Chorsingen gehört zu den beliebten Freizeitbeschäftigungen. Die regelmässigen Proben ermöglichen soziale Kontakte, man trifft immer wieder dieselben Menschen, übt gemeinsam Lieder ein und gibt Konzerte. Doch was machen Chöre, wenn Hausarrest angesagt ist, wie jetzt wegen des Coronavirus?
Chöre gibt es für jeden Geschmack, von klassischer, geistlicher Musik, Volksmusik, Arbeiterlieder, Popmusik, Schlager für Jung und Alt in allen Stimmlagen. Und wenn man einen Chor sucht, findet man übers Internet lange Listen für jede Region und jede Stadt. Die meist wöchentlichen Chorproben geben der Zeit eine Struktur, ad hoc Chöre treffen sich während einer beschränkten Zeit für ein bestimmtes Projekt.
Das Coronavirus legt unsere ganze Gesellschaft lahm, der regelmässige Besuch der Chorprobe ist nicht mehr möglich. Viele Chöre verstummen, man ist in Quarantäne. Doch es gibt auch Ausnahmen. Innovative Sänger, Sängerinnen und Chorleiter haben neue Möglichkeiten entdeckt fürs «home singing».
Für begeisterte Sängerinnen und Sänger, welche ihre Chorproben schmerzlich vermissen, gibt es seit dem 23. März täglich um 9 Uhr morgens ein online «Einsingen um 9». Julia Schiwowa und Barbara Böhi, seit kurzem auch Daniel Pérez, stellen alternierend ein Video mit Stimmübungen ins Netz, um die Stimme fit zu halten. Sie versprechen dies jeden Tag zu tun, bis das Versammlungsverbot wieder aufgehoben ist. Sie setzen ihre Zeit gerne dafür ein, da alle ihre Konzertengagements und Singlektionen gestrichen sind. Dieses Angebot stösst auf grösstes Interesse, inzwischen nutzen es über tausend Sängerinnen und Sänger aus über siebzig Chören, und täglich werden es mehr. Die Teilnahme ist kostenlos, doch die Initiantinnen freuen sich über freiwillige Spenden auf ihr Konto.
Daniel Pérez, Bariton und Chorleiter
Einzelne innovative Chorleiter bieten ihren Chormitgliedern spezielle Möglichkeiten, damit das Eingeübte nicht vergessen geht. Daniel Perez, der im Team «Einsingen um 9» alternierend mitarbeitet, ist Leiter des WeltCHORS Baden und stellt für seine Chormitglieder ein Übungsvideo ins Netz. Wie bei der richtigen Probe wird zuerst mit Bewegungen und Tönen eingesungen und anschliessend können bereits bekannte oder auch neue Lieder eingeübt werden. So können die Sängerinnen und Sänger des Weltchors individuell ihre Singstunde zu Hause abrufen.
Der WeltCHOR Baden ist ein junger, dynamischer Chor. Er wurde 2016 in Baden gegründet und zählt inzwischen 150 Singfreudige aus aller Welt: Einheimische und Zugezogene, Expats, Secondos und Secondas, Schweizerinnen und Schweizer, Doppelbürgerinnen und Doppelbürger, Migrantinnen und Migranten, Eingebürgerte, Heimatverbundene und Fernwehgeplagte, wie es auf der Webseite heisst. Jeden zweiten Montag werden Lieder in den unterschiedlichsten Sprachen gesungen. Gemeinschaft und Gespräche werden aktiv gefördert durch das monatlich nach den Proben geöffnete «Chorkaffee», Kuchen bringen die Chorleute mit. So lernen sich alle mit ihrer Kultur von Island bis Zimbabwe, von Amerika bis Japan, Baden bis Genf kennen. Mehrmals im Jahr begleitet der Weltchor Anlässe oder tritt mit einem eigenen Konzert auf.
WeltCHOR Baden. Foto: WeltCHOR Baden.
