibt.
Cloud-Chapeau volant, 2017
Aufgrund des Verlusts ihrer Sehkraft kehrte Baruch 2007 zurück nach Italien und liess sich in Gallarate nieder. Sie entschloss sich, ihre Kunst unter ihrem eigenen Namen auszustellen. Die körperliche Einschränkung im hohen Alter zwang die Künstlerin, ihre Arbeit nochmals neu zu entwickeln: Sie arbeitet aktuell mit Abfällen aus der Textilindustrie. Der hohe Kontrast dunkler Stoffe auf weissem Grund erlauben es ihr, raumfassende Installationen zu realisieren. Ihr Werk wird in Italien, Frankreich und der Schweiz ausgestellt.
Contenitore – Ambiente, ca. 1969, Foto: Gianni Berengo Gardin, Courtesy by the artist
Das Kunstmuseum Luzern zeigt die erste umfassende Retrospektive der Künstlerin und lädt das Publikum zu einer Reihe Begegnungen, Diskussionen und Referaten ein. In adaptierter Form reist die Retrospektive später nach Grenoble zu le Magasin des horizons, les Abattoirs, Musée – Frac Occitanic Toulouse und ins MA*GA, Gallarate. Im Juni 2020 erscheint bei Mousse Publishing eine Monografie, die vielstimmig Marion Baruchs Werk vermittelt. Mit Texten unter anderem auch von Fanni Fetzer, Kuratorin der Luzerner Ausstellung und Direktorin des Kunstmuseums Luzern.
Die Ausstellung in Luzern dauert bis 21. Juni 2020
Fotos: Marc Latzel und Josef Ritler