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Ein literarisches Mosaik aus Afrika

«Nehmen Sie den Weg nach Süden» schlagen uns die beiden Herausgeber einer Anthologie afrikanischer Literatur vor. Wir lernen dabei die Vielfalt des Schreibens auf diesem Kontinent kennen.

Der Titel ist durchaus wörtlich zu nehmen: Wenn wir zuerst die Alpen, dann das Mittelmeer und schliesslich die Sahara überquert haben, gelangen wir in das Afrika, dessen Autoren in diesem Buch zu Wort kommen. Aus Mosambik, Kenia oder dem Sudan, aus Äthiopien, Nigeria, Südafrika oder Djibuti stammen die 21 Schriftstellerinnen und Schriftsteller dieses Sammelbandes. Das kann selbstverständlich nicht die gesamte Bandbreite afrikanischer Literaturen wiedergeben, wie die beiden Herausgeber Anita Djafari und Manfred Loimeier im Vorwort betonen, soll aber «Lust machen auf mehr, auf Leseerfahrungen» und uns Lesende in Europa auf den grossen Reichtum traditioneller und gegenwärtiger Kulturen in Afrika hinweisen.

Das Kapitel aus Natacha Appanahs Blue Bay Palace erzählt von der jungen Maya auf Mauritius, die, um ihrer Mutter einen Gefallen zu erweisen, auf dem Markt den Stand des Frauenvereins hütet – eine langweilige Beschäftigung für eine 16jährige. Bis ein attraktiver, gut gekleideter, junger Mann an den Stand herantritt und sie sich in ihn verliebt. Voller Vorfreude und ebenso grosser Unsicherheit hofft sie auf den Abend, hofft, ihn wiederzusehen. Er kommt und begleitet sie nach Hause, was ihr unendlich peinlich ist, denn sie wohnt in ärmlichen Verhältnissen. Daheim stellt sich heraus, dass der junge Mann der Sohn des Hotelbesitzers ist und Chef des Restaurants, in dem ihr Vater arbeitet.

Eine berührende Szene, aus der Perspektive des jungen Mädchens geschrieben. Die Autorin stammt aus einer aus Indien eingewanderten Familie und nimmt sich die sozialen Unterschiede zwischen den sozialen Schichten zum Thema. Appanah schreibt subtil, aber genau, sie trifft den Ton einer Jugendlichen.

Soziale Unterschiede – nicht nur in Afrika

Die starken kulturellen Differenzen zwischen Amerika und Afrika beschreibt Bessie Head aus Botswana in ihrem Buch Orangen und Zitronen. Die Icherzählerin ist von ihrer temperamentvollen, fordernden Nachbarin ziemlich genervt. «Sie mischt sich überall ein, sie ist entschlossen und unbeirrbar», stammt aus Kalifornien, wo, wie man in Botswana denkt, die Menschen «merkwürdiger sind als die meisten Menschen». – Zugleich witzig als auch zutiefst kritisch beschreibt die Autorin den Crash der beiden Kulturen. Dort «Hähnchen, Hamburger, Fernsehen und Rolltreppen», hier im ländlichen Botswana Wasserholen aus meilenweit entfernten Brunnen. Die Erzählerin redet nicht von Weissen, sondern von Amerikanern afrikanischer Herkunft und kann nicht verstehen, dass die Unterschiede nicht nur im fehlenden Wohlstand liegen, sondern auch in der Politik Amerikas.

Bedrückend die Schilderung aus dem Schreckensregime von Mengistu in Äthiopien. Der Vater, ein Arzt, wurde vom Regime ins Gefängnis geworfen, die Söhne überlegen nun, was sie tun können – und wissen doch, dass sie total hilflos sind. Auch dieser Romanausschnitt aus Unter den Augen des Löwen wurde von einer Frau geschrieben: Maaza Mengiste, geboren 1974. Sie wuchs nach der Flucht ihrer Eltern in Nigeria, Kenia und den USA auf, wo sie heute lebt. Neben der Hilflosigkeit ist es das Misstrauen, das die Handelnden in diesem Kapitel lähmt, und die schneidende Kälte der Schergen des Regimes. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin und Lehrerin engagiert sich die Autorin für die Menschenrechte.

Schreiben als Männer- oder Frauenarbeit

Haben mich die Schriftstellerinnen mehr überzeugt als ihre männlichen Kollegen? Das lässt sich so nicht sagen. Doch die erwähnten Texte haben mich berührt. Die Mehrheit der Veröffentlichungen in Afrika jedoch stammt von Schriftstellern. Die Herausgeber stellen im Vorwort fest, dass sie für diesen Band das Verhältnis der Geschlechter paritätisch halten wollten, was aber der Wirklichkeit der Förderung von afrikanischer Literatur nicht entspricht.