Während die online Aufnahmen in Baden nur vom Chor intern genutzt werden können, hat Peter Freitag, Musiker und Kirchenmusiker an der Reformierten Kirche in Uster eine andere Lösung gefunden, die öffentlich abgerufen werden kann. Zufällig bin ich über Facebook darauf gestossen, – und ich war überrascht von dem, was ich sah und hörte: Auf dem Bildschirm erscheint zuerst der Chorleiter mit Kopfhörern am Klavier, dann öffnen sich kleine Fenster mit einzelnen Jugendlichen, alle auch mit Kopfhörern, die konzentriert und ernsthaft Der Mond ist aufgegangen singen. Durch die Untertitelung ist der Text klar verständlich. Und der Text dieses alten Volkslieds ist momentan hochaktuell: «Wie ist die Welt so stille…Als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer verschlafen und vergessen sollt. Und lass uns ruhig schlafen! Und unseren kranken Nachbar auch».
Peter Freitag erklärt mir am Telefon, wie er auf die Idee gekommen ist. Er leitet in Uster verschiedene Chöre für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Noch vor ein paar Monaten war für ihn klar: «Digital, ja, aber nicht beim Musizieren!». Doch die Welt hat sich in kurzer Zeit verändert. Die Zwangspause war anfänglich lähmend, doch dann fiel ihm Eric Whitacres virtuelles Chorprojekt ein, bei dem Tausende weltweit mitsingen. Dafür brauchte es das richtige Tool.
Peter Freitag, Kirchenmusiker und Chorleiter in Uster. Foto: Peter Freitag.
Die Jugendlichen des Jugendchors in Uster wussten Bescheid. Denn die Schulen setzen für den online Unterricht das Computerprogramm «Zoom» ein. Dieses stellt den Kontakt zwischen Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen virtuell her. Damit fand Peter Freitag die Möglichkeit, über den Computer von zu Hause aus mit allen Beteiligten Lieder einzustudieren und sie als Video ins Netz zu stellen. Inzwischen sind vier Videos für «Ein Lied in Zeiten der Krise» eingespielt und im Youtube-Kanal abrufbar, weitere sind in Vorbereitung.
Chöre finden zunehmend Wege, sich weiter zu treffen und gemeinsam zu singen, wenn nicht physisch, dann eben virtuell über das Internet. So hat auch der Internationale römische Chor eine Neuinterpretation des Gefangenenchors aus «Nabucco» von Giuseppe Verdi online gestellt. Zahlreiche Chormitglieder aus den verschiedensten Chören nahmen von zu Hause aus daran teil. Alle Sängerinnen und Sänger freuen sich, wenn ihre online Beiträge als Zeichen der Solidarität angeclickt und eifrig geteilt werden.
Links im Überblick:
Einsingen um 9: https://www.youtube.com/c/stimmtuul
Spenden für «Einsingen um 9»: Barbara Böhi Eugen-Huber-Strasse 18 8048 Zürich
PostFinance: IBAN CH42 0900 0000 1545 8208 2 BIC: POFICHBEXXX Clearing Nr.: 9000 oder via paypal: einsingen-um-9@gmx.ch
WeltCHOR Baden: https://www.weltchor-baden.com/
Musik.refuster geht digital: https://www.refuster.ch/portal/musik/bericht/444
Liebe Ruth, Deinen Beitrag finde ich wunderbar. Spricht sicher viele unter der Leserschaft an.
Meine «Sängerinnenkarriere» ist ja im Gymnasium jäh abgestürzt und ruht seither (-: (-:
Aber das Singen anderer, in der heutigen Zeit, stellt richtig auf. Tausend Dank und liebe Grüsse, Judith
Danke, Judith, singen hilft gerade jetzt, zurückgezogen in unseren vier Wänden, wunderbar. Die eigene Stimme macht wieder fröhlich, wenn einen der «Lagerkoller» überkommen sollte. Und wenn man für sich alleine singt, kann man auch mit der Stimme experimentieren, es muss ja nicht «schön» sein, Hauptsache es «tönt» irgendwie. Und das kann sehr lustig sein!