Mit ihrem künstlerisch-literarischen Werk sprengte Annemarie von Matt zu ihren Lebzeiten die Grenzen der Konvention. Ihre Werke sind im Nidwaldner Museum in Stans bis am 2. August 2020 zu sehen.
«Ein neues Wort: WIDERSTEHLICH contra Unwiderstehlich. Ich wäre WIDERSTEHLICH (…) schrieb Annemarie von Matt in eines ihrer Notizbücher von 1949/1950.
Annemarie und Hans von Matt – Dauerausstellung
Die «Ausstellung-widerstehlich» nimmt die Nidwaldner Künstlerin, Schwägerin des bekannten Photographen Leonard von Matt, ihr Interesse am Unvollständigen, Bruchstückhaften, wortwörtlich. «Es ist der Versuch einer Auslegeordnung – ein nur kleiner Querschnitt aus der Fülle ihres Oeuvres», betonte die Kuratorin Patrizia Keller an der Vernissage am 6. März 2020 im Winkelriedhaus.
Und Stefan Zollinger, Vorsteher Amt für Kultur und Leiter Nidwaldner Museum, ergänzte: «In ihrer Suche nach neuen Materialien für die Kunst stiess Annemarie von Moos auf Objekte und Gegenstände des Alltags. Sie erweiterte ihren Blick auf das Naheliegende und Alltägliche.»
Nach ersten gestalterischen Arbeiten in Form von Ölmalerei, Techniken der Volkskunst und religiös-ländlichen naiven Bildwelten treten Malerei und Grafik in ihrem Schaffen in den Hintergrund, Objektkunst und Zeichnung rücken ins Zentrum und gleichzeitig setzt ihr literarisches Schaffen ein.
Sie notiert Gedanken, schreibt Briefe und Gedichte, sammelt (alltägliche) Materialien für mögliche Kunstobjekte. Alles wird miteinander vermischt, überarbeitet. Hie und da zerstört, wiederholt. Ihr Schaffen ist eng mit ihrer Autobiographie verknüpft, Leben und Kunstschaffen sind kaum voneinander zu trennen. Im Grunde «fiktionalisiert» sie ihr gesamtes Leben mittels Figuren, Zeichnungen, Skizzen, Briefe, Gedankennotizen mit Zetteln, mit Wortspielen und Aphorismen. Sie ist Meisterin in der Selbstinszenierung und gilt mit ihrem prozessualen, konzeptuellen Schaffen als Vorreiterin für Strömungen in der Kunst, die erst später, in den 1960er Jahren, als solche wahrgenommen und bezeichnet werden. Und sie formulierte treffend: «Die Ordnung ist die Luft der Vernunft, aber die Unordnung ist die Wonne der Phantasie.»
Die Ausstellung rückt das Werk von Annemarie von Matt in ein neues Licht und setzt es in Bezug zur Fragestellungen und zu Praktiken zeitgenössischer Kunst- und Literaturschaffender.
Wachsrelief in Kästchen, mit Applikationen, Privatbesitz
Annemarie von Matt wurde im Jahre 1905 in Root LU als Marie Gunz geboren und starb 1967 in Stans. Sie arbeitete zuerst einige Jahre als Haushaltshilfe. In Luzern lernte sie die Gold- und Silberschmiedin Martha Flüeler-Haefeli kennen, in deren Atelier sie sich erstmals gestalterisch betätigte. Bald ist sie Teil des Schweizerischen Werkbundes sowie der Gesellschaft Schweizer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen. Von 1930 bis 1947 nimmt sie regelmässig an Ausstellungen teil, erhält Aufträge und beteiligt sich an Wettbewerben. 1935 heiratet sie den Nidwaldner Maler und Bildhauer Hans von Matt und zieht nach Stans. In dieser Zeit begegnet sie auch dem Luzerner Priester und Schriftsteller Josef Vital Kopp. Ehe und Zeitstimmung engen sie ein. Sie zieht sich zunehmend aus der Gesellschaft zurück.
Schaufensterdekoration, 1937, Collage, Sperrholz
Dieser Drang führte zu Konventionsbrüchen auf allen Gebieten bis zu Grammatik und Orthografie, aber auch zum Beklagen ihres Schicksals als Ehefrau: «Seit ich verheiratet bin, befinde ich mich in einer Erziehungsanstalt», schrieb sie 1942. Doch dieser Freiheitsdrang führte Annemarie von Matt auch in die Einsamkeit ihrer letzten Lebensjahre in Stans.
Water! Good! Filth! 2017, Holz, Schaum, Plastik, Haar, Farbe, Metall, kaltkathodisches Licht
Ein Freund der Künstlerin, Anton E. Müller, Redaktor der damaligen Zeitung «Vaterland», schloss seinen Text über Annemarie von Matt im Innerschweizer Almanach 1972 wie folgt: «Für Stans war Annemarie von Matt eine scheue, eigenwillige Frau, von der man nicht recht wusste, was sie Tag und Nacht tat. Wer aber sie und ihre Stube kannte, wusste, dass hier ein Mensch rastlos und in kosmischer Umfassenheit ein grossartiges Spiel spielte, das immer in die echten Tiefen aller Existenzmöglichkeiten reichte.»
In einer Vitrine im Pavillon zeigt beispielsweise eine Zeichnung eines Widders ihre Gefühlswelt, die sie wie folgt beschreibt: «Nur nicht locker lassen, lieber Verehrer der temperamentvollen, unerschrockenen Widderfrau: Wenn Sie dieses feurige Pferdchen erobern wollen, braucht es dazu viel Überzeugungskraft und Ausdauer. Das Feuerwerk ihrer Begeisterung – oder Empörung – braucht Sie nicht zu erschrecken: es ist meist von kurzer Lebensdauer.»
Zwischen den Werken von Annemarie von Matt tauchen immer wieder Arbeiten der eingeladenen zeitgenössischen Kunst und Literaturschaffenden auf und treten miteinander in einen Dialog. Mit ihren ähnlichen Arbeitsweisen, Konzepten oder Interessen ergänzen und erweitern sie die präsentierten Arbeiten Annemarie von Matts. Mit dabei sind die Künstlerinnen, Künstler und Autorinnen: Mathis Altmann, Sophie Jung, Judith Keller, Simone Lappert, Quinnn Latimer, Céline Manz, Sam Porritt und Manon Wertenbroek.
Stefan Zollinger, Leiter Nidwaldner Museum vor Reissverschluss in Wand eingelassen, Manon Wertenbrock Zipper H80, 2020
Die Ausstellung im Winkelriedhaus entstand in Kooperation mit der Kantonsbibliothek Nidwalden und wird co-kuratiert von Patrizia Keller, Nidwaldner Museum und Claire Hoffmann, Centre culturel suisse, Paris.
Die Ausstellung wird später in Paris ausgestellt.
Fotos: Josef Ritler