Ein Autor wie der Kenianer Ngũgĩ wa Thiong’o, der 2019 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis erhielt, durfte in dieser Auswahl nicht fehlen. Hier zeigt sich eine Schwäche dieser Anthologie: Kurze oder sogar längere Abschnitte können nicht immer einen Eindruck des ganzen Werks vermitteln.

Die abgedruckten Abschnitte aus dem kürzlich übersetzten Roman Herr der Krähen erzählen von Magie, von einem Zauber, unter dem das Land steht. Es handelt sich dabei offensichtlich um eine autokratische Diktatur, wie sie in einigen Ländern herrscht. Kamītī scheint heilerische Kräfte zu besitzen, ja zaubern zu können – ist er der Herr der Krähen? Im folgenden Abschnitt geht es um den Herrscher, der mit einer Global Bank einen Vertrag abschliessen möchte. Aus anderer Quelle erfuhr ich, dieser Roman karikiere übermütig die Möchte-gern-Profiteure in einem fiktiven korrupten Staat. Doch Vitalität und Überlebenskunst der Afrikaner seien wohl stärker. Aus diesem Text hat sich mir das nicht ganz erschlossen. – Lebenslust und daneben bissige Satire gehören sicher zur Würze dieses wie vieler Bücher aus Afrika.

Jamal Mahjoub schreibt in Die Stunde der Zeichen über die Mahdi-Bewegung im 19. Jahrhundert aus dem Sudan, die in Zerstörung und Elend endete. Ein erschöpfter und todkranker Anhänger eines Scheichs kehrt zurück. Mit den Worten «Jetzt, da die Welt im Kern auseinanderbricht, kehrst du zurück», fallen sich die beiden in die Arme. Ein Blick auf ein Stück Geschichte des Sudan in Zeiten, da Gewalt und Vernichtung immer noch nicht vollkommen verschwunden sind.

Wie eine Gesellschaft langsam in die moderne Zeit hineinwächst, erzählt uns Patrice Ngagang aus Kamerun in Die Zeit der Pflaumen. Es geht darum, die Menschen zum Lesen und Schreiben zu führen, um sich aus der kolonialen Vergangenheit zu befreien. Pouka, der Schreiber, wie er im Dorf genannt wird, will einen Literaturkreis gründen und findet in Philothée seinen einzigen Schüler, denn dieser stotternde, schüchterne Junge hat sich das Lesen in den Kopf gesetzt, entgegen aller Vorurteile im Dorf. – Nüchtern in der Sprache, eindringlich im Ausdruck.

Litprom: Engagierte Förderung der Literaturen aus aller Welt

Diese Anthologie erscheint zum 40. Geburtstag von Litprom – Literaturen der Welt und als Erinnerung an die Frankfurter Buchmesse 1980, als Schwarzafrika erstmals Schwerpunkt war. Co-Herausgeberin Anita Djafari, geboren 1953, studierte Germanistik und Anglistik in Frankfurt, gelernte Buchhändlerin, arbeitete viele Jahre als Übersetzerin, Lektorin und Literaturvermittlerin. Seit 2009 ist sie Geschäftsleiterin bei Litprom e.V. Co-Herausgeber Manfred Loimeier, geboren 1960, beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Literaturen aus Afrika und der Diaspora. Er ist als Rezensent, Moderator, Herausgeber, Übersetzer und Autor tätig. An der Universität Heidelberg lehrt er Afrikanische Literaturen Englischer Sprache und veröffentlichte zuletzt eine Monografie über Ngũgĩ wa Thiong’o.

Djafari, Anita und Loimeier, Manfred (Herausgeber): Nehmen Sie den Weg nach Süden
Peter Hammer Verlag 2020. 1. Auflage; 214 Seiten. ISBN: 978-3-7795-0628-7

Dieses Buch ist in der Reihe «Der Andere Literaturclub» erschienen, einem Projekt von artlink, Büro für Kulturkooperation, das mit litprom verbunden ist. Ziel von artlink ist es, Kunstformen, Künstler und Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa bekannt zu machen sowie die Arbeit der in die Schweiz eingewanderten Kulturschaffenden zu unterstützen. Dies als Ausdruck einer der Welt gegenüber offenen Schweiz, die in der interkulturellen Zusammenarbeit eine Chance wahrnimmt, eurozentristische Haltungen zu relativieren, den Respekt vor anderen Formen, Traditionen und Wertesystemen zu fördern und die Welt auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

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  1. Vielleicht noch ein besonderes Buch der afrikanischen Literatur: «Diese Dinge geschehen nicht einfach so,» Roman von Taiye Selasi, Original 2013 «Ghana must go», deutsch 2013, S.Fischer Verlag. Aus dem Klappentext: «…und wir erfahren, dass unsere Wunden erst dann heilen, wenn wir anfangen, unsere Geschichte zu erzählen.»

